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Interview

Auto-Expertin über VW
„Es ist utopisch, hier ein 20.000-Euro-E-Auto zu produzieren“

Lesezeit 4 Minuten
Baunatal: Blick auf den Schriftzug „Volkswagen“ an einem Werksgebäude.

Baunatal: Blick auf den Schriftzug „Volkswagen“ an einem Werksgebäude.

Auto-Expertin Helena Wisbert erklärt, warum Volkswagen mit Problemen kämpft, die andere deutsche Hersteller nicht haben

Volkswagen steckt in der Krise. Der Wolfsburger Konzern habe Probleme, die andere deutsche Hersteller so nicht haben, sagt VW-Expertin Helena Wisbert, Professorin an der Ostfalia-Hochschule in Wolfsburg und Direktorin am Duisburger CAR-Institut, im Gespräch mit Maik Nolte.

Frau Wisbert, die Ankündigung von Volkswagen, ein massives Sparprogramm auflegen zu müssen, kam gefühlt aus heiterem Himmel. Aber die Krise hat sich doch vermutlich schon länger angebahnt?

Die Kurzfristigkeit der Ankündigung kam überraschend. Aber die Halbjahreszahlen hatten ja schon gezeigt, dass das bisherige Sparprogramm nicht ausreicht. Eine Umsatzrendite von 2,3 Prozent im ersten Halbjahr reicht natürlich nicht, das ist viel zu weit weg vom Zielkorridor von über 6 Prozent. Und zu gering, um die Milliardeninvestitionen zu finanzieren, die Volkswagen sich auferlegt hat, um zukunftsfähig zu bleiben – also die Batteriezellfertigung aufzubauen oder in die Software zu investieren. Die Rechnung ging jetzt eben nicht mehr auf. Und deswegen hat Volkswagen drastische Schritte zumindest in Erwägung gezogen.

Aber vor diesem Investitionsdruck stehen doch eigentlich alle Hersteller. Was ist bei VW da anders?

Volkswagen kann bei seiner Kernmarke nicht aus dem Vollen schöpfen, weil dort nicht so viel Marge zu erzielen ist wie bei den Premiumherstellern. Die können ihren Kunden Preisbausteine wie etwa für neue Infotainmentsysteme und Fahrassistenzsysteme noch obendrauf packen – Volkswagen dagegen, das ja immer im Volumensegment unterwegs war, kann das nicht. Und der Preisbaustein „Made in Germany“ funktioniert auch nicht mehr, weil der Wettbewerb stärker geworden ist. Dass Volkswagen das ganze Jahr über massiv Rabatte von teils bis zu 20 Prozent gewährte, hat die Marge noch stärker geschmälert. Bei dem großen Volumen sind das Millionen, die so über die Jahre in die Verkaufsförderung fließen – das Problem haben Mercedes und BMW so nicht. Und dann hat Volkswagen immer noch die große Stütze China gehabt, wo über 30 Prozent des Absatzes erzielt wurden – und da geraten sie nun auch unter Druck. Deswegen lässt sich das alles im Moment nicht mehr so gut auffangen.

Hat das lukrative China-Geschäft in den letzten Jahren vielleicht auch die Probleme ein bisschen übertüncht?

Ja, China hat gut funktioniert. Hohe Margen, hohe Absatzzahlen, Volkswagen war dort Marktführer – verliert nun aber seit anderthalb Jahren Marktanteile. Vor allem, weil Elektro- und Hybridautos mittlerweile über 50 Prozent der Neuzulassungen in China ausmachen. Und bei den E-Autos, mehr noch bei den Plug-in-Hybriden, sind die deutschen Autobauer eigentlich gar nicht präsent. Außerdem ist in China, anders als hier, das Preisniveau von Elektroautos und Verbrennern gleich – mit E-Autos verbrennt man dort eher Geld. Zwar verdienen auch die ganzen neuen Autobauer kein Geld mit ihren Elektroautos, aber sie sind quasi noch in der Investitions- und Entwicklungsphase und versuchen erstmal, überhaupt in den Markt reinzukommen – und drücken dafür die Preise massiv. China ist also keine starke Stütze mehr. Und wenn jetzt in Deutschland und Europa der Absatz sinkt, dann wird es eben schwierig.

Baut VW womöglich schlicht und einfach die falschen Modelle? Das vielzitierte 25.000-Euro-E-Auto etwa lässt ja auf sich warten.

Tatsächlich hat Volkswagen es nicht geschafft, im Elektroauto-Segment solche Modelle anzubieten. Die sind zwar angekündigt, das 25.000-Euro-Auto soll nächstes Jahr in die Produktion gehen, aber das 20.000-Euro-Auto steht noch in den Sternen. Da war ja mal eine Kooperation angedacht, aber die Arbeitnehmervertretung hat nicht mitgespielt, weil sie das Auto in Deutschland herstellen wollte – und es ist einfach utopisch, hierzulande ein 20.000-Euro-Elektroauto zu produzieren. Zudem sind die Anforderungen vonseiten der EU schärfer geworden in den letzten Jahren, nicht nur bei CO2-Emissionen, sondern zum Beispiel auch bei der Cybersecurity-Richtlinie. Da sind einzelne Modelle wie der Up eben rausgeflogen, weil es sich aus Volkswagen-Sicht anscheinend nicht gerechnet hat, die zu überarbeiten und weiterlaufen zu lassen. Das Produktportfolio wurde also ausgedünnt, neue Modelle lassen auf sich warten – und weniger Modelle bedeuten auch weniger Marktsegmente, die bedient werden können.

Marktbeobachter erwarten im kommenden Jahr einen sehr harten Preiskrieg im E-Auto-Sektor, weil die Hersteller vor dem Hintergrund der schärferen CO2-Flottengrenzwerte gezwungen sind, ihren E-Auto-Absatz massiv zu erhöhen. Rechnen auch Sie damit?

Ja, auf jeden Fall. In China ist der Preiskampf bereits in vollem Gange. Wir hatten das auch schon im vergangenen Jahr, als viele Hersteller ihre Listenpreise gesenkt haben, nachdem Tesla damit angefangen hatte. Um die Neuzulassungszahlen nach oben zu ziehen, haben manche Hersteller in einzelnen europäischen Märkten beispielsweise schon Leasingraten von 50 Euro angeboten oder Pflegeeinrichtungen kleine E-Auto-Flotten zur Verfügung gestellt. Im nächsten Jahr werden wir wieder Rabatte über 25 Prozent sehen.