London – Die Konservative Partei von Premierminister Boris Johnson hat bei den Kommunal- und Bezirkswahlen in Großbritannien schwere Verluste erlitten. Von hoher Symbolkraft waren vor allem die Niederlagen in den Londoner Bezirken Westminster, wo sich die Regierungsgebäude befinden, und Wandsworth, die seit Jahrzehnten von den Tories regiert worden waren. Dort setzte sich jeweils die größte Oppositionspartei Labour durch. Am Freitagvormittag war erst rund ein Drittel der Wahlbezirke ausgezählt. Zwar waren Verluste der Tories erwartet worden. Dennoch dürften die deutlichen Ergebnisse den Druck auf Johnson noch erhöhen, der wegen der „Partygate“-Affäre bereits parteiintern in der Kritik steht.
Abstimmung als erstes Stimmungsbild seit „Partygate“
Die Abstimmung am Donnerstag galt als erstes Stimmungsbild seit der Affäre um illegale Lockdown-Partys im Londoner Regierungssitz Downing Street und weitere Skandale der Konservativen Partei. Den Tories wird zudem vorgeworfen, die grassierende Lebenskostenkrise nicht in den Griff zu bekommen. Insgesamt wurde über Tausende Sitze in Gemeinde- und Bezirksräten in weiten Teilen Englands sowie in Wales und Schottland abgestimmt. Johnson selbst stand nicht zur Wahl. Die nächste Parlamentswahl ist für 2024 vorgesehen.
Labour-Chef Keir Starmer sprach von einem „gewaltigen Wendepunkt“. Seine Partei, die bei der Parlamentswahl 2019 eine heftige Niederlage erlitten hatte, gewann unter anderem auch in der südenglischen Hafenstadt Southampton und dem neu geschaffenen nordwestenglischen Bezirk Cumberland. „Wir haben Labour verändert“, sagte Starmer und sprach von einer „Botschaft“ an Johnson.
Der Premier gilt zunehmend als Belastung für seine Partei. Im Wahlkampf hatten sich konservative Kandidaten vielerorts von Johnson distanziert und teilweise auf Wahlzetteln darum gefleht, sie nicht für Fehler der Regierung verantwortlich zu machen.
Boris Johnson übernimmt Verantwortung für schlechte Wahlergebnisse seiner Partei
Der bisherige Vorsitzende des Stadtrats im nordwestenglischen Carlisle machte Johnson für die Niederlage verantwortlich. „Probleme wie ‚Partygate‘ haben es zunehmend schwierig gemacht, sich auf örtliche Fragen zu konzentrieren“, sagte Tory-Mitglied John Mallinson der BBC. Der konservative Parlamentsabgeordnete David Simmonds aus London sagte, Johnson habe „schwierige Fragen zu beantworten“. Auch in Schottland steuerten die Tories auf eine herbe Schlappe zu.
Tory-Generalsekretär Oliver Dowden spielte die Verluste herunter. „Natürlich hatten wir einige schwierige Resultate, das kann man in London sehen“, sagte Dowden der BBC. Aber in anderen Gemeinden hätten die Tories zugelegt. „Wenn man sich das ganze Bild anschaut, zeigt das wahrlich nicht, dass Labour ein Momentum hätte, um die nächste Regierung zu stellen“, sagte Dowden.
Als Gewinner der Wahl galten auch die Liberaldemokraten. Sie gewannen landesweit Dutzende Sitze hinzu und wurden etwa in der nordostenglischen Stadt Hull stärkste Kraft.
Premierminister Boris Johnson hat für die Ergebnisse bei den Kommunalwahlen in England die Verantwortung für die Ergebnisse übernommen. „Wir haben eine harte Nacht hinter uns in einigen Teilen des Landes, aber andererseits haben wir auch Zugewinne gemacht an Orten, die lange nicht, wenn überhaupt schon einmal, konservativ gewählt haben“, sagte Johnson am Freitag zu Reportern beim Besuch einer Schule in London. „Die wichtigste Botschaft der Wähler ist, dass wir uns um die Dinge kümmern sollen, die ihnen am wichtigsten sind“, sagte der Regierungschef weiter.
„Die Partei hat nicht die Katastrophe erlitten, die den Druck so sehr erhöht hätte, dass Johnson zurücktreten müsste“, sagte der Politologe Mark Garnett. Zwar gab es auch außerhalb von London Niederlagen. Doch hier konnten meist die kleineren Liberaldemokraten profitieren und nicht Labour. Damit dürfte das Ergebnis – auf Landesebene hochgerechnet – für die Tories nicht so heftig ausfallen wie befürchtet.
Labour-Chef Starmer könne nicht mal davon träumen, die Regierung zu leiten, zitierte die Nachrichtenagentur PA eine Quelle in der Downing Street. Zumal Starmer nun selbst wegen eines möglichen Bruchs der Corona-Regeln im Fokus von Polizeiermittlungen steht. Eine entsprechende Mitteilung der Polizei in der Stadt Durham dürfte den Labour-Jubel rasch dämpfen.
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Und noch etwas spricht für den Premier, wie Garnett sagte: „Es gibt immer noch keinen geeigneten Ersatz für Johnson.“ Zudem könnten seine Anhänger argumentieren, dass es ein Fehler wäre, in Zeiten einer internationalen Krise wie dem Ukraine-Krieg einen Führungswettbewerb zu veranstalten. Keinesfalls auszuschließen also, dass Johnson, dem oft mehr Leben einer Katze als jedem anderen Politiker nachgesagt werden, auch diesmal wieder auf den Füßen landet. (dpa)