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Interview mit DIW-PräsidentWie gelingt der Umstieg auf E-Mobilität, Herr Fratzscher?

Lesezeit 7 Minuten
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sitzt während eines Interviews in seinem Büro.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Wie kann die kriselnde deutsche Autobranche wieder auf Kurs kommen? Darüber sprach Tobias Schmidt mit Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Herr Fratzscher, VW will Werke schließen und Mitarbeiter feuern – trotz Milliardengewinnen. Ist die Wut der Belegschaft nicht mehr als nachvollziehbar?

Ja und nein. Die aktuelle Krise wäre vermeidbar gewesen, hätte das Management bei VW in der Vergangenheit nicht so eklatante Fehler gemacht. Daher kann ich den Unmut der Belegschaft verstehen. Im Raum stehen rund 15.000 mögliche Entlassungen bei fast 650.000 Mitarbeitern weltweit. Allerdings muss sich das Unternehmen jetzt zukunftsfähig aufstellen. Alte Strukturen dürfen nicht zementiert werden. Das heißt: Lieber sollte VW zwischen 90 und 95 Prozent der Jobs sichern, als am Ende alle Jobs zu gefährden.

Die Wolfsburger verkaufen 500000 Autos zu wenig. Müsste der Konzern statt der Rosskur nicht massiv investieren, um bessere Wagen zu bauen, die die Menschen wieder begeistern?

Die deutschen Hersteller, inklusive VW, bauen fantastische Autos – nur leider mit dem falschen Antrieb. Sie haben zu lange auf den Verbrenner gesetzt und stehen nun vor zwei Herausforderungen: Sie müssen den Umstieg auf die Elektromobilität schaffen und sie müssen kostengünstiger produzieren. Das bedeutet eben auch, dass man den Gürtel eine Zeit lang enger schnallen muss.

Die Gefahr des Kaputtsparens sehen Sie nicht?

Nein, aber VW muss dringend Milliarden mobilisieren, um den technologischen Rückstand bei der E-Mobilität und im Softwarebereich aufzuholen. Außerdem müssen einige Werke geschlossen und die verbliebenen Standorte auf die Produktion von E-Autos umgerüstet werden. Also massive Investitionen auf der einen Seite, eine höhere Effizienz auf der anderen. Das ist der Spagat, den VW schaffen muss.

Sie haben von „eklatanten Fehlern“ gesprochen. Was meinen Sie damit?

Man kann die Krise bei Volkswagen in drei Kategorien aufteilen. Erstens der Diesel-Skandal, der weltweit viel Vertrauen zerstört hat, obwohl VW noch recht glimpflich davon gekommen ist. Zweitens die verschlafene Transformation zur E-Mobilität. Und die dritte Kategorie ist die viel zu hohe Abhängigkeit von China. Bloß spielen deutsche E-Autos auf dem chinesischen Markt kaum noch eine Rolle. VW hat lange von der Reputation gelebt, die Margen waren hoch, Geld für Investitionen da. Damit ist es vorbei.

Auch in Deutschland wird VW seine E-Autos nicht los…

Das stimmt. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: zu wenig Ladesäulen, gestrichene Prämien. Dass dadurch erstmal weniger Leute E-Autos kaufen, ist doch völlig normal. Langfristig wird sich die Elektromobilität auf dem Markt aber durchsetzen. Es ist die Technologie, die sich vom Verbrauch her am meisten rechnet und kein CO₂ emittiert. Deswegen brauchen wir hier unbedingt Durchhaltevermögen!

Was braucht es noch, damit VW wieder auf Kurs kommt?

In den wichtigsten Bereichen der Zukunft – E-Mobilität und autonomes Fahren – muss VW innovativer und effizienter werden. Das drückt die Kosten und steigert die Wettbewerbsfähigkeit, weil die Autos günstiger werden und sich mehr Leute Volkswagen leisten können. Und der Konzern muss sich unbedingt stärker von China lösen. Vor der Krise kamen von dort 40 Prozent der Erträge. Man hat sich damit schlicht erpressbar gemacht.

Finden die Leute, die bei VW gefeuert werden, eigentlich leicht einen neuen Job?

Die meisten ja, aber nicht alle. Für die betroffenen Mitarbeiter wird entscheidend sein, welche Qualifikation sie haben, ob sie in einem anderen Unternehmen ähnlich hervorragend bezahlt werden wie bei VW und ob sie gewillt sind, ihren Wohnort zu verlassen, wenn es dort keine berufliche Alternative gibt. Der Vorteil: Bei VW arbeiten hoch qualifizierte Fachkräfte. Somit sind die geplanten Entlassungen aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive eine gute und notwendige Sache. Aus der individuellen Perspektive ist das natürlich hart.

Nochmal zurück zum Umstieg auf E-Mobilität: Die Industrie und der FDP-Verkehrsminister Volker Wissing machen Druck auf die EU-Kommission, die CO2-Vorgaben zu lockern und das Verbrennerverbot zurückzunehmen. Müssen wir uns nicht ehrlich machen und sagen: Das geht wirklich nicht so schnell und schon gar nicht mit der Brechstange?

Die Entscheidung für die E-Mobilität ist gefallen. Nicht in Brüssel oder Berlin, sondern in China, in Indien, in den USA, im Rest der Welt. Wenn Europa und Deutschland einen Sonderweg gehen wollen, wird Volkswagen noch ein Viertel, maximal ein Drittel seiner Verkaufszahlen für eine Weile retten können. Dann werden sie nicht drei Werke schließen und fünf Prozent ihrer Belegschaft abbauen müssen, dann müssten zwei Drittel der Mitarbeiter nach Hause geschickt werden.

Mit Verbrenner-Autos lässt sich noch verdammt viel Geld verdienen…

Die Betonung liegt auf „noch“. Es ist ein Irrsinn zu glauben, wir könnten eine Mauer um Europa bauen, E-Autos aus den USA und Asien nicht mehr reinlassen und innerhalb der Mauern unsere Diesel und Benziner abfeiern. Das wäre ökonomischer Selbstmord mit Ansage. E-Autos sind auch keine Erfindung, um Deutschlands Autobauern das Leben schwer zu machen. Der Verkehrssektor ist einer der großen CO₂-Emittenten. Und E-Autos stoßen, wenn sie mit grünem Strom betankt werden, kein Klimagas aus.

Aber das Verbot von Diesel und Benzinern in der EU ab 2035 ist ein massiver und weltweit beispielloser Eingriff in den Markt. Braucht es den wirklich?

Ja, das EU-weite Aus für fossil betriebene Autos ist notwendig, um einen fairen Wettbewerb in Europa zu garantieren und den Unternehmen eine rechtzeitige Planung zu ermöglichen. Sie haben noch zehn Jahre Zeit. Dabei ist die technologische Entwicklung gerade in China schon längst so weit, dass preiswerte E-Autos mit langen Reichweiten angeboten werden. Und in China ist das Fahren mit erneuerbarem Strom auch längst deutlich preiswerter als mit Sprit.

Kurzum: Ein sauberer und preiswerter Antrieb ersetzt eine klimaschädliche und teure Technologie. Ja, der Umstieg ist ein gewaltiger Kraftakt, der Zeit benötigt, auch für den Aufbau der Ladeinfrastruktur und so weiter. Aber jede weitere Verzögerung wäre katastrophal.

Soll heißen: An den EU-Regeln sollte nicht gerüttelt werden?

Sowohl die CO2-Flottengrenzwerte als auch das Zulassungsverbot für Diesel und Benziner müssen bleiben und dürfen nicht gelockert werden. Ansonsten wäre der Schaden, gerade für Deutschlands Automobilindustrie, immens. Der ein oder andere Unternehmenslenker würde der Versuchung erliegen, weiterzumachen wie bisher, mit dem Verbrennungsmotor nochmal ordentlich abzusahnen, aber den Umstieg zu verschleppen. Für die Volkswirtschaft würde das übel ausgehen.

Zur Wahrheit gehört: Die Energiewende ist schwieriger und dauert länger als erhofft, und damit wird der Strom teurer. Sind die Ängste vor einer Deindustrialisierung daher nicht mehr als berechtigt?

Der Ausbau von Netzen, Solar- und Windkraft hat endlich wieder Fahrt aufgenommen. Nicht die erneuerbaren, sondern die fossilen Energieträger treiben die Kosten in die Höhe. Aber es stimmt: Bis zur Vollendung der Energiewende werden einige energieintensive Branchen aus Deutschland verschwinden, weil sie anderswo billiger produzieren können. Das ist nicht schlimm, sondern gut, wenn es den Unternehmen ermöglicht, ihre Innovationsfähigkeit und ihre guten Arbeitskräfte in Deutschland zu erhalten und so wettbewerbsfähig bleiben.

Ist es nicht gefährlich für das Land, wenn massenhaft Industriejobs wegfallen?

Doch, das ist natürlich eine Herausforderung, die es aber in den letzten 50 Jahren immer wieder gegeben hat. Deindustrialisierung findet immer statt. In den 70er Jahren ist die Textilindustrie bei uns kollabiert. In den 80er Jahren folgte das Sterben der Elektronikfirmen wie Blaupunkt und Grundig… Für den Einzelnen, der seinen Job verliert, kann das schlimm sein. Volkswirtschaftlich ist das ein notwendiger Prozess, weil er Aufbruch erzwingt.

Das klingt hart.

Ja, aber warum haben wir so einen hohen Wohlstand? Weil es fast keine Volkswirtschaft auf der Welt besser verstanden hat als unsere, die eigenen Vorteile bewundernswert konsequent zu nutzen, die so anpassungsfähig und offen ist und so intensiv handelt. Wir produzieren dort, wo es am günstigsten ist, importieren die Komponenten, bauen sie hier ein, und exportieren die fertigen Produkte in die ganze Welt.

Die permanente Transformation schafft erst die Grundlage für dieses Erfolgsmodell. Bedroht wird es, wenn wir die entscheidenden Zukunftstechnologien komplett an die USA und China verlieren. Das ist die viel größere Gefahr als die Abwanderung einer Chemie- oder Fahrzeugfabrik.