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Regierung lässt Türspalt für längere Atomlaufzeiten offen

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Berlin – Laufen die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland vor dem Hintergrund der Gaskrise doch noch weiter? Die Bundesregierung jedenfalls lässt wieder einen Türspalt offen für einen Weiterbetrieb über das Jahresende hinaus.

Hintergrund ist ein neuer Stresstest zur Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland. Eine Regierungssprecherin sagte in Berlin, die Frage der Atomkraftwerke sei für die Bundesregierung von Anfang an keine ideologische, sondern eine rein fachliche Frage gewesen. Sie verwies auf den angekündigten zweiten Stresstest. „Das ist die Grundlage von Entscheidungen.”

Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, es gebe nun die zweite Stresstest-Berechnung, die erstellt werde, um noch mal andere Szenarien abzuklopfen. Die erste Berechnung habe schon sehr verschärfte Annahmen unterstellt. „Aber dennoch, wir rechnen jetzt noch mal und entscheiden dann auf der Basis von klaren Fakten.”

„Ist und bleibt eine Scheindebatte”

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens zum Ausstieg aus der Atomkraft, den setzen wir nicht aufs Spiel.” Die Atomkraft sei eine „Hochrisikotechnologie”, sagte sie: „Mit Atomstrom einen Gasmangel beheben zu wollen, das ist und bleibt eine Scheindebatte.”

Die FDP als Koalitionspartner ist für längere Atomlaufzeiten. Das Wirtschaftsministerium hatte am Sonntag einen zweiten Stresstest durch die Übertragungsnetzbetreiber zur Sicherheit der Stromversorgung angekündigt. Mit Ergebnissen sei „in den nächsten Wochen” zu rechnen. Ein erster Stresstest vom März bis Mai dieses Jahres kam zum Ergebnis, dass die Versorgungssicherheit im kommenden Winter gewährleistet ist. In einem weiteren Stresstest sollen aber verschärfte Szenarien durchgerechnet werden. Dazu gehören laut Ministerium etwa noch höhere Preisannahmen als im ersten Stresstest, ein noch gravierenderer Ausfall von Gaslieferungen und ein stärkerer Ausfall von französischen Atomkraftwerken.

Außerdem solle die Sondersituation in Süddeutschland in den Blick genommen werden. Es gebe in Bayern zwar Gaskraftwerke, aber wenige Kohlekraftwerke und auch wenige Windkraftanlagen, die letzten Kernkraftwerke würden Ende 2022 abgeschaltet, hieß es.

Sorge vor Ende der Gaslieferungen

Die große Sorge in Deutschland derzeit ist, dass Russland bei der Ostseepipeline Nord Stream 1 nach einer Wartung, die Ende dieser Woche vorbei sei könnte, den Gashahn nicht wieder aufdreht.

Seit Monaten gibt es angesichts der Energiekrise eine Debatte darüber, ob die drei Atomkraftwerke weiterlaufen sollen - ob nur für eine kurze Zeit oder sogar für einige Jahre.

Die Position der Bundesregierung ist bisher gewesen, dass die drei Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 nach geltendem Recht spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatten in einem Prüfvermerk im März von längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke abgeraten. Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen, hieß es damals.

Eine Verlängerung der Laufzeiten der noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke würde im kommenden Winter keine zusätzlichen Strommengen bringen, hieß es weiter - sondern frühestens ab Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit neu hergestellten Brennstäben. Die drei Atomkraftwerke stellen rund 5 Prozent der deutschen Stromproduktion dar. Auch die drei Betreiber der Anlagen haben Laufzeitverlängerungen eine Absage erteilt.

Auch der neue nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) spricht sich klar dagegen aus, an der Atomkraft festzuhalten. „Es ist nicht die Zeit für irgendwelche Spielchen. Atomkraft ist bei einer drohenden Gasmangellage keine Antwort”, sagte Krischer am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. „Neben der Diversifizierung der Gas-Lieferwege sind Energieeinsparung und der Ausbau der erneuerbaren Energien die Antwort der Zeit.”

Regierung warnt vor regionalen Notlagen

Nach einem Bericht der „Bild”-Zeitung warnte die Bundesregierung bei einer Besprechung mit Chefs der Länder-Staatskanzleien vor regionalen Notlagen im Winter. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sagte der „Augsburger Allgemeinen”, das Atomkraftwerk Isar 2 decke 15 Prozent des bayerischen Strombedarfs ab und könne mit den vorhandenen Brennstäben bis August 2023 laufen. Mit Strom könne man Wohnungen heizen, nicht nur mit Elektroheizungen, sondern auch mit Wärmepumpen.

Unterdessen lehnte FDP-Fraktionschef Christian Dürr einen „Kuhhandel” zur Einführung eines Tempolimits ab. Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten könne einen nennenswerten Beitrag leisten, um eine drohende Gaslücke zu schließen, das Tempolimit nicht. „Wenn wir die Kernkraftwerke länger am Netz lassen, sparen wir Gas - denn wir verhindern, dass knappe Gasressourcen zur Stromerzeugung eingesetzt werden”, sagte Dürr der dpa. „Benzin und Diesel von der Tankstelle tragen bedauerlicherweise nichts dazu bei, den angespannten Energiemarkt zu entlasten. Dieser Kuhhandel würde also nicht dazu führen, die Versorgung im Winter zu sichern.”

Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) hatte im ARD-„Morgenmagazin” gesagt, das Tempolimit mache zwar einen relativ geringen Unterschied beim Energieverbrauch aus - „aber wenn die Grünen sagen, das wäre dann ein nationaler Kompromiss, wir machen bei der Kernenergie für ein halbes Jahr länger eine Nutzung in der Mangellage, dann finde ich, sollten wir auch über ein Tempolimit reden können”.

© dpa-infocom, dpa:220718-99-66904/3 (dpa)