Berlin – Nach dem holprigen Impfstart in Deutschland hat Gesundheitsminister Jens Spahn bei der Bevölkerung um Vertrauen und Geduld geworben. „Es kommen jede Woche Impfstoffe, und es werden auch mehr Zug um Zug”, sagte der CDU-Politiker am Samstag in Berlin. „Ich bitte einfach um ein Stück Vertrauen.”
Angesichts überlasteter Hotlines plädierte Spahn für Änderungen bei der Impftermin-Vergabe. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach angesichts des wochenlangen Lockdowns von einem „gewaltiger Kraftakt” für Familien. Sie warb aber ebenfalls um Geduld.
Angela Merkel will am Montag zur Lage beraten
Angesichts erheblicher Kritik am schleppenden Impf-Beginn und der Produktionsprobleme bei einigen Herstellern will Merkel am Montag mit den Ministerpräsidenten über die Lage beraten. An einer Videokonferenz sollen auch mehrere Bundesminister, Impfstoffhersteller sowie Vertreter der EU-Kommission teilnehmen, die für die gesamte EU Impfstoff bei verschiedenen Herstellern einkauft.
Wie das Gesundheitsministerium auf Twitter mitteilte, werden bis zum 22. Februar laut der Hersteller Biontech, Moderna und Astrazeneca mindestens weitere 5 Millionen Impfdosen an die Länder geliefert. Seit Beginn der Impfkampagne seien über 3,5 Millionen Dosen ausgeliefert und 2,2 Millionen Dosen verimpft worden.
In einem weiteren Tweet teilte das Ministerium am Abend mit, Biontech und Astrazeneca lieferten den Bundesländern bis zum 22. Februar 1,747 Millionen Dosen mehr als bisher geplant. damit würden auch vorübergehende Engpässe beim Moderna-Impfstoff „mehr als ausgeglichen”.
Spahn räumt ein: Impfstart war schwierig
Moderna hatte am Freitagabend „kurzfristig angepasste Lieferschätzungen” bestätigt. Diese sollen aber bald wettgemacht sein. Alle Lieferverpflichtungen im ersten Quartal würden eingehalten, hieß es. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher reagierte verärgert auf die Kürzung der Moderna-Lieferungen. „Gerade teilt das Bundeskanzleramt mit, dass jetzt auch die zugesagten Lieferungen der Moderna-Impfstoffe reduziert werden. Wie soll man da Impfungen planen?”, schrieb der SPD-Politiker am Samstag auf Twitter.
Spahn räumte ein, der Impfstart sei ohne Zweifel schwierig gewesen. Es sei viel Frust entstanden, was Hotlines angehe und die Frage der Lieferungen. „Ich verstehe auch die Ungeduld gut, sehr gut.” Man habe aber ein Jahr nach Beginn der Pandemie drei zugelassene wirksame Impfstoffe.
Bei dem Impfgipfel am Montag sollen nach den Worten von Spahn auch die Probleme bei der Impftermin-Vergabe besprochen werden. „Das muss besser werden”, sagte der Minister am Samstag bei einem Townhall-Meeting.
Corona-Neuinfektionen gehen weiter zurück
Zum Start der Impftermin-Vergabe in NRW etwa waren Anmelde-Webseiten und Hotlines geradezu überrannt worden. Zahlreiche impfwillige Menschen ab 80 Jahren oder ihre Angehörigen kamen telefonisch nicht durch und hatten auch online zunächst keinen Erfolg. Darauf verwies auch Spahn. Es mache Sinn, wie einige Länder es machten, nicht gleich alle aus einer Altersgruppe einzuladen - sondern die Gruppen, die einen Termin vereinbaren könnten, kleiner zu machen.
Unterdessen gehen die Corona-Neuinfektionen weiter zurück. Wie aus Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) am Samstagmorgen hervorging, haben die deutschen Gesundheitsämter 12.321 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet. Am Samstag vor einer Woche hatte das RKI 16. 417 Neuinfektionen verzeichnet. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI bei 90,9 - Ziel der Bundesregierung ist ein Wert von 50.
Vor diesem Hintergrund ist der Lockdown mit der Schließung von Kneipen und Restaurants, vieler Geschäfte sowie Schulen und Kitas derzeit bis Mitte Februar befristet.
Die Kassenärzte warnen vor den Folgen des Corona-Lockdowns für Kinder
Merkel warnte am Samstag in ihrem am Samstag veröffentlichten Video-Podcast vor übereilten Schritten: Zwar gingen die Infektionszahlen zurück - gleichzeitig gebe es aber eine sehr reale Gefahr durch die hochansteckenden Virusmutationen. „Deshalb müssen wir auf unserem Weg durch die nächsten Wochen vorsichtig und behutsam handeln.”
Merkel sagte, es sei ein „gewaltiger Kraftakt” für Eltern, Kita- und Grundschulkinder zu Hause zu betreuen und zu unterrichten. Gleichzeitig müssten oft auch ältere Kinder beim digitalen Lernen begleitet werden. Dazu kämen die eigenen beruflichen Verpflichtungen.
Die Kanzlerin sagte zugleich: „Noch sind wir nicht so weit, Kitas und Schulen wieder öffnen zu können.” Aber: „Je konsequenter wir uns jetzt verhalten, auf Kontakte verzichten und da, wo sie unumgänglich sind, Abstand halten, Hygieneregeln beachten und Masken tragen, desto schneller wird das wieder möglich sein.”
Die Kassenärzte warnten vor den Folgen des wochenlangen Corona-Lockdowns für Kinder und forderten, die Schulen so rasch wie möglich wieder zu öffnen. „Schon jetzt berichten Kinderärzte und Jugendtherapeuten über eine massive Zunahme von Kindern, die verhaltensauffällig sind”, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, der „Rheinischen Post” (Samstag). „Kein Wunder, wenn sie über Wochen keine anderen Kinder zum Spielen und keine strukturierten Tage mehr haben.”
Thema am Montag ist auch eine Altersbeschränkung beim Impfstoff Astrazeneca
Ein wichtiges Thema beim Impfgipfel am Montag dürfte die Empfehlung der Ständigen Impfkommission über eine Altersbeschränkung beim Impfstoff von Astrazeneca sein. Die am Robert Koch-Institut (RKI) angesiedelte Impfkommission hatte den Astrazeneca-Impfstoff nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen.
Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren lägen bisher keine ausreichenden Daten vor, hieß es. Zuvor hatte die EU-Arzneimittelbehörde EMA die europaweite Zulassung des Impfstoffs empfohlen, und zwar für Erwachsene ab 18 Jahren ohne eine Altersbegrenzung.
Spahn kündigte eine Überarbeitung der Impfverordnung an. Man werde generell an einer Priorisierung festhalten, aber die „Alterskomponente” für den Astrazeneca-Impfstoff aufgreifen.
Die Impfverordnung sieht eine Priorisierung vor. Die höchste Priorität haben Menschen, die das 80. Lebensjahr vollendet haben, und etwa das Personal in Pflegeheimen. (dpa)