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Parteigründerin poltert zurück„Wohlbekannte Praxis“ – Ehemalige DDR-Bürgerrechtler warnen vor Wagenknecht

Lesezeit 4 Minuten
Sahra Wagenknecht, Parteivorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), reagiert nach den ersten Europawahl-Prognosen auf der Wahlparty des BSW.

Sahra Wagenknecht, Parteivorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), reagiert nach den ersten Europawahl-Prognosen auf der Wahlparty des BSW.

Ehemalige DDR-Bürgerrechtler kritisieren das BSW und ihre Gründerin deutlich – das frühere SED-Mitglied Sahra Wagenknecht wehrt sich.

Frühere DDR-Bürgerrechtler warnen vor einer Regierungsbeteiligung der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Hintergrund sind Äußerungen aus dem BSW zum Ukraine-Krieg. Vor allem wegen der außenpolitischen Positionen herrsche eine große Beunruhigung, dass das BSW mitregieren könnte, sagte die ehemalige Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, der Deutschen Presse-Agentur.

Die Sorge ist auch Tenor eines Offenen Briefes, der laut Birthler von Sachsen ausging und von ihr unterstützt wird. Auch der frühere Bürgerrechtler und letzte DDR-Außenminister, Markus Meckel (SPD), bestätigte der dpa, dass er das Schreiben mitträgt. Parteigründerin Sahra Wagenknecht wies die Kritik zurück und ging die Initiatoren ihrerseits scharf an.

Appell an „demokratische Parteien“

In dem auf der Plattform X veröffentlichten Papier werden Aussagen von Wagenknecht und anderen BSW-Mitgliedern zum Krieg in der Ukraine als faktisch falsch kritisiert. Unter anderem habe Wagenknecht Mitte 2023 im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesagt, alle Militärexperten sagten eine Niederlage der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland voraus – was nicht der Fall sei. Angeführt werden noch weitere Beispiele, die die Autoren für irreführend halten.

Der Brief endet in einem Appell an die „demokratischen Parteien“ und vor allem die CDU, sich genau zu überlegen, ob sie nach den Landtagswahlen eine Koalition mit dem BSW eingehen und sich tolerieren lassen wollten. Zudem sollten sich die Parteien klarer vom „nationalen Sozialismus“ des BSW distanzieren, heißt es in dem Papier weiter. Dahinter stehen nach Angaben der Initiatoren von 58 Personen.

Sahra Wagenknecht: Partei soll offenbar diskreditiert werden

Während das Schreiben in den sozialen Netzwerken am Sonntag schnell weiterverbreitet wurde, unter anderem vom Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk oder der sächsischen Grünen-Politikerin Franziska Schubert, reagierte Wagenknecht scharf.

„Der Brief ist wohl kaum im Sinne der DDR-Bürgerrechtsbewegung, von der sich viele unter den Slogans ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ und ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ für Frieden, Diplomatie und ein Ende des Wettrüstens einsetzten“, erklärte die BSW-Vorsitzende auf dpa-Anfrage.

Wagenknecht attackiert DDR-Bürgerrechtler

„Das Bemühen um eine diplomatische Beendigung des Ukraine-Krieges als russische Propaganda zu diffamieren, ist auch eine Beleidigung für Millionen Ostdeutsche, die zu Recht Angst vor einem großen europäischen Krieg haben.“

Hier solle offenbar eine neue Partei, die vielen Menschen aus dem Herzen spreche, wenige Wochen vor entscheidenden Wahlen diskreditiert werden, mutmaßte Wagenknecht. „Dass sich aktuell viele Ostdeutsche bei politischen Debatten wieder an die Enge der DDR-Zeit erinnert fühlen, müsste eigentlich frühere Bürgerrechtler auf den Plan rufen.“ Doch hätten die Briefeschreiber offenkundig den Kontakt zur Bevölkerung weitgehend verloren.

Kritik an Wagenknecht aus der Politik und von Experten

Unterstützung für den offenen Brief gab es derweil am Montag aus der Politik und von Politik-Experten. „Erneut werden die Lügen von Wagenknecht thematisiert“, schrieb der Kölner Professor für internationale Politik, Thomas Jäger, bei X.

„Es ging nie um eine andere Meinung, stets um Propaganda. Sie konnte diese Lügen, gefördert durch geneigte Redaktionen, jahrelang in Talkshows präsentieren“, kritisierte Jäger. Das BSW sei die „Schwesterpartei der AfD und das Kind deutscher Medien“, fügte der Politologe an.

„Sahra Wagenknecht und das BSW nutzen diese Freiheit schamlos aus“

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, verbreitete die Wortmeldung der Bürgerrechtler unterdessen bei X weiter. „Mit AfD und BSW gibt es zwei Parteien im Deutschen Bundestag, die offensiv die imperialistische und antidemokratische Agenda von Putin unterstützen“, schrieb von Notz. „Die Grundlage dafür sind massive Lügen und blanker Zynismus“, fügte der Grünen-Politiker an.

Auch die Landesvorsitzende der Grünen in Berlin attackierte Wagenknecht: „Die Bürgerrechtler*innen in der DDR haben für Pressefreiheit gekämpft – Sahra Wagenknecht und das BSW nutzen diese Freiheit schamlos aus, um Lügen zu verbreiten“, schrieb Nina Stahr bei X. Es sei gut, dass die Bürgerrechtler sich zu Wort gemeldet hätten, fügte sie an.

Bürgerrechtler demonstrierten – Wagenknecht ging in die SED

Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler wie Meckel und Birthler oder der Sachse Martin Böttger, jetzt Initiator des offenen Briefs, hatten im Herbst 1989 gegen die DDR-Einheitspartei SED und die Staatsführung in Ostberlin protestiert, bis diese stürzten. Wagenknecht trat hingegen noch 1989 der SED bei. Sie verteidigte die DDR noch Jahre nach deren Ende. Davon distanzierte sie sich später.

Im September werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt. In Umfragen erreicht das BSW in den drei Ländern Werte von 15 bis 20 Prozent. Die CDU in den drei Ländern hat eine etwaige Zusammenarbeit mit dem BSW nicht ausgeschlossen. Wagenknecht hatte vergangene Woche gesagt, das BSW werde sich nur an einer Landesregierung beteiligen, „die auch bundespolitisch klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung bezieht“. (mit dpa)