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Nach der FlutTHW-Einsatzleiter: „Es traut sich niemand, auf den Knopf zu drücken“

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Marcus Sperber ist Einsatzleiter des Technischen Hilfswerks (THW)

Osnabrück – Marcus Sperber ist Einsatzleiter des Technischen Hilfswerks (THW) und hat Helfer in die Region der Flutkatastrophe geschickt. Er hadert mit dem Chaos bei der Fluthilfe, mit der Bürokratie in Deutschland und Verantwortlichen, die keine Knöpfe drücken wollen.

Hllfe hätte schneller uns besser sein können

Eigentlich hat er ja immer ein bisschen einen Maulkorb, sagt Marcus Sperber. Auch beim THW müsse man Manöverkritik so formulieren, dass es für die Leitung okay sei. Aber die Hilfe für die Flutopfer in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hätte aus seiner Sicht schneller und besser anlaufen können, ist sich der 47-Jährige THW-Einsatzleiter aus Lauf im Nürnberger Land sicher.

Sperber hat seine Mannschaft aus 28 Leuten ins Krisengebiet in Ahrweiler und Stolberg bei Aachen geschickt und koordiniert. Nach fast drei Jahrzehnten beim THW, davon 12 Jahre als Ortsbeauftragter, kennt Sperber sich mit Hochwasser, Schneechaos und Überflutungen aus.

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Was in den Augen des EIinsatzleiters alles schief lief

Sein Fazit: Auch bei der Flutkatastrophe wurde in den ersten Tagen wieder viel kostbare Zeit verschenkt. Als Geschäftsführer einer Kunststoff- und Werbeartikel-Firma mit 250 Mitarbeitern in Sulzbach-Rosenberg ist Marcus Sperber es gewohnt, Entscheidungen zu treffen und dafür den Kopf hinzuhalten.

Genau das vermisst der THW-Einsatzleiter bei den Verantwortlichen des Katastrophenschutzes in Deutschland, bei Beamten und Behörden. Ein Gespräch über Verantwortliche, die sich nicht trauen, den erforderlichen Knopf zu drücken und Helfer, die tagelang nicht in den Einsatz dürfen.

Herr Sperber, Sie haben Ihre Leute in das Flutgebiet nach Ahrweiler und Stolberg geschickt. Was haben Sie dabei erlebt?

Marcus Sperber: Die erste Woche war eine Katastrophe. Da standen tausende von Leuten bereit, die alle helfen wollen, die aber nicht ausrücken konnten, weil die Behördenabläufe zu zögerlich funktionierten. Aus meiner Sicht ist dies das Grundproblem: Bis die Hilfe anläuft, dauert es immer viel zu lange. Wir hätten einen Tag nach der Katastrophe mit Helfern ausrücken können, mit Radladern, Kippern, Pumpen und anderem Material, alles war bereit. Aber eine Woche lang ist zu wenig passiert. Es fehlt häufig die Person, die den Gesamtüberblick hat und zudem den Mut hat, die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

Warum sind die ersten Tage so wichtig?

Weil es bei so einer Katastrophe ja auch um Menschenleben geht. Je mehr Zeit verstreicht, umso weniger Opfer kann man noch retten. Und weil die Schäden an den Häusern nach einem Hochwasser mit jedem Tag größer werden, bis sie nicht mehr bewohnbar sind. Wenn du einen vollen Keller innerhalb von einem halben Tag leer pumpst, ist das ganz anders, als wenn da zwei Wochen lang das Wasser mit Öl drin steht - dann kannst Du das Haus nur noch abreißen. Das ist das Problem an der ganzen Sache.

Und auch für die Betroffenen ist das ganz wichtig, oder?

Natürlich, die Leute warten ja händeringend auf Hilfe. Ich habe das bei Katastrophen auch schon gemacht, dass wir einfach mit dem Fahrzeug rumgefahren sind und geschaut haben, wer Hilfe braucht. Und dann dauert es nicht lange, bis der erste ruft: „Gott sei Dank, da seid ihr ja!“. Und das ging jetzt halt nicht.

Spielt da auch das Geld eine Rolle?

Zum Teil auch. Man muss immer den Katastrophenfall ausrufen, damit die Kostenfrage geklärt ist. Und das dauert hier und da auch etwas. Bevor die Kosten nicht geklärt sind, darf kein Helfer und kein Material raus. Unsere THW-Helfer machen das ehrenamtlich und umsonst, aber der Arbeitgeber bekommt den Lohnausfall. Wenn ich da 32 Euro brutto Stundenlohn rechne, was der deutsche Arbeitnehmer im Schnitt so bekommt, dann macht das am Tag mit 8 Stunden 8 mal 32, also 256 Euro. Auf unsere 28 Leute gerechnet sind das rund 35 000 Euro, die die Arbeitgeber vom Bund als Lohnausfall erhalten.

Woran liegt es im angeblich gut organisierten Deutschland, dass Hilfe so schleppend anläuft?

Weil die Behörden vor Ort häufig mit der Lage überfordert wirken. Bei solch einer Großschadens-Lage ist die Hilfe immer Sache des Landkreises - und jeder Landkreis kocht seine eigene Suppe. Ein Beispiel: Da liegen zwei Dörfer nebeneinander und gehören zu zwei verschiedenen Landkreisen, weil da die Grenze verläuft. Dann wird die Hilfe nicht für beide Dörfer insgesamt koordiniert, sondern für das eine Dorf ist der eine Landkreis zuständig und für das andere Dorf der andere. Jeder Bürgermeister, jeder Landrat kümmert sich logischerweise zunächst um seinen Zuständigkeitsbereich. Das ist Wahnsinn. Bei solch einer Lage müsste man die Hilfe aus meiner Sicht unbedingt zentral koordinieren, von einem Gesamteinsatzleiter.

Wer könnte das denn machen?

Entweder die Landesregierung. Oder wenn die Katastrophe mehrere Bundesländer getroffen hat, dann muss der Bund es aus Berlin koordinieren. Es kann nicht sein, dass man bei 20 Schadenslagen zig verschiedene Verantwortliche hat.

Könnte das Bundesamt für Katastrophenschutz diese Aufgabe übernehmen?

Ich sage das jetzt mal so als Firmenchef: Als Geschäftsführer oder Unternehmer muss man den ganzen Tag hunderte Mitarbeiter managen. Man muss einfach Dinge schnell entscheiden und die werden dann durchgezogen. Bei Behörden ist das oft anders: hier ist es nicht üblich, schnell zu reagieren und Entscheidungen zu treffen. Beamte müssen zu viel hinterfragen. Ob man dies oder das überhaupt darf, ob unter anderem der Datenschutz nicht dagegenspricht und so weiter. Sie müssen immer den vermeintlich sichersten Weg gehen, und das ist selten der schnellste. Oft wirken die Leute mit solchen Situationen überfordert. Ich könnte mir eine Task-Force aus erfahrenen Einsatz-Experten vorstellen, die in besonderen Fällen die Gesamtkoordination übernimmt.

Ein Problem war ja wohl auch, dass die Warnungen zu spät kamen …

Schon am Tag vorher hatte der Deutsche Wetterdienst die Region lila eingefärbt, das ist die höchste Warnstufe. Wenn ich die Farbe lila in meinem Zuständigkeitsbereich habe, das habe ich etwa einmal im Jahr, dann mache ich mich als THW-Chef schon auf die Socken, weil ich weiß, es gibt schwere Gewitter, Starkregen oder heftigen Schneefall. Wenn da was Größeres auf einen zurollen könnte, muss man sofort und vehement warnen.

Es gab auch zu wenige Warn-Sirenen, um die Anwohner zu alarmieren.

Also, aus unserer Gegend hier in Franken kann ich sagen: Darum geht es doch. Wegen der Verantwortung, keiner will für einen Fehlalarm verantwortlich sein. Ich hoffe sehr, dass man aus dieser Katastrophe seine Lehren zieht.

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Welche Botschaft würden Sie als Einsatzleiter den Menschen gerne mit auf den Weg geben?

Dass die Leute erkennen, wie abhängig wir heutzutage von Handys sind - die bei einem Stromausfall nicht mehr funktionieren und nicht mehr geladen werden können. Auch der Digital-Funk funktioniert irgendwann nicht mehr, die Helfer können nicht mehr kommunizieren. Wir benutzen Satellitentelefone und funken auf den alten Frequenzen, im Radiofrequenzbereich. Jeder Haushalt sollte einen Generator für den Fall eines Stromausfalls besitzen, um wenigstens Radios und Handys aufladen zu können. Und wir dürfen auf keinen Fall nur noch auf elektrische Einsatzfahrzeuge setzen, auch wenn manche das gerne hätten.

Wie lautet Ihr persönliches Fazit des Einsatzes?

Das waren nur ein paar Punkte, die besser hätten funktionieren können und hoffentlich in Zukunft besser funktionieren werden. Hervorheben muss man aber ganz klar den außerordentlichen Einsatz und die aufopfernde Arbeit, die alle Helfer vor Ort im Katastrophengebiet geleistet haben. Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft. Danke euch allen!