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Start im MärzSchnelltests für alle – was bringen sie wirklich?

Lesezeit 4 Minuten
schnelltest

Ein Mitarbeiter des Covid 19-Schnelltest-Zentrums Düsseldorf wartet auf das Ergebnis eines Schnelltests.

Deutschland fällt bei der Pandemie-Bekämpfung zurück. Die Impfkampagne kommt nicht recht auf Touren, die Gesundheitsämter schaffen es nicht, Kontakte nach Infektionen ausreichend nachzuverfolgen, und die Corona-Warn-App gilt als Ausfall. Auch beim Testen gibt es erhebliche Defizite. Dabei wäre eine wirkungsvolle Teststrategie eine der Alternativen zum jetzigen Lockdown.

Einen Plan für eine bessere Teststrategie haben die beiden Marburger Forscher Alexander Markowetz und Martin Hirsch vorgelegt. Markowetz lehrt Informatik an der Philipps-Universität, sein Kollege Hirsch beschäftigt sich in der Medizinischen Fakultät mit Fragen der Künstlichen Intelligenz. Die beiden schlagen vor, eine App zu entwickeln, in die jeder das Ergebnis eines Corona-Selbsttests eingeben kann und bei negativem Befund einen Frei-Code erhält. Mit diesem Code könn te die Person dann Restaurants, Konzerte, Ladengeschäfte oder Friseursalons besuchen.

Die Idee der beiden Marburger Computerspezialisten findet in der Wissenschaft Beifall. Der Berliner Mobilitätsforscher Kai Nagel, der das Kanzleramt in Corona-Fragen berät, fand den Plan „durchaus plausibel“. Auch der Chefvirologe der Universität Köln, Florian Klein, begrüßt ausdrücklich solche Gedankenexperimente.

Schnelltests bereits im März in Apotheken

Tatsächlich dürfte es schon im März Schnelltests in größerer Zahl geben, die Menschen in einer Apotheke kaufen können. War es bislang nur Ärzten oder medizinischem Personal erlaubt, die Teststäbchen in den Rachen oder die Nase der Testpersonen einzuführen, so hat das Bundesgesundheitsministerium seit Anfang dieses Monats auch Selbsttests im Grundsatz möglich gemacht. „Wenn 90 Prozent der Leute, die das Virus weitertragen können, im Vorfeld rausgefischt werden, müsste das ausreichen“, meint der Telematik-Professor Nagel.

Dafür müssten die Hersteller von Tests gewaltig aufrüsten. Wollte sich jeder Bundesbürger in der Woche einmal selbst testen, hätten die Anbieter jeden Monat rund 330 Millionen Antigen-Schnelltests bereitzustellen. Ganz unrealistisch ist diese Größenordnung nicht. Allein der Schweizer Hersteller Roche hat angekündigt, 100 Millionen Tests monatlich auszuliefern. In Österreich, das seit der vergangenen Woche wieder die Geschäfte, Museen und Schulen geöffnet hat, wurden in nur einer Woche eine Million Tests gemeldet – bei 8,8 Millionen Einwohner.

Viele offene Fragen

Auch sind noch viele Fragen ungeklärt. Reichen die Testergebnisse auch bei den ansteckenderen Corona-Varianten? Ist die App sicher genug, um Betrug auszuschließen? Wie könnten ergänzende Kontrollen aussehen? Wer bezahlt die Tests? Derzeit steht die Ausweitung der Testkapazität in der politischen Agenda nicht weit oben. Nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts hat sich auch d es maximal Umfang der zuverlässigeren PCR-Tests seit Anfang Dezember nur langsam erhöht. In der ersten Dezember-Woche konnten täglich knapp 330 000 PCR-Proben ausgewertet werden. In der zweiten Februarwoche waren es 347 000.

Dabei wird die Kapazität noch nicht einmal ausgeschöpft. So sind pro Woche 2,3 Millionen PCR-Tests möglich, aber nur die Hälfte wird tatsächlich durchgeführt.

Auch im Vergleich zu anderen Industrieländern wird in Deutschland deutlich weniger getestet. Das kleine Dänemark hat bis Ende 2020 viereinhalb Mal so viele PCR-Tests pro 1000 Bewohner ausgewertet wie Deutschland. Israel, Großbritannien und die USA testen ebenfalls erheblich mehr als die Deutschen. Die beiden Ökonomen Paul Welfens und Thomas Gries, die an den Universitäten Wuppertal und Paderborn lehren, haben errechnet, dass für eine Alternativstrategie zum Lockdown pro Tag knapp neun Millionen Tests erforderlich wären. Der Aufbau der erford erlichen Infrastruktur würde im ersten Halbjahr nach dem Modell der beiden Wirtschaftsprofessoren knapp 30 Milliarden Euro kosten oder 0,8 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

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Allerdings kostet der Lockdown schon jetzt jeden Monat ein Prozent der Wirtschaftsleistung. „Die Test-Lücke zu Dänemark wird immer größer“, kritisiert Welfens die mangelnden Anstrengungen in Deutschland. „Es gibt noch nicht einmal in jeder Stadt ein Testzentrum.“ Noch immer ist es noch nicht einmal in vielen Heimen und Pflegeeinrichtungen selbstverständlich, dass Besucher sich vorher testen lassen. „Man könnte in allen größeren Betrieben oder Schulen Testzentren einrichten“, glaubt Wirtschaftsexperte Welfens, der die gemeinsame Studie demnächst in einem Fachmagazin veröffentlichen will.

In einem ersten Schritt könnte Deutschland seine Testkapazitäten so anpassen, dass sie bezogen auf die Bevölkerung vergleichbar mit Dä nemark oder Israel sind. Die Tests wären dann nicht nur bei Symptomen, sondern auch für Reihenuntersuchungen möglich. Wenn dann noch private Schnelltests ähnlich wie bei den Masken hinzukämen, würde das eine echte Alternative zum Lockdown darstellen. Eine solche Maßnahme müsste dann nur noch regional erfolgen, wenn es lokale Ausbrüche gibt.

„Wenn wir lockern wollen, brauchen wir ein kombiniertes Vorgehen“, empfiehlt Merkel-Berater Nagel. Dazu gehörten Schnelltests, medizinische Atemschutzmasken, der raschere Ausbau der Impfkapazitäten sowie gute Lüftungen. Auch damit könnten die Infektionszahlen rasch sinken.