- Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und damit Deutschlands oberster Mediziner, ist zwar für eine allgemeine Impfpflicht.
- Im Interview mit Tobias Schmidt warnt er aber vor Zwangsimpfungen. Einen „Lockdown für Ungeimpfte“ findet er richtig.
Herr Reinhardt, Bund und Länder haben sich auf härtere Corona-Maßnahmen geeinigt. Ungeimpfte dürfen nicht mehr shoppen. Ist das wirklich notwendig?
Ja, ich halte mindestens 2G für den Einzelhandel für notwendig. Die Testung von Nichtgeimpften ist kaum zu kontrollieren. Zudem macht es den immer noch Ungeimpften deutlich, dass wir die Corona-Pandemie nur mit Impfungen schnell überwinden können.
Trotz der vielen Impfdurchbrüche?
Ich habe gerade mit meinem US-Kollegen gesprochen. Auch er sagt ganz klar: Hohe Impfraten bedeuten niedrigere Inzidenzen und vor allem viel weniger schwer kranke Patienten. Bei uns müssen Intensivpatienten inzwischen aus Sachsen in nördliche Bundesländer verlegt werden. Also: Ungeimpfte müssen in der gegenwärtigen Lage in den Lockdown, auch wenn es nur ein Lockdown light ist. Es geht nicht anders. Ich stehe voll und ganz hinter den entsprechenden Beschlüssen von Bund und Ländern.
Auch hinter der Impfpflicht?
Wir hätten alle lieber auf eine allgemeine Impfpflicht verzichtet. Mittlerweile sehen wir aber, dass sie das einzige Mittel ist, um aus der Lockdown-Endlosschleife herauszukommen. Ich finde es richtig, dass der Gesetzgeber dabei den Deutschen Ethikrat einbezieht. Das schafft in der Bevölkerung Vertrauen und erhöht die Akzeptanz eines solch weitreichenden Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Menschen. Wichtig ist, wir sprechen von einer Impfpflicht, nicht von einem Impfzwang. Niemand darf zwangsgeimpft werden. Wer der Impfpflicht nicht nachkommt, muss aber mit spürbaren Restriktionen bei der Teilnahme am öffentlichen und gewerblichen Leben rechnen.
Bei hohen Inzidenzen sollen aber auch für Geimpfte Clubs und Restaurants dichtgemacht werden...
Aus unserer Sicht sollte das öffentliche Leben für Genesene und Geimpfte dann weitergehen können, wenn sie beim Besuch von Restaurant oder Bar zusätzlich einen negativen Corona-Bürgertest vorlegen. Einen Lockdown „light“ für diejenigen, die vollständig immunisiert sind und sich rechtzeitig boostern lassen und dann auch noch das Testen auf sich nehmen, halte ich für unangemessen, es könnte manchen Menschen auch die Motivation nehmen, das Notwendige zu tun. Etwas anderes sind natürlich dicht gedrängte Zusammenkünfte in Clubs und Diskotheken, da ist die notwendige Distanz einfach nicht einzuhalten.
30 Millionen Impfungen bis Weihnachten: Ist das zu schaffen?
An der Bereitschaft der Ärzte, sich weiter voll in die Impfkampagne einzubringen, soll es nicht liegen. Allein in der letzten Woche wurden in den Praxen mehr als drei Millionen Corona-Impfungen verabreicht. Voraussetzung ist aber, dass der Bund die angekündigten Impfstoffmengen tatsächlich zur Verfügung stellt und die Dosen dann auch wirklich in den Ländern ankommen. Im Moment haben wir da noch große Defizite. Ich erwarte, dass der neue Corona-Krisenstab unter Führung von General Breuer die Logistik nun endlich in den Griff bekommt. Nichts ist schädlicher für die Impfkampagne, als wenn Impfwillige wegen fehlender Impfstoffe keine Termine bekommen oder stundenlang in den Impfzentren anstehen müssen. Das sorgt für Frust und schreckt andere potenziell Impfwillige ab.
„Behutsam vorgehen“
RKI-Chef Lothar Wieler hat in der Impfpflicht-Debatte für ein behutsames Vorgehen geworben. Es gehe etwa um die Fragen, ab welchem Alter eine Impfpflicht gelten solle und wie damit umgegangen werde, dass auch Impfungen keinen 100-prozentigen Schutz brächten. Das Land müsse noch sehr viel diskutieren, sagte Wieler. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekräftigte seine „grundsätzlich sehr skeptische Haltung, was eine allgemeine Impfpflicht angeht“. Er habe in dieser Frage sein Wort gegeben. Wahrscheinlich Anfang 2022 wird der Bundestag über die Einführung abstimmen, wobei der Fraktionszwang aufgehoben werden soll. (dpa)
Was hält der Ärztepräsident davon, dass auch Apothekerinnen und Apotheker bald impfen dürfen?
Einerseits müssen wir die Impfkampagne in Deutschland dringend beschleunigen, andererseits muss natürlich auch die Sicherheit der zu Impfenden gewährleistet sein. Bei der konkreten Ausgestaltung des neuen Beschlusses plädiere ich deshalb dafür, dass Ärztinnen und Ärzte nur dann von anderen Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen in der Impfkampagne unterstützt werden, wenn dadurch wirklich mehr Menschen geimpft werden können. Dies sollte nur in Impfzentren unter ärztlicher Aufsicht umgesetzt werden; ärztliche Hilfe muss jederzeit gewährleistet sein.
Ist Boostern die Wunderwaffe gegen das Virus und seine Mutanten?
Auffrischungsimpfungen sind notwendig, um die vierte Welle zu brechen. Je mehr Menschen geboostert sind, desto weniger Impfdurchbrüche und Schwerkranke wird es geben. In Israel hat die frühe Boosterkampagne maßgeblich dazu beigetragen, die Inzidenzen schnell zu senken.
In Israel wurde nach fünf und nicht erst nach sechs Monaten geboostert. Warum bei uns die lange Pause?
Es spräche nichts gegen eine Verkürzung der Frist von sechs auf fünf Monate, wenn denn wirklich genug Impfstoff zur Verfügung gestellt wird, wie versprochen. Das würde für deutlich mehr Tempo sorgen. Bleibt es bei den sechs Monaten, müssten mehr als 12 Millionen Menschen bis zum 1. Januar auf die Auffrischungsimpfung warten. Das wäre eine unnötige Bremse.
Was bringt eine Silvester-Ruhe?
Ein Böllerverbot kann helfen, dichte Zusammenkünfte, gerade auch von Alkoholisierten zu unterbinden. Und natürlich werden die Krankenhäuser nicht zusätzlich mit Böller-Verletzten belastet. Ich bin ohnehin seit langem gegen das ungeregelte Böllern, es führt immer wieder zu schlimmen Verletzungen und ist schlecht fürs Klima und die Umwelt. Es ist jetzt wirklich nicht die Zeit, mit Kanonenschlägen und Raketen das neue Jahr zu begrüßen, während auf den Intensivstationen Tausende ums Überleben kämpfen und Pflegekräfte und Ärzte am Limit sind.
Wen wünschen Sie sich als nächsten Bundesgesundheitsminister – Karl Lauterbach?
Das überlassen wir natürlich der SPD, wir nehmen jede Gesundheitsministerin oder jeden Gesundheitsminister vorurteilsfrei, sachlich und mit der offenen Bereitschaft zur Zusammenarbeit an. Wichtig ist, dass der neue Gesundheitsminister oder die neue Gesundheitsministerin nicht spaltet, sondern integriert, gerade in einer so aufgeheizten Lage wie jetzt.