Berlin – Treffen sich ein Astronaut, ein Bundestrainer und eine Schauspielerin in Berlin, um Politik zu machen, dann ist das nicht der Beginn einer bizarren Geschichte, sondern die 17. Bundesversammlung, die am Sonntag zusammenkommt. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten sind nämlich nicht nur die Stimmen der Bundestagsabgeordneten gefragt, sondern, in gleicher Summe, auch die von Landtagsabgeordneten, Personen des öffentlichen Lebens oder Menschen aus der Breite der Gesellschaft. Dass die mitwählen dürfen, war die Idee von Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten.
Große mediale Aufmerksamkeit bekommt die Bundesversammlung allerdings erst seit ein paar Jahren. Da laufen Schauspielerinnen und Moderatoren gemeinsam mit Sportlerinnen und Wissenschaftlern auf. So auch am Sonntag: Neben Bundestrainer Hansi Flick sind auch Astronaut Alexander Gerst und Schauspielerin Sibel Kikelli („Gegen die Wand“) nach Berlin eingeladen. Dort können sie mit Bayern-Profi Leon Goretzka und Komiker Dieter Nuhr den Auftritt der Dragqueen Gloria Viagro bestaunen, die ebenfalls zu den Delegierten gehört.
So funktioniert die Wahl des Bundespräsidenten
Zum 17. Mal tritt am Sonntag, dem 13. Februar, die Bundesversammlung zusammen, um den Bundespräsidenten zu wählen. Sie ist die größte parlamentarische Versammlung der Bundesrepublik und kommt in der Regel nur alle fünf Jahre zusammen. Diesmal dürfen 1472 Menschen ihre Stimme abgeben – die eine Hälfte besteht aus den Mitgliedern des Bundestags, die anderen Delegierten werden von den Landesparteien bestimmt. Dabei sind Landtagsabgeordnete, aber auch Personen des öffentlichen Lebens.
Zur Wahl stehen neben dem amtierenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier von der SPD der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert als parteiloser Kandidat für die Linke, Astrophysikerin Stefanie Gebauer für die Freien Wähler und Max Otte (CDU), Chef der Werte-Union, der von der AfD nominiert wurde.
Große Chancen dürften sich die anderen Kandidaten neben Steinmeier allerdings nicht ausrechnen. Die Wahl des Sozialdemokraten gilt schon jetzt als sicher: Ihn unterstützen sowohl die Koalitions- als auch die Unionsparteien. Daher könnte der neue alte Bundespräsident bereits nach einem Wahlgang feststehen. (ebu)
Doch die Prominenz kommt nicht nur aus Kultur und Sport, auch bekannte Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft gehören zur Bundesversammlung, die diesmal unter Pandemiebedingungen stattfindet. Statt im Reichstag wird nebenan im Paul-Löbe-Haus gewählt, das für die Dauer der Wahl den Status eines Plenarsaals erhält. Über fünf Stockwerke verteilen sich die Wählenden, um das Infektionsgeschehen einzudämmen.
Prominenz aus der Breite der Gesellschaft
Das dürfte nicht nur dem Virologen Christian Drosten gefallen, der von den Grünen aus Berlin für die Wahl nominiert wurde, sondern auch Biontech-Gründerin Özlem Türeci, die die SPD aus NRW schickt. Auch die Intensivmedizinerin Dr. Carola Holzner, die besser unter dem Namen „Doc Caro“ bekannt ist, darf ihre Stimme abgeben. Auf Youtube, Instagram und Facebook klärt sie auf über Krankheitsbilder, den Alltag in Medizinberufen und über das Coronavirus und seine Folgen. Die Expertise der Wählenden beschränkt sich allerdings in keiner Weise nur auf die Medizin. Da ist etwa Benjamin List, Chemiker und Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, der 2021 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Ihn hatte die CDU-NRW ins Rennen geschickt.
Für einen Experten in Sachen Schauspiel entschied sich die nordrhein-westfälische SPD bei der Ernennung des Delegierten Leonard Lansink. Mit grimmigem Blick, schütterem Haar und der Aufgeregtheit eines Backsteins ist er Fernsehzuschauern wohl besser als Privatdetektiv Georg Wilsberg bekannt. Seit 1998 spielt er den Ermittler in den Münster-Krimis, die regelmäßig beste Quoten einfahren.
Viel Aufmerksamkeit bekam im letzten Jahr auch Carolin Weitzel. Sie ist CDU-Bürgermeisterin in Erftstadt und erlangte traurige Berühmtheit durch die Flutkatastrophe, die dort viel Schaden anrichtete. Sie darf für die NRW-CDU nach Berlin, Patrick Schöneborn für die nordrhein-westfälische SPD. Er mag den wenigsten bekannt sein – und doch steht auch er sinnbildlich für hunderte Menschen, die durch die Flutkatastrophe alles verloren haben. Sein Haus zerstört, seine ganze Existenz einfach weggespült. Vor der Flut war der Feuerwehrmann einmal Fraktionsvorsitzender der SPD in Schleiden in der Eifel. Seine politischen Ämter hat er nach dem Hochwasser aufgegeben. Dass er zur Bundesversammlung nach Berlin darf, stimme ihn nachdenklich, sagte Schöneborn der Rundschau. Er hätte gern darauf verzichtet, als Repräsentant für das Leid so vieler Menschen zu gelten. Dennoch ist da Freude: „Ich kleines Eifellicht darf nach Berlin unser Staatsoberhaupt wählen.“
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Das darf auch Johanne Börgermann aus Löhne. Die 19-Jährige dürfte eine der jüngsten Delegierten sein und ist trotzdem bereits durch ihr Engagement aufgefallen. Im Vorstand der Landessschüler:innenvertretung (LSV) hat sie kürzlich eine Petition gestartet, um auf die prekäre Lage von Schülerinnen und Schülern durch die Corona-Pandemie aufmerksam zu machen. Als ihr SPD-Parteifreund Thomas Kutschaty, Landesvorsitzender in NRW, sie nach ihrer Matheklausur anrief und fragte: „Wie wär’s (mit der Bundesversammlung)?“, dachte sie: „Der meint bestimmt jemand anderes.“
Meinte er nicht. „Als ich das realisiert habe, war die Freude natürlich groß. Das ist eine riesengroße Ehre.“ Drei Tage vor Wahl ist die Aufregung genau so groß wie die Vorfreude, sagt Börgermann. Ob sie sich auf einen der Delegierten besonders freut? „Meine Freunde würden jetzt sicher sagen: Leon Goretzka. Aber ich denke da anders. Wir sehen da ja ein Abbild der Gesellschaft, da ist jeder wichtig. Deswegen freue ich mich auf alle gleich.“