AboAbonnieren

Interview mit Jürgen Rüttgers zum 70.„Mir geht es sehr gut. Außer Arbeit kerngesund“

Lesezeit 5 Minuten

Der Pulheimer Jürgen Rüttgers

  1. Der ehemalige NRW-Ministerpräsident und Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) wird am Samstag 70 Jahre alt.
  2. Sandro Schmidt sprach mit ihm.

Lieber Herr Rüttgers, kurz vor Ihrem 70. Geburtstag: Wie geht es Ihnen?

Mir geht es sehr gut. Außer Arbeit kerngesund.

Sie sind noch viel unterwegs und ein viel beschäftigter Mann. Wo liegt derzeit der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit?

Ich habe ja eine Professur an der Universität Bonn. Es macht mir viel Freude, mit den jungen Leuten über politische Wissenschaften nachzudenken. Gerade habe ich ein Seminar beendet, wo es um die neue Weltordnung geht nach dem Brexit, der US-Präsidentenwahl und all den Schwierigkeiten der letzten Jahre.

Zur Person

Jürgen Rüttgers wurde am 26. Juni 1951 als Sohn eines Elektromeisters in Köln geboren. Nach dem Abitur am Kölner Apostelgymnasium 1969 studierte er in Köln Jura und Geschichte. 1979 wurde er an der dortigen Uni promoviert. Mitglied der CDU ist der Pulheimer seit 1971. Von 1980 bis 1986 führte er die Junge Union in NRW, von 1981 bis 2010 gehörte er dem CDU-Landesvorstand an, 1993 wurde er Parteivize , 1999 NRW-Vorsitzender.

Dem Bundestag gehörte der seit 1982 verheiratete Katholik 1987 bis 2000 an, wo er zahlreiche hochrangige Fraktionsämter ausübte. 1994 bis 1998 war er Bundesbildungs- und Forschungsminister unter Kanzler Helmut Kohl. Nach der von der CDU verlorenen Bundestagswahl wandte sich Rüttgers der Landespolitik zu , wurde 2000 Fraktionschef im Landtag und führte die Partei nach 38 Jahren SPD-Regierung zum Wahlsieg 2005. Nach fünf Jahren als Ministerpräsidenten verlor die schwarz-gelbe Koalition die Wahl 2010. 2012 legte Rüttgers sein Landtagsmandat nieder.

Der Vater dreier Söhne arbeitet seitdem als Rechtsanwalt und als Honorarprofessor an mehreren Unis. Er übt zudem zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten aus. Unter anderem ist er Kuratoriumsvorsitzender des Vereins „2021 – Jüdisches Leben in Deutschland“, der bundesweit das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gestaltet. (EB)

Sie haben mit dem Abschied aus dem Landtag 2012 dem politischen Betrieb den Rücken gekehrt und einen neuen Lebensabschnitt begonnen. Tut Ihnen der Abschied aus der Politik im Rückblick leid?

Meine Mandate habe ich nicht mehr fortgeführt, weil das neben einer Tätigkeit als Rechtsanwalt und an der Universität nicht ging. Ich tue mich schwer mit der Formulierung, nicht mehr in der Politik tätig zu sein. In Wahrheit habe ich eine große Anzahl von Engagements, wo ich mich ehrenamtlich einbringen kann – wie etwa in Polen in der Stiftung Auschwitz-Birkenau, mit der das KZ restauriert und in Ordnung gehalten wird. Da bin ich einziger deutscher Vertreter. In einer anderen Stiftung beschäftigen wir uns mit der Erinnerungskultur und der Frage, wie man mit Blick auf solche Menschheitsverbrechen junge Generationen erreichen kann. Das hat auch viel mit dem Thema Antisemitismus zu tun. Und jüngst hat mich die Bundesregierung gebeten, an der Kommission zur Restitution von in der Nazi-Zeit geraubten Kunstwerken mitzuarbeiten.

Sie sind immer ein glühender Befürworter des Zusammenwachsens Europas gewesen. In der Corona-Pandemie – und nicht nur bei diesem Thema – wurde der EU Schwäche und Versagen vorgeworfen. Es gibt zunehmend nationalstaatliche Tendenzen. Besorgt Sie das?

Es gibt solche Tendenzen, das ist wahr. Und da gibt es nur eine Antwort drauf: Dass die Europäer und die Demokraten in Europa sich wehren müssen gegen Populisten, gegen Rechts- und Linksradikale.

Ich tue mich schwer mit der These, die Europäische Kommission habe versagt. Sie hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles gemacht, was man machen kann. Aber dass das nicht ausgereicht hat, ist wahr. Das hat etwas mit den Mitgliedsstaaten zu tun. Dort konnte man sich eine solche Krisensituation nach Ende des Kalten Krieges und der europäischen Freiheitsrevolution von 1989/90 gar nicht mehr vorstellen und hatte zum Beispiel aus Sparsamkeitsgründen damals vorhandene Lager für Notsituationen aufgelöst.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wenn wir jedoch die Bewältigung der Corona-Krise hierzulande mit anderen Ländern, auch weltweit, vergleichen, können wir auf unsere Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und auf alle, die in diesem Bereich gearbeitet haben, sehr sehr stolz sein. Alles in allem hat die Versorgung gut geklappt.

Wenn Sie heute einen Wunsch äußern dürften, wie sich bis zu Ihrem 100. Geburtstag unser Leben in Deutschland und Europa weiterentwickelt hätte: Wie würde der lauten?

So weit vorauszuschauen, habe ich bisher nicht die Zeit gehabt. In diesem Jahr feiere ich 50 Jahre CDU-Mitgliedschaft: Da bin ich sehr dankbar, dass ich bei zahlreichen wichtigen Entwicklungen mitwirken durfte. Ich denke zum Beispiel an die große europäische Hochschulreform, die Bologna-Reform. Gerade habe ich irgendwo gelesen, das sei die größte Hochschulreform seit Wilhelm von Humboldt vor über 200 Jahren gewesen. Zudem haben wir zahlreiche Forschungsinstitute gegründet. Das lässt sich schon sehen. Und nicht zu vergessen, den Ausstieg aus der Steinkohle haben wir vor der Wahl 2005 in NRW eingeleitet. Jetzt geht es um den Umbau des Rheinischen Braunkohle-Reviers. Hier gibt es eine Reihe von Projekten, bei denen ich gebeten worden bin zu helfen. Wir sollten darüber nachdenken, wie das am besten geht und nicht räsonieren, was nicht geht. Nachhaltigkeit wird ein großes Thema.

Das dauert Jahrzehnte. Würden Sie gerne ihren 100. Geburtstag erleben?

Ich kann mir das vorstellen. Da habe ich keine Angst. Es ist wichtig, dass man aktiv bleibt im Rahmen seiner gesundheitlichen und geistigen Möglichkeiten.

Wie feiern Sie am Samstag?

Mit Freunden und Familie. Am Sonntag hat die CDU Weggefährten aus der Bundespolitik, dem Land NRW, dem Rhein-Erft-Kreis und aus meinem Wohnort Pulheim in die Abtei Brauweiler eingeladen.