Interview mit Lars Klingbeil„Wir haben den kompetentesten Kanzlerkandidaten“
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Die deutschen Parteien fiebern der Bundestagswahl im September entgegen. Für die SPD sieht es dabei nach den aktuellen Umfragen allerdings nicht gut aus. Im Interview mit Tobias Schmidt attestiert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil seiner Partei aber gute Chancen. Kann sie sich aus dem Umfragetief befreien?
Herr Klingbeil, der Bundestag geht in die Sommerpause, die Groko hat fertig. Warum bleibt eine gerupfte SPD zurück und eine erstarkte Union?
Das sehe ich anders. Die Menschen, mit denen ich spreche, sind gerade noch mit ganz anderen Fragen als mit der Bundestagswahl beschäftigt. Wann werde ich geimpft, wie geht es mit den Kids nach den Sommerferien weiter, wo kann ich Urlaub machen? Die Frage, wer nach 16 Jahren Angela Merkel nächster Bundeskanzler wird, wird in wenigen Wochen mit Wucht ins Zentrum rücken. Und wir haben mit Olaf Scholz den kompetentesten und krisenfesten Kandidaten, der einzige im Bewerberfeld, der auch mit Biden oder Putin auf Augenhöhe verhandeln könnte. Und wir haben ein gutes, durchdachtes und durchgerechnetes Zukunftsprogramm. Die Beliebtheitswerte von Olaf Scholz sind hervorragend, und deswegen ist das Rennen völlig offen. Der Kampf wird auf den letzten Metern entschieden.
Anders als seinerzeit Martin Schulz hat Olaf Scholz nicht nach der Wahl, sondern schon vor der Wahl eine neue Groko ausgeschlossen. War das klug?
Wir schließen eine Zusammenarbeit mit der Union nicht per se aus. Wir konnten ja in den letzten Jahren gemeinsam vieles auf den Weg bringen. Aber die heutige Union ist in einem desolaten Zustand. Dreizehn amtierende oder ehemalige Abgeordnete sind in Korruptionsvorwürfe verwickelt. Die „neue Union“ nach Angela Merkel setzt auf Personen wie Hans-Georg Maaßen. Und Armin Laschet hat keine Ideen und kein Konzept, wie ein Blick in sein Wahlprogramm offenbart. Die Union hat das Kanzleramt nicht gepachtet. Wer nach 16 Jahren Merkel so ausgelaugt ist, der sollte sich in der Opposition erst mal ein paar Jahre erholen. Für das Land war es gut, dass die SPD nach der Fahnenflucht der FDP gemeinsam mit der Union die letzten Jahre regiert hat. Das Kurzarbeitergeld hätte es ohne die Sozialdemokraten so nicht gegeben, das hat mehr als zwei Millionen Jobs in der Corona-Krise gesichert.
Was wäre mit einer Deutschland-Koalition?
Nach der Wahl wird es wohl verschiedene Bündnisoptionen geben. Das Rennen ist für alle offen. Für uns geht es jetzt darum, so stark wie möglich zu werden und die Beliebtheitswerte von Olaf Scholz auf die SPD zu übertragen. Das wird funktionieren, wenn wir Olaf Scholz nach vorne stellen, wenn wir über bezahlbares Wohnen, eine klimagerechte Zukunft und faire Löhne sprechen, aber nicht, wenn wir über Koalitionen spekulieren. Mit einer Ausnahme: Für jegliche Zusammenarbeit mit der AfD gibt es jetzt und immer ein kategorisches Nein der SPD.
Wo liegen die dicksten Differenzen zur Union?
Armin Laschet tritt ohne Plan an. Wo wir ein durchdachtes Zukunftsprogramm mit gezielten und gegenfinanzierten Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung und Infrastruktur aufgelegt haben, verliert sich die Union in Rechenfehlern und Widersprüchen. CDU und CSU wollen Spitzenverdienern und Unternehmen Steuergeschenke machen und damit eine Lücke von mindestens 35 Milliarden Euro in die Staatskassen reißen. Die Pflegekraft oder die Supermarktkassiererin geht bei CDU/CSU leer aus. Für uns ist klar: Die richtig Vermögenden müssen nach der Krise mehr leisten. Die unteren und mittleren Einkommen entlasten wir. Am gravierendsten ist die Kluft zur Union aber bei der Rente. Olaf Scholz hat eine Rentengarantie auch über 2025 hinaus abgegeben. Dagegen verschweigt Armin Laschet, was er mit der Rente vorhat. Er hat sogar persönlich verhindert, dass Verbesserungen bei der Rente, auf die CSU-Chef Markus Söder gedrungen hatte, ins Wahlprogramm der Union kommen.
Laschet hält neue Rentengeschenke für unbezahlbar…
Es geht doch nicht um neue Geschenke! Der Unionskandidat weigert sich, eine Garantie für das Niveau der gesetzlichen Rente abzugeben. Sollte die Union ihre Pläne umsetzen, würde das faktisch für Millionen Rentnerinnen und Rentner in diesem Land eine niedrigere Rente bedeuten. Laschet setzt auf eine Politik der sozialen Kälte. Dagegen verspricht Olaf Scholz klipp und klar, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken wird. Deutlicher könnten die Unterschiede nicht sein.
Wie lässt sich denn verhindern, dass das Rentensystem angesichts der Alterung der Gesellschaft massiv unter Druck gerät?
Durch starke wirtschaftliche Leistung, indem wir in Digitalisierung investieren, die klimaneutrale Industrie zum Wachstumsmotor machen und gute Jobs schaffen. Und durch gute Lohnpolitik insgesamt: Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro bedeutet höhere Renten für mindestens zehn Millionen Menschen. Dafür kann der Staat sorgen, und zwar nicht nur für die älteren Generationen, sondern auch für die Jüngeren, die jetzt ins Arbeitsleben einsteigen und noch 40-50 Jahre vor sich haben. Auch sie brauchen die Gewissheit, dass es am Ende gut für sie ausgeht.
Die Union schlägt eine neue Generationenrente vor, bei der der Staat für jeden Bürger ab der Geburt Geld anlegt. Was spricht denn dagegen?
Das habe ich auch gelesen, aber wie das genau funktionieren soll, sagt die Union nicht. Sie bleibt vor allem vage. Die SPD setzt ganz klar auf die Stärkung und Stabilisierung der gesetzlichen Rente. Private Vorsorge kann eine gute Ergänzung sein, dafür braucht es kostengünstige und unbürokratische Angebote mit staatlicher Förderung. Aber das darf nicht zu einer Schwächung der gesetzlichen Rente führen, wie es die Union will, um in die Kapitaldeckung zu gehen. Das wäre ein Fehler.