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Rundschau-Debatte des TagesKommt die Impfpflicht – und wenn ja, wann?

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Corona Impfung

Symbolbild 

Berlin – Erst sollte es ganz schnell gehen, doch jetzt könnte die allgemeine Impfpflicht zum Rohrkrepierer werden. Bundeskanzler Olaf Scholz ist abgetaucht, die Ampel zerstritten und die Union weiß auch nicht, was sie will. Was kommt da auf uns zu?

Was vereinbart worden ist

Am 30. November hatte Olaf Scholz im ZDF vorgeschlagen, eine Impfpflicht gegen Corona bis „Anfang Februar oder Anfang März“ einzuführen. Bis dahin könne sich jeder, der sich dazu entschließe, noch zweimal impfen lassen.

Zwei Tage später, am 2. Dezember, traf sich Scholz mit den Länderchefs zum Corona-Gipfel. In der Abschlusserklärung heißt es: Bund und Länder begrüßen, dass der Bundestag „zeitnah“ über eine allgemeine Impfpflicht entscheiden will. „Sie kann greifen, sobald sichergestellt werden kann, dass alle zu Impfenden auch zeitnah geimpft werden können, also etwa ab Februar 2022.“

Wann die Abgeordneten des Bundestags – hier Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – ihre Stimme zur allgemeinen Impfpflicht abgeben werden, ist unklar.

Am Freitag auf dem ersten Corona-Gipfel des neuen Jahres wurde daraus folgende Formulierung: Scholz und die Regierungschefs der Länder halten „eine allgemeine Impfpflicht für nötig“. Und an den Bundestag gerichtet: „Die Länder gehen davon aus, dass dazu bald ein Zeitplan für die entsprechende Gesetzgebung vorliegen wird.“ In den Zeitplan will Scholz partout nicht eingreifen.

Chaos in der Ampel

Weil es insbesondere bei der FDP um Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki viele Impfpflicht-Gegner gibt, ist eine Ampel-Mehrheit nicht sicher. Der Ausweg sollte über sogenannte Gruppenanträge führen: Einzelne Abgeordnete verfassen einen Gesetzentwurf, hinter dem sich dann eine fraktionsübergreifende Mehrheit versammelt.

Doch Stand Dienstag gibt es dafür keinen konkreten Vorschlag. In der SPD-Fraktion ist lediglich von „intensiven Gesprächen“ unter den Ampel-Partnern die Rede. Unter den Genossen gebe es zwar eine „große Mehrheit“ für die Impfpflicht, aber ab wann, für wen und unter welchen Voraussetzungen? „Es gibt enormen Gesprächsbedarf“, heißt es. Immerhin kündigte Fraktionschef Rolf Mützenich am Abend „Eckpunkte“ an, die Grundlage für einen Gruppenantrag zusammen mit Abgeordneten anderer Fraktionen werden könnten.

Klar ist, dass es Ende Januar eine „Orientierungsdebatte“ im Bundestag geben soll. Konkret angekündigt wurde bislang aber nur ein Antrag von Kubicki gegen die Impfpflicht. „Entscheidend ist, dass das wesentliche Argument, man lässt sich impfen, um einen Fremdschutz zu erreichen, sich als falsch herausgestellt hat“, sagte er am Dienstag. Es lasse sich daher nicht rechtfertigen, Menschen zu zwingen, sich impfen zu lassen.

Möglicher Ausweg

Angesichts der vielen offenen Fragen hält der Staatsrechtler Josef Lindner von der Universität Augsburg es für die einzige Option, dass der Bundestag im März ein Gesetz verabschiedet, das die Voraussetzungen für eine allgemeine Impfpflicht regelt, aber erst später zur Anwendung kommt. Aus seiner Sicht notwendige Voraussetzungen: eine Virusvariante mit dem Potenzial, die Krankenhäuser zu überlasten, ein wirksamer Impfstoff dagegen und eine Infrastruktur, die rasch zwei oder drei Impfungen der Bevölkerung ermöglicht. (rl/tob)

Kommen die Ampel-Koalitionäre vor der Orientierungsdebatte noch zu Potte? Auch Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen hält das erst im Anschluss für möglich. Vielleicht kommt aber vorher auch noch ein weiterer Antrag aus der FDP. Deren Gesundheitsexperte Andrew Ullmann arbeitet an einem Entwurf für eine nach Altersgruppen gestaffelte Impfpflicht.

Hinter vorgehaltener Hand wird die Marschroute so skizziert: Es wird eher Ende März im Bundestag über einen Antrag abgestimmt. „Zwei Wochen, länger sollte der Bundestag nicht debattieren“, so Mützenich. „Wir werden das im März abgeschlossen haben.“ Ziel ist aber wohl nicht mehr, dass die Corona-Impfungen dann sofort zur Pflicht werden, sondern nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind – wenn etwa ein wirklich wirksamer Impfstoff vorliegt und die Corona-Lage die Pflicht rechtfertige.

Chaos bei der Union

Am Dienstagmorgen wurde der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger mit den Worten zitiert: „Unser Ziel ist es, einen eigenen Unionsantrag auf den Weg zu bringen. Daran arbeite ich mit anderen Gesundheits- und Rechtspolitikern unserer Fraktion.“ Wenig später erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU): „Wir sind als Opposition nicht dafür da, die Aufgaben der Regierung zu erledigen.“ Also Kommando zurück. Einen „nationalen Konsens“, den die Union bei dem schwierigen Thema als notwendig erachte, könne nur der Bundeskanzler herbeiführen. „Der versteckt sich aber.“

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Das klang nach dem Versuch der Union, Scholz und seine Ampel auflaufen zu lassen. Ein paar Stunden später wurde daraus ein Angebot zu konstruktiven Gesprächen: Wenn man eine solche Impfpflicht mache, brauche dies „einen breiten demokratischen Konsens“, sagte Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Es sei wichtig, dass SPD, Grüne und FDP schnell Gespräche mit der Union aufnähmen . „Wir sind dazu bereit.“ In sein Gesprächsangebot mischte Brinkhaus freilich eine Bedingung: Die Impfpflicht müsse unabhängig von der aktuellen Virusvariante diskutiert werden. Es müssten die Parameter klassifiziert werden, „wann wir ganz grundsätzlich in eine Impfpflicht hineingehen“.

Die Länderchefs der Union wären von einer Verweigerungshaltung der eigenen Fraktion auch kaum begeistert gewesen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst etwa hatte noch am Freitag darauf gedrungen, dass die Impfpflicht zeitnah auf den Weg gebracht werden müsste. Alle 16 Ministerpräsidenten hatten sich dafür ausgesprochen.

Was jetzt realistisch ist

Nach einer Impfpflicht für alle und jeden ab Ende März sieht es definitiv nicht aus. Allenfalls könnte der Bundestag dann über eine „Impfpflicht unter Vorbehalt“ abstimmen. Für eine „harte Impfpflicht“ wäre jedenfalls keine Mehrheit in Sicht. Sollte die Impfpflicht allerdings zu „weich“ ausfallen, droht Widerstand im Bundesrat, der auch noch zustimmen muss. Denn die unionsgeführten Ländern hatten schließlich zuletzt den meisten Druck gemacht und könnten Nachschärfungen verlangen.