Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will nach dem überraschend bekannt gemachten Corona-Impfstoffmangel zum Start ins neue Jahr schnell Klarheit schaffen. Eine Inventur habe ergeben, dass in den ersten drei Monaten 2022 nach jetzigem Stand deutlich weniger Impfstoff ausgeliefert werden könne als derzeit wöchentlich verimpft werde, sagte ein Ministeriumssprecher. Wie groß die Lücke konkret ist, ließ das Ministerium zunächst offen. Ärzte reagierten alarmiert, von SPD und FDP kam Kritik in Richtung von Ex-Minister Jens Spahn (CDU). Die Union verwahrte sich gegen Vorwürfe und verurteilte Lauterbachs Vorgehen.
Mit dem Ergebnis der Inventur hatte der neue Minister viele aufgeschreckt. „Wir haben einen Impfstoffmangel für das erste Quartal“, hatte Lauterbach am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ verkündet. Und gleich hinzugefügt, er arbeite bereits auf allen Kanälen daran, den Mangel zu beseitigen.
Impfpflicht bereits im Blick
Doch wie viele Extra-Dosen werden wann und wofür gebraucht? Primär gehe es darum, die ersten Wochen im Januar vernünftig zu gestalten, so das Ministerium – dann aber auch das ganze erste Quartal. Im Blick habe man dabei weiter breit angelegte Auffrischimpfungen mit Blick auf die neue Omikron-Variante, aber auch Nachschub für die beschlossene Impfpflicht für Personal in Pflegeheimen und Gesundheitseinrichtungen – sowie eine mögliche allgemeine Impfpflicht.
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Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte gestern das Ziel von bis zu 30 Millionen Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen. Davon seien 19 Millionen geschafft. Auch Spahn hatte zugesichert, dass dieses Ziel nicht am Impfstoff scheitern werde. Mit Stand von Montag waren laut Ministerium 19 Millionen Dosen von Biontech und Moderna noch nicht als verwendet gemeldet. Mit Stand von Dienstag sollen in den beiden Wochen vom 20. und vom 27. Dezember insgesamt 22 Millionen Dosen nachkommen.
Ärzte-Chef: „Fatales Signal“
Tatsächlich läuft die lange stockende Impfkampagne auf Rekordtempo – zuletzt gab es mehr als sechs Millionen Impfungen in einer Woche. Um ein ähnliches Niveau zu halten, könnte also mehr Nachschub erforderlich sein als gedacht. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, nannte die Nachricht vom Impfstoffmangel deshalb ein „fatales Signal“.
NRW vollzieht Kehrtwende beim Boostern
Nur zwei Tage nach ihrem Aufsehen erregenden „Booster-Erlass“ hat die Landesregierung NRW am Mittwoch eine Kehrtwende vollzogen: In den kommunalen Impfstellen sollen sich doch nur Menschen eine Auffrischung spritzen lassen können, „deren Grundimmunisierung mindestens vier Monate zurückliegt“. Empfohlen werden weiterhin fünf Monate Abstand. Nur in Einzelfällen „aufgrund einer medizinischen Indikation“ soll auch schon nach vier Wochen geboostert werden.
Das NRW-Gesundheitsministerium korrigierte dies in einem neuen Erlass. Am Montag noch hatte die Landesregierung mit der Nachricht bundesweites Aufsehen erregt, dass in NRW Boostern für alle schon nach nur vier Wochen Abstand zur Zweitimpfung möglich sei. Obwohl Ärzte das umgehend für unsinnig erklärten, verteidigte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die neue „Untergrenze“ am Dienstag offensiv.
SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty sprach von einem „kommunikativen Desaster“. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) übte ebenfalls scharfe Kritik: Die Nachricht habe vorübergehend zu „Irritationen in den Praxen und langen Schlangen vor den Impfstellen“ geführt, hieß es. (tb/kf)
Politisch kochte der Streit umgehend hoch. „Statt verantwortungsvoll vorzusorgen, hinterlässt die Vorgängerregierung leere Vorratslager“, so die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nannte den festgestellten Mangel „schwer irritierend“.
Für die Union sprang der neue gesundheitspolitische Sprecher Tino Sorge (CDU) in die Bresche. „Karl Lauterbach ruft Feuer, um dann Feuerwehr zu spielen – obwohl er weiß, dass es gar nicht brennt“, monierte er in einem Schreiben an seine Fraktionskollegen. Im ersten Quartal 2022 seien bereits mehr als 16 Millionen Dosen von Biontech und Moderna pro Monat zu erwarten, erläuterte Sorge. Dies sei auch genug, um bei gut zwölf Millionen ungeimpften Erwachsenen noch Erst- und Zweitimpfungen machen zu können. (dpa)