Die NRW-SPD hat ein neues Führungsduo: Achim Post und Sarah Philipp. Sie wollen sich den Themen zuwenden, die die Menschen beschäftigen. Ob das klappt? Den beiden gelang immerhin gleich zum Start ein Coup.
SPD wählt neue SpitzeDie Rückkehr an den Abendbrottisch
„Liebe Sarah, das wird was mit uns!“, ruft Achim Post gleich zu Beginn seiner Bewerbungsrede um den Vorsitz der NRW-SPD. Erstmals in ihrer Geschichte setzt der größte SPD-Landesverband in Deutschland auf eine Doppelspitze: Sarah Philipp aus Duisburg (40) und Achim Post (64) aus Espelkamp wurden von den rund 450 Delegierten mit guten Wahlergebnissen beschenkt: Rund 88 beziehungsweise 92 Prozent.
Unter der Parteiprominenz in der Halle Münsterland fällt eine Frau besonders auf, weil sie schon seit Februar 2017 nicht mehr auf einem SPD-Landespareitag gesehen wurde: Hannelore Kraft. Vor sechseinhalb Jahren schickte ihre Partei sie mit 100 Prozent Zustimmung als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf. Nach der verlorenen Landtagswahl tauchte sie ab und verschwand von der Parteitagsbühne. Jetzt ist sie wieder da, zumindest ein bisschen. Hinters Rednerpult und vor die Kameras zieht es die 62-Jährige nicht. Sie möchte keine Akteurin sein, nur Gast. Sie plaudert ab und zu mit alten Bekannten, sitzt vorne zwischen einem ihrer Nachfolger an der Parteispitze, Thomas Kutschaty, und dem früheren SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Tiefblau gekleidet, ist die Mülheimerin genauso unübersehbar wie die an diesem Tag „grüne“ Bundesumweltministerin Svenja Schulze und die in leuchtendes Rot gehüllte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
Die frühere Regierungschefin Kraft durfte sich als Ehrengast in der Halle fühlen. Nicht nur, weil ständig von den „Kraftzentren“ der Partei geredet wurde –damit sind Bundestag, Landtag und die Rathäuser gemeint -, sondern auch, weil durch Bärbel Bas erstmals der so genannte „KeKiz-Preis“ verliehen wurde. „KeKiZ“ steht für „Kein Kind zurücklassen“, für jenes Motto also, das sich Kraft einst als Motto für ihre Regierungszeit ausdachte.
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„Wir haben Hannelore eingeladen, und sie hat spontan zugesagt“, sagen Achim Post und Sarah Philipp. Den beiden ist damit ein kleiner „Coup“ gelungen. Mit Krafts Präsenz und der vieler anderer altgedienter NRW-Sozialdemokraten wie Harald Schartau, Michael Groschek und Norbert Römer gelingt es ihnen an diesem Wochenende, ein paar von den Gräben zuzuschütten, die in der NRW-SPD in sechs weitgehend erfolglosen Jahren aufgerissen wurden. Es scheint, als würde die Schlappe 2017 erst jetzt überwunden werden können. Zumindest sitzt die „Familie“ wieder ohne Streit und Intrige zusammen und nennt sich selbst „Die neue SPD im Westen“.
Was an dieser SPD neu ist und was nicht, können Beobachter nicht so leicht erkennen. Im Rezept der Doppelspitze für ein Ende der SPD-Schwächephase stehen altbekannte Zutaten wie soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Achim Post fordert eine „Krisenabgabe“ für Superreiche: „Die einen wissen nicht, wohin mit ihrem Geld, die anderen wissen am 20. nicht mehr, wie sie über die Runden kommen.“ Sarah Philipp wünscht Respekt und Anerkennung für die „Leistungsträger“: Beschäftigte in der Industrie, Pflege- und Lehrkräfte, auch für junge Klima-Aktivistinnen und -aktivisten.
Daneben steht aber eine Erkenntnis, die sich die SPD von den NRW-Grünen abgeschaut haben könnte: „Die eigene Bubble reicht nicht, um die Menschen zu erreichen“, sagte Übergangs-Parteichef Marc Herter in Münster. Das erinnert an Signale, die die früheren Grünen-Landesvorsitzenden Mona Neubaur und Felix Banaszak 2017, nach der verheerenden Wahlniederlage der NRW-Grünen (6,4 Prozent), sendeten. Man müsse „raus aus der eigenen Blase“ und mitten unter die Menschen, analysierten die Grünen damals. Der Plan ging auf. 2022 verdreifachten die Grünen ihr Ergebnis und regieren nun wieder mit in NRW, allerdings mit der CDU.
In der neuen NRW-SPD-Sprache heißt diese Strategie „Zurück an den Abendbrottisch“. Man müsse sich wieder mit dem beschäftigen, was die Menschen „beim Abendbrot, im Verein, auf der Kirmes, beim Schützenfest und in der Whatsapp-Gruppe“ beschäftige. Die SPD bringe dafür gute Voraussetzungen mit. Wegen der Vielfalt ihrer Mitglieder sei sie das „größte Vereinsheim“ im Land, behauptete der neue Generalsekretär Frederick Cordes. Revolutionär ist allerdings der Vorsatz, die eigene „Blase“ zu verlassen und mitten unter die Menschen zu gehen, nicht. Der damalige Landesparteichef Michael Groschek forderte schon im Sommer 2017 bei einem Parteitag in Duisburg, die SPD müsse zurück in Kneipen wie die „Kupferkanne“ in Rheinhausen, um die Stimmung der normalen Bürgerinnen und Bürger zu spüren.
Ganz auf vertraute Formeln will die „neue SPD im Westen“ nicht verzichten. Sarah Philipp und Achim Post beenden ihre Bewerbungsreden nach alter Sitte mit „Glück auf!“. Ob das zum glücklichen Ende führt? „Vor der Hacke ist es duster“, wissen die Bergleute. Aber, um im Bild zu bleiben: Die Grubenlampe der NRW-SPD scheint seit dem Wochenende wieder etwas heller zu leuchten.