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Interview

Gesundheitsminister Karl Lauterbach
„Wir müssen für den militärischen Bündnisfall gewappnet sein“

Lesezeit 6 Minuten
Auch das Gesundheitswesen muss sich Karl Lauterbach zufolge auf den Krieg vorbereiten.

Auch das Gesundheitswesen muss sich Karl Lauterbach zufolge auf den Krieg vorbereiten.

Lauterbach bereitet das Gesundheitssystem auf den Kriegsfall vor. Den Vorwurf der Panikmache weist der Minister angesichts der aktuellen Zeiten zurück.

Ärzte und Krankenhäuser für den Kriegsfall zu wappnen, manch einer könnte das als Panikmache kritisieren. Lauterbach sieht das anders: „Es braucht auch eine Zeitenwende für das Gesundheitswesen.“ Bis zum Sommer will er einen Gesetzentwurf vorlegen. Im Interview mit Tobias Schmidt wirbt Lauterbach auch intensiv für seine Krankenhausreform.

Herr Lauterbach, zwei Jahre Ukraine-Krieg, und viele fürchten eine weitere Eskalation. Es klingt bitter, aber trotzdem: Wäre unser Gesundheitswesen für einen militärischen Konflikt gewappnet?

Die Pandemie hat gezeigt: Unser Gesundheitswesen ist nicht ausreichend für Szenarien gewappnet, die wir lange für undenkbar gehalten haben. Deswegen haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Strukturen für große Krisen besser zu rüsten. Nach dem verbrecherischen russischen Angriff auf die Ukraine hat diese Herausforderung leider an Bedeutung gewonnen. Und deswegen haben wir eine Gesetzeslücke, die wir angehen, um für einen Katastrophenfall oder sogar einen militärischen Bündnisfall – so unwahrscheinlich er ist – vorbereitet zu sein.

Was genau fehlt?

Im Krisenfall muss jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun ist. Wir brauchen klare Zuständigkeiten – etwa für die Verteilung einer hohen Zahl an Verletzten auf die Kliniken in Deutschland. Auch die Meldewege müssen klar sein, die Möglichkeiten von Patientenverlegungen im gesamten Bundesgebiet. Die Vorschriften zur Bevorratung reichen nicht aus. Schließlich muss für den Krisenfall der Einsatz und die Verteilung von medizinischem Personal geklärt sein. Und all das muss geübt werden.

Sie halten es für notwendig, das Gesundheitswesen „kriegstüchtig“ zu machen?

Wie gesagt: Man war Ende der 80er Jahre der Überzeugung, mit solchen Fragen müssten und sollten sich Ärzte erst gar nicht beschäftigen. Das sei die beste Vorbeugung, dachte man. Aber das war ein Schritt in die falsche Richtung. Ja, wir müssen uns nicht nur für künftige Pandemien besser aufstellen, wie wir es mit dem neuen Infektionsschutzgesetz getan haben. Wir müssen uns auch für große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte besser aufstellen.

Fürchten Sie nicht den Vorwurf der Panikmache?

Nein. Es wäre albern zu sagen, wir bereiten uns nicht auf einen militärischen Konflikt vor, und dann wird er auch nicht kommen. Nach der Logik bräuchte man auch keine Bundeswehr. Nichtstun ist keine Option. Es braucht auch eine Zeitenwende für das Gesundheitswesen. Zumal Deutschland im Bündnisfall zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verletzten und Verwundeten auch aus anderen Ländern werden könnte. Wir haben schon heute so viele schwerstverletzte Menschen aus der Ukraine zur Behandlung aufgenommen wie kein anderes europäisches Land, es sind knapp 1000.

Wann wollen Sie das Gesetz auf den Tisch legen?

Das muss gut vorbereitet sein. Wir haben uns schon mit Spezialisten der Bundeswehr ausgetauscht und arbeiten mit dem Verteidigungs- und dem Innenministerium zusammen. Ich rechne damit, dass wir einen Gesetzentwurf dazu im Sommer vorlegen, der dann zeitnah vom Kabinett auf den Weg gebracht wird.

Zu Ihren Großbaustellen gehört auch die Krankenhausreform. Kommt sie rechtzeitig, um das große Kliniksterben noch abzuwenden?

Die Finanzierung der Übergangsphase bis zum Start der Krankenhausreform ist voraussichtlich abgesichert. Wir können die Krankenhäuser mit sechs Milliarden Euro an Liquiditätshilfen und dem Ausgleich für höhere Gehälter des Krankenhauspersonals unterstützen. Dazu kommen noch einmal bis zu 2,6 Milliarden Euro aus dem Krankenhausstrukturfonds. Zusätzlich noch Energiehilfen von bis zu 2 Milliarden. Spektakuläre Summen, die zeigen, wie ineffizient das System ist. Und ab 2026 fließen dann die Mittel aus dem 50 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds, damit sich die Struktur endlich ändert. Also ja: Wenn das Transparenzgesetz wie geplant am 22. März vom Bundesrat beschlossen wird, kann ein Krankenhaussterben in diesem und dem kommenden Jahr abgewendet werden. Aber wenn wir die große Krankenhausreform mit den Ländern nicht hinbekommen, werden manche Häuser in den nächsten Jahren untergehen wie Steine im Wasser.

Die Reform soll für bessere Behandlungen sorgen und die Personalnot lindern, indem die Krankenhauslandschaft zentralisiert wird. Wie viele Häuser werden auf der Strecke bleiben?

Klar ist: Wir können nicht jedes Jahr zehn Milliarden Euro und mehr in defizitäre Kliniken stecken. Viele Häuser machen Verluste, auch weil sie bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen, mit denen sie in der Vergangenheit Geld verdient haben, um ihr Budget zu erreichen. Dafür fehlt es heute an Personal, und es gibt auch nicht mehr den medizinischen Bedarf. Es gibt zu viele Betten, zu viele Krankenhäuser, weil vieles schlicht nicht mehr stationär behandelt werden muss, sondern ambulant oder gar nicht. Das System ist nicht überlebensfähig, aufgebläht und veraltet. Aber beim Übergang zum neuen System werden wir alle Kliniken, die auf Dauer gebraucht werden, am Leben erhalten. Ihre wirtschaftliche Lage wird sich klar verbessern. Das gilt insbesondere für die Kliniken im ländlichen Raum, die sonst keine Chance hätten, aber die Versorgung vor Ort sichern.

Warum gibt es dann noch immer so viel Widerstand aus den Ländern gegen die Reform?

Wenn die große Krankenhausreform, an der wir seit fast zwei Jahren arbeiten, nicht kommt, wäre das für die Krankenhauslandschaft und die Gesundheitsversorgung natürlich eine Katastrophe. Das haben auch alle Bundesländer, auch die von der Union regierten, verstanden, außer Bayern. Bayern verweigert bisher als einziges Land die konstruktive Zusammenarbeit. Daher erwarte ich nicht, dass das Gesetz vom Bundesrat in den Vermittlungsausschuss geschickt wird, sondern dass wir durch aktive gemeinsame Arbeit mit den Ländern eine breite Mehrheit zustande bekommen. Die nächste Etappe ist aber erst der Kabinettsbeschluss, mit dem ich am 24. April rechne.

Schon zum 1. April soll die Cannabis-Legalisierung kommen. Der Besitz von 50 Gramm der Droge wird dann erlaubt. Wissen Sie, wie viele Joints man damit bauen kann?

Ja. Aber es ist müßig, darüber zu streiten. Ich weiß ja, worauf Sie hinauswollen.

Meine Quellen sagen, für einen Joint reichen 0,07 Gramm Cannabis. Mit 50 Gramm ließen sich 714 Tüten drehen. Ist das nicht viel zu viel?

Die Zahl ist falsch. Aber wie auch immer: Wenn jeder z.B. nur fünf Gramm im Club oder Selbstanbau besitzen dürfte, könnten wir den Schwarzmarkt nicht trockenlegen und wir könnten uns die Aktion sparen. Den Schwarzmarkt zu ersetzen ist aber das Ziel, damit Kinder, Jugendliche, junge Leute besser vor kriminellen Dealern und verbrecherischen Banden geschützt werden. Und nur, weil man als Mitglied eines Kiffer-Clubs 50 Gramm Cannabis pro Monat beziehen kann, wird man das ja nicht tun, um das auch wegzurauchen. Wir führen ja keinen Mindestverzehr ein.

Und wenn sich die Länder querstellen, verraucht die Reform?

Ich glaube nicht, dass das Gesetz im Bundesrat aufgehalten wird, sondern dass es zum 1. April in Kraft treten kann. Allen ist klar: Unsere bisherige Drogenpolitik ist gescheitert. So wie es ist, darf es nicht bleiben. Immer mehr Jugendliche kiffen. Und auch die Erwachsenen müssen wir vor dem immer brutaleren Drogenmarkt schützen. Minderjährige aufklären; Entkriminalisierung des Konsums von Erwachsenen; Bekämpfung des Schwarzmarktes: Das ist die Kombination, die auch renommierte Suchtforscher richtig finden. Und schon die Debatte über das Gesetz und unsere Kampagne haben dafür gesorgt, dass vielen jungen Leuten klar geworden ist: Achtung, das ist Gehirngift. Mit Cannabis kann man sich doof rauchen.