„Unsere Botschaft: Wir Demokraten stehen zusammen gegen Hass und Hetze!“ So überschreibt der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet seinen Gastbeitrag, um den wir ihn für unsere Schwerpunktausgabe „Aufstehen für die Demokratie“ gebeten haben.
Gastbeitrag von Armin Laschet„Wir Demokraten stehen zusammen gegen Hass und Hetze!“
Seit einigen Wochen gehen deutschlandweit und auch in Nordrhein-Westfalen Hunderttausende Menschen auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Das ist ein ermutigendes Signal. Es sagt aus, dass uns unsere Demokratie am Herzen liegt. Wir wollen ein freies Land bleiben, in dem Menschen ohne Hass und Hetze ihre Vielfalt, ihre Überzeugungen und ihre Religion leben dürfen. Zu uns gehören Menschen, die hier geboren wurden und Menschen, die zugewandert sind.
Die Grundlage unseres Zusammenlebens ist das Grundgesetz. Es schützt unsere Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und vor allem die Würde des Menschen. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland verlassen wir uns darauf, dass das Grundgesetz uns diese Rechte garantiert.
Ein starker Föderalismus war den Müttern und Vätern des Grundgesetzes wichtig. Die Rolle der 16 deutschen Länder bei der Gesetzgebung des Bundes und ein starkes Bundesverfassungsgericht sollen extremistische Positionen verhindern und behindern.
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Das reicht aber nicht. Die Gefahren für eine Demokratie zu bannen, kann nicht allein einer Verfassung überlassen werden. Vielmehr ist es eine Frage der politischen Kultur und der Stärke der Demokraten eines Landes, ob extremistische Kräfte an die Macht kommen oder nicht.
Manche sagen, so schlimm wird es schon nicht, wenn die AfD regieren würde. Natürlich ist die Situation heute nicht mit 1933 zu vergleichen. Die AfD ist keine NSDAP. Dennoch ist es wichtig, dass die Demokraten in unserem Land zusammenstehen.
Würde in einem ostdeutschen Land ein AfD-Politiker Ministerpräsident werden, hätte er Zugriff auf die Sicherheitsbehörden, auf die Ernennung der Polizeipräsidenten, auf den Verfassungsschutz, die Medienaufsicht und die Staatsanwaltschaften einschließlich der Ernennung der Richter.
Man kann die Mechanismen der Macht und die Gefahren für die Demokratie sehr gut analysieren und Lehren daraus ziehen. Die entscheidenden Schritte zur Machtübernahme ergriffen die Nationalsozialisten 1933 in weniger als zwei Monaten: bei der letzten freien Reichstagswahl im November 1932 verloren die Nazis 2 Millionen Stimmen und kamen auf 33 Prozent. Im Wahlkreis Köln/Aachen bekamen sie sogar nur 17 Prozent.
Und dann wurde Hitler Reichskanzler. Manche sagten, wir ernennen ihn mal, in zwei Monaten würde er „quietschen“. Er würde keinen Erfolg haben. Zudem gehörten außer Wilhelm Frick und Hermann Göring alle anderen Minister noch immer demokratischen Parteien an.
Was ist in diesen zwei Monaten passiert?
Am 30. Januar wird Hitler Reichskanzler, am 1. Februar wird der Reichstag aufgelöst, am 3. Februar verkündet Hitler die rücksichtlose Germanisierung und die Gewinnung von Lebensraum im Osten, am 4. Februar werden die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt, am 22. Februar werden SS und SA zur Hilfspolizei ernannt, am 27. Februar brennt der Reichstag. In der Folge werden weitere Grundrechte durch Verordnungen außer Kraft gesetzt. Am 5. März wird der Reichstag neu gewählt. Mit 44 Prozent erhalten die Nazis wieder keine absolute Mehrheit. Am 11. März wird Joseph Goebbels Propagandaminister, am 22. März wird das Konzentrationslager Dachau eröffnet und am 23. März wird das Ermächtigungsgesetz erlassen. Es ist das Ende der Demokratie in Deutschland.
Deshalb dürfen Extremisten keine Verantwortung in unserem Staat erhalten. Wenn sie solche Funktionen übernehmen, werden sie sie für ihre Ziele nutzen. Wir dürfen den Feinden der Demokratie keine Macht überlassen, nur um zu zeigen, dass sie es nicht können.
In Anbetracht der Wahlergebnisse und der Umfragewerte, die die AfD derzeit erzielt, müssen wir uns fragen, wie es so weit überhaupt kommen konnte?
Sicher haben die Krisen unserer Zeit den Menschen viel abverlangt. Die hohe Zahl an Flüchtlingen ist eine Herausforderung für unser Land. Die Corona-Pandemie hat zu vorübergehenden Einschränkungen einiger Grundrechte geführt. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Terror der Hamas gegen Israel nähren auch in Deutschland die Sorge vor Krieg. Die Inflation, die hohen Energiepreise und viele andere ungelöste Probleme wirken auf die Menschen ein. Diese Ängste spiegeln sich auch in Wahlergebnissen wider. Die AfD in der politischen Auseinandersetzung zu bekämpfen, heißt eben, Antworten darauf zu geben.
Das erklärt aber nicht, warum wir schon lange den Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft unterschätzen. Die Mitglieder des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“ haben jahrelang Menschen türkischer und griechischer Herkunft in Deutschland ermordet. Der Mord an Walter Lübcke, dem Regierungspräsidenten im hessischen Bezirk Kassel, Anschläge auf Synagogen oder auch die Pläne der Reichsbürgerbewegung unter Einbindung einer ehemaligen AfD-Abgeordneten, in Deutschland einen Putsch herbeizuführen, hätten für alle Demokraten schon lange Anlass zu Protest und Demonstrationen sein müssen.
Wir können in der Sache unterschiedlicher Meinung sein, auch bei stärker polarisierenden Themen wie Zuwanderung, Europa, Impfpflicht oder Kernenergie. Aber an oberster Stelle muss dabei stets Respekt stehen. Politischer Diskurs kann nur zu guten Ergebnissen führen, wenn er ohne Hass und Hetze stattfindet. Demokratie bedeutet, dass sich jeder dafür einsetzen muss, dass ein anderer auch eine Meinung äußern darf, die man ablehnt. Wer aber plant, „aufzuräumen“, „wohltemperierte Grausamkeiten“ ankündigt und den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ verunglimpft, kann diese Toleranz nicht erwarten.
Die Demokratie wird nicht durch einen Putsch oder durch eine Revolution beendet. Dieser Prozess geht schleichend vor sich. Deshalb ist es so wichtig, zusammenzustehen und die AfD von politischer Verantwortung fernzuhalten. Zusammen mit der großen Mehrheit der Demokraten in unserem Land stehen wir dafür ein. Der Philosoph Edmund Burke hat es auf den Punkt gebracht: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun!“
Es ist besser, etwas zu tun – jetzt und hier!
Armin Laschet