Köln – Ein „unvergleichbarer Einzelfall“, der sich heute so nicht wiederholen könnte – das erklärt das Erzbistum Köln zum Fall eines überschuldeten Pfarrers, für den die Kölner Kirchenleitung insgesamt 1,1 Millionen Euro aufgewendet hat.
Das Geld, knapp 500.000 Euro in den Jahren 2015 und 2016 und später 650.000 Euro Steuernachzahlung, wurde ausgegeben, ohne dass Gremien des Erzbistums dazu ihre Zustimmung gegeben hätten. Eine „rechtliche Überprüfung“ habe ergeben, dass das auch nicht erforderlich gewesen sei, hat das Erzbistum zuletzt mitgeteilt und will sich nicht näher nicht äußern. Nach Rundschau-Informationen zeigt ein internes Schreiben aber mittlerweile, wie das Erzbistum juristisch argumentiert.
Worum geht es in dem kirchenrechtlichen Streit?
Auf den ersten Blick erscheint der Fall sonnenklar. Bischöfe und Generalvikare können nicht beliebig über Bistumsvermögen verfügen, sondern Kanon 1277 des kirchlichen Gesetzbuchs bestimmt, dass bei Akten der außerordentlichen Vermögensverwaltung zwei Gremien zu hören sind: der Vermögensverwaltungsrat – anno 2015 führte er in Köln noch die Bezeichnung Diözesanverwaltungsrat, heute Vermögensrat – und das Konsultorenkollegium. Dahinter verbirgt sich in Köln das Domkapitel. Und „Partikularnorm 18“ der Deutschen Bischofskonferenz nennt in Buchstabe c das „Einstehen für fremde Verbindlichkeiten“ als einen derartigen Akt der außerordentlichen Vermögensverwaltung. Nach Auffassung des Erzbistums ist die Vorschrift nicht einschlägig – warum?
Welche Argumentation vertritt das Erzbistum?
Vertraulich hat Martin Günnewig, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Finanzen im Erzbistum, am 20. April dem Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat Auskunft gegeben. Nach Rundschau-Informationen listet er in seinem Brief nochmals die einzelnen Zahlungen auf: 493.697,82 Euro in fünf Tranchen vom 1. Juli 2015 bis zum 30. Juni 2016, aufgebracht aus dem BB-Fonds, einem Sondervermögen des Erzbischöflichen Stuhls – Achtung, das wird noch wichtig. 114.240,55 Euro gingen an zwei Kirchengemeinden, denen der Geistliche Geld schuldete, der Rest floss überwiegend über den Sozialdienst Katholischer Männer in die Tilgung anderer Schulden. 2020 erfolgte dann eine „Lohnsteuerberichtigung“, 650.000 Euro aus dem regulären Personaletat.
Erzbischöflicher Stuhl
Ein „Bischöflicher“ oder „Erzbischöfliche Stuhl“ ist Träger von Vermögen, das dem Bischof bei seiner Amtsführung dient. Einen gesonderten Abschluss veröffentlicht der Erzbischöfliche Stuhl Köln nicht mehr. 2013 umfasste sein Vermögen 166 Millionen Euro. Dem „Stuhl“ zugeordnet ist der BB-Fonds mit zuletzt (2020) 16,8 Millionen Euro
Günnewig zitiert nun die kommissarische Justiziarin des Bistums, Heike Gassert, wie folgt: „Die Zahlungen des Erzbistums an die Kirchengemeinden dienten der Abwendung eines Schadenersatzanspruchs der Kirchengemeinden gegen das Erzbistum als Arbeitgeber des Pfarrers, so dass die Auszahlungen eindeutig nicht zustimmungsbedürftig waren.“ Das erklärt allerdings nur ein Viertel der ursprünglichen Aufwendungen. Zum Rest meint Gassert, die Partikularnom 18c gelte nur für Rechtsakte und Rechtsgeschäfte „wie die Abgabe von Bürgschaften, Garantien, Patronatserklärungen oder Schuldenübernahmen, die für das Diözesanvermögen erhebliche rechtliche oder finanzielle Konsequenzen haben könnten“. Das habe es hier nicht gegeben, sondern nur eine „unentgeltliche Zuwendung“. Also sei die Norm nicht anwendbar. Abgesehen davon Gassert auf den Unterschied zweier Körperschaften: Erzbistum hier, Erzbischöflicher Stuhl mit BB-Fonds da. „Beispruchsrechte“ von Gremien seien „gesetzlich eindeutig auf das Diözesanvermögen beschränkt“, und Vermögen des Stuhls sei kein Diözesanvermögen. Darin seien alle deutschen Bistümer einig.
Diese Argumentation hat es in sich: Aus dem BB-Fonds hatte Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki auch Gelder für die Aufarbeitung des Umgangs mit sexualisierter Gewalt – etwa Gutachten und Beratungskosten – entnommen. Alles in allem 2,8 Millionen Euro ohne Genehmigung von Gremien. War dann auch das rechtens? Zwei Gutachten, die der frühere Apostolische Administrator Rolf Steinhäuser dazu hatte anfertigen lassen, kamen dem Vernehmen nach zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auch die Kölner Hochschule für Katholische Theologie wurde zu Lasten des BB-Fonds finanziert.
Die Steuernachzahlung von 2020, so Gassert weiter, habe gesetzlichen Pflichten entsprochen. Da der Etat für „Personalkosten Pastorale Dienste“ von 70,75 Millionen Euro nicht überschritten worden sei, habe es auch keine zustimmungspflichtige Abweichung von Wirtschaftsplan gegeben. Es gebe auch keine Grenze von 500.000 Euro für so eine Pflicht.
Wer trägt laut Erzbistum die Verantwortung?
Laut Günnewig hatten Generalvikar, Finanzdirektor und Justiziarin 2015/16 über die Zahlungen im Einvernehmen mit dem Personalchef entschieden. Alle vier sind nicht mehr im damaligen Amt. Der heutige Generalvikar Markus Hofmann wurde erst 2018 berufen, Finanzdirektor Gordon Sobbeck 2019. Von einer Einbindung Woelkis ist in Günnewigs Schreiben nicht die Rede.
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Der Priester, der sich laut Günnewig „in einer seelischen und gesundheitlichen Ausnahmesituation befand und hoch verschuldet war“, hatte sich 2014 an Woelkis Vorgänger Joachim Kardinal Meisner gewandt. Offensichtlich – das schreibt Günnewig aber nicht – ging es zunächst „nur“ um eine mittlere fünfstellige Summe, erst nach und nach scheint das Finanzdrama um den schwer kranken Mann in seinem ganzen Ausmaß deutlich geworden zu sein. Daher wohl die fünf Tranchen, die am Ende nicht reichten: Der Geistliche meldete 2018 Privatinsolvenz an und steht heute unter Betreuung. Deshalb, so der Günnewig-Brief, könne man von ihm nichts zurückfordern. Von einer Spielsucht des Priesters ist dem Erzbistum nichts bekannt.
Von Woelki ist im Fall des Priesters nur die Anweisung überliefert: „Behandelt ihn wie jeden anderen.“ Bei Günnewig steht davon, wie gesagt, nichts. Öffentlich hat das Erzbistum bereits hervorgehoben, dass für die Zahlungen „kein Cent verwendet“ worden sei, „der für die Zahlung von Leistungen an Betroffene von sexualisierter Gewalt vorgesehen war und ist“.