AboAbonnieren

Interview mit Impfstoff-Kontrolleur Cichutek„Die Impfung ist das Mittel der Wahl“

Lesezeit 4 Minuten
Cichutek paul ehrlich

Klaus Cichutek, Präsident der Zulassungsbehörde Paul-Ehrlich-Institut 

Die noch ansteckendere Omikron-Variante des Coronavirus breitet sich rasend schnell aus. Doch schon bald könnte ein neuer Impfstoff kommen, weckt Klaus Cichutek, Präsident der Zulassungsbehörde Paul-Ehrlich-Institut, im Interview mit Tobias Schmidt Hoffnung. Er appelliert aber an die Bürger, nicht auf das Vakzin zu warten: Sich jetzt impfen oder boostern zu lassen, sei „das Mittel der Wahl“ gegen schwere Corona-Erkrankungen und „dringlich geboten“.

Herr Professor Cichutek, Biontech und Moderna arbeiten mit Hochdruck an Omikron-Impfstoffen. Kann das wirklich schnell gehen?

Ja, drei bis vier Monate erscheinen durchaus realistisch bei mRNA-, vielleicht auch bei Vektor-Impfstoffen, deren Originalimpfstoff bereits zugelassen ist. Die Hersteller der mRNA-Impfstoffe (Biontech/Pfizer und Moderna) haben signalisiert, dass sie in der Lage wären, innerhalb von sechs Wochen eine Stammanpassung umzusetzen und dann innerhalb von wenigen Wochen Millionen Dosen herstellen zu können.

Wie lange würde die Zulassung brauchen?

Der rechtliche Rahmen für solche angepassten Impfstoffe ist bereits gesteckt. Die Beurteilung für die Zulassung erfolgt in einem auf diese Situation angepassten, sogenannten Typ-2-Variationsverfahren. Sofern der variante Impfstoff lediglich ein etwas anderes genetisches Konstrukt enthält als der ursprüngliche, parentale Impfstoff, der ja bereits eine EU-Zulassung hat, dann ist in der EU dazu nur eine kleine klinische Prüfung erforderlich.

Es dauert also nicht wieder Monate?

Wenn die Anträge der Zulassungsinhaber vollständig sind, kann der Ausschuss für Human-Arzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), in dem das Paul-Ehrlich-Institut vertreten ist, über Anträge für variante Covid-Impfstoffe innerhalb weniger Tage entscheiden.

Warum schützen die bisherigen mRNA-Impfstoffe nicht so gut gegen Omikron?

Dazu laufen derzeit viele Untersuchungen und auch Studien. Erste veröffentlichte Ergebnisse deuten darauf hin, dass die wichtigen neutralisierenden Antikörper, die gegen Antigene beziehungsweise Antigen-Baupläne anderer Varianten in den bisher in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoffen gebildet werden, gegen die Omikron-Variante nicht im selben Maße wie gegen die bisher zirkulierenden Varianten inklusive der Delta-Variante wirken. Von den etwa 30 Mutationen im Spikeprotein der Omikron-Variante finden sich allein 15 Mutationen in der Rezeptor-Bindungsdomäne des Spikeproteins, an die gemeinhin die neutralisierenden Antikörper binden, die die Zellinfektion verhindern, also neutralisieren.

Zur Person

Klaus Cichutek ist Biochemiker und außerplanmäßiger Professor für Biochemie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 1984 promovierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 1992 folgte seine Habilitation. Seit 2009 ist er Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Dort arbeitet Cichutek bereits seit 1988 als Wissenschaftler. (fil)

Die alten Impfstoffe wirken also kaum?

Aufgrund präliminärer Daten wird derzeit erwartet, dass nach dreimaliger Impfung auch der Schutz gegen die Omikron-Variante des SARS-CoV-2 wirken wird.

Die vielen Impfdurchbrüche wecken daran Zweifel. Wie sicher können wir sein, dass alle Impfdurchbrüche tatsächlich genau das sind?

Da können wir nicht sicher sein. Die jetzt kursierende Delta-Variante ist hochansteckend. Diejenigen Menschen, die keinen Impfschutz haben, werden sich sehr wahrscheinlich anstecken. Und dazu zählen natürlich auch die Personen, die mittels eines gefälschten Impfpasses nur vorgeben geimpft zu sein.

Die Aussicht auf einen neuen Impfstoff könnte dazu führen, dass die Menschen jetzt erstmal abwarten...

Die Grundimmunisierung abzuschließen oder sich ein drittes Mal impfen zu lassen, ist dringlich geboten. Die Impfung ist das Mittel der Wahl, um uns vor schweren Covid-19-Verläufen zu schützen. Selbst wenn die Anpassung und deren Bewertung so gut und schnell funktioniert, wie wir das erwarten, erfordert die Bereitstellung eines varianten Impfstoffs doch einen gewissen Zeitraum von Monaten.

Warum gibt es noch keinen Impfstoff gegen die Delta-Variante?

Es gibt eine ganze Reihe klinischer Prüfungen von varianten Covid-19-Impfstoffen, die bereits laufen und auf den Schutz vor der Delta-Variante zielen. Aktuell besteht daneben aber weiterhin ein enormer Bedarf an Impfstoffen – produziert werden kann ein varianter Impfstoff pro designierter Herstellungsstätte, also nur der eine oder der andere. Also wird jetzt in großen Mengen der Impfstoff produziert, von dem bekannt ist, dass er sehr gute Schutzwirkung hat.

Kritiker unterstellen Biontech, noch keinen Delta-Impfstoff entwickelt zu haben, um seinen „alten“ Impfstoff erstmal zu verkaufen. Ist da vielleicht was dran?

Die Delta-Variante ist ja weiterhin nicht nur in Deutschland die vorherrschende Variante und die Omikron-Variante ist erst seit einer kurzen Zeit – vermutlich – auf dem Weg die vorherrschende Variante zu werden. Daher ist es auf der Grundlage der aktuellen Daten folgerichtig, die Delta-Variante mit dem uns zur Verfügung stehenden Impfstoff zu bekämpfen. Außerdem legen vorläufige Daten nahe, dass mit der Booster-Impfung mit den derzeit zugelassenen und verfügbaren Covid-19-Impfstoffen von einem Schutz gegen die Omikron-Variante auszugehen ist. Die Vorbereitungen für den ersten varianten Covid-19-Impfstoff auf regulatorischer sowie Herstellerebene laufen auf Hochtouren. Es gibt einen ungeheuren Bedarf an Impfstoffen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Es wurden eine Reihe zusätzlicher Produktionsstätten aufgebaut, um diesen Bedarf befriedigen zu können.