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Ex-SternsingerpräsidentErzbistum informierte erst spät über Missbrauchsverdacht

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Dunkle Wolken über Köln

Wolken über dem Kölner Dom (Symbolbild)

Köln – Sein Lied „Laudato si“ ist aus keinem katholischen Jugendgottesdienst wegzudenken und steht mittlerweile auch im Evangelischen Gesangbuch. Beim Requiem für Pfarrer P. zogen kleine Könige am 9. März 2019 in die Kirche von Leutersdorf in Sachsen ein, denn das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ in Aachen hatte P. ein Jahrzehnt lang geleitet. Dreieinhalb Jahre später äußert sich das Missionswerk „fassungslos, traurig und wütend zugleich“. Das Erzbistum Köln, in dem P. 1966 zum Priester geweiht worden war und lange auch in der Jugendseelsorge gearbeitet hat, hat mögliche Betroffene, die von P. sexualisierte Gewalt erfahren haben könnten, aufgerufen sich zu melden. Einen entsprechenden Aufruf hat dann auch das Bistum Dresden-Meißen veröffentlicht.

Ermittelt wurde bereits ab 2012 gegen P.

Warum jetzt? Und warum erst jetzt? Bereits von 2012 bis 2014 war in Köln gegen P. ermittelt worden, ganz korrekt mit Meldung an die Glaubenskongregation. Am Ende, 2014, kurz vor seiner Emeritierung, erteilte Erzbischof Joachim Kardinal Meisner P. einen Verweis, erlegte ihm eine Geldstrafe auf und verbot ihm den Kontakt mit Minderjährigen ohne Anwesenheit weiterer Erwachsener. Damals ging es um einen Fall aus den frühen 1970er Jahren (wir berichteten): Ein Betroffener warf P. sexuellen Missbrauch vor. Der Vorwurf bestätigte sich teilweise, es blieb aber unklar, ob der Betroffene zum Tatzeitpunkt noch minderjährig war. In jedem Fall stand er als Sekretär in einem Abhängigkeitsverhältnis zu P. – Anlass genug für eine Sanktion.

Nur: Das für P.s Ruhestandssitz in Leutersdorf zuständige Bistum Dresden-Meißen erhielt nach eigenen Angaben erst im Juni 2022 Kenntnis von dem Verfahren. Die „Sternsinger“ wurden sogar erst 2021 intern informiert, der Kölner Diözesanverband des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), dessen Präses P. in den 1970er Jahren war, wiederum erst im Juni 2022. Und das Bistum Aachen erfuhr erst durch die Kölner Pressemitteilung von dem Fall.

P. stammte aus dem Sudentenland, Leutersdorf liegt nahe seiner alten Heimat. Er nahm nach Darstellung des Bistums Dresden-Meißen „sowohl im benachbarten Bistum Leitmeritz (Tschechien) als auch an seinem Wohnort Leutersdorf noch Vertretungsdienste wahr“. Das Erzbistum Köln ging dagegen bisher davon aus, P. habe sich vor allem bei einer Kirchenrestaurierung in Tschechien engagiert. Warum die Kollegen an der Elbe seinerzeit, wohlgemerkt am Ende der Ära Meisner, nicht über die Auflagen informiert wurden, die sie ja hätten durchsetzen müssen, kann das Erzbistum Köln bisher nicht erklären.

Der in Münster lehrende Kirchenrechtler Thomas Schüller hat dazu eine klare Auffassung: Die Bistumsleitung unter Kardinal Meisner habe rechtswidrig gehandelt. Sie hätte das Bistum Dresden-Meißen über die P. auferlegte Kontaktbeschränkung informieren müssen. Das geht nach seinen Angaben aus den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz hervor. Punkt 53 der damals geltenden Fassung von 2013 schreibt das fest.

Woelki würdigte P. im Nachruf als „starke Stimme für die Kinder in aller Welt“

Wie sehr der Fall P. danach auch in Köln in den Hintergrund trat, zeigt der Nachruf, den der heutige Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki 2019 unterzeichnete und in dem er „mit großer Dankbarkeit“ an P.s Wirken erinnerte. P.s Nachfolger bei den „Sternsingern“, Klaus Krämer, nannte eine „starke Stimme für die Kinder in aller Welt“.

Bei dieser Erinnerung an einen charismatischen Seelsorger blieb es – bis in diese Tage. Intern, so teilen das Erzbistum Köln und die „Sternsinger“ mit, hatte die Erzdiözese den Fall P. bereits 2021 wieder aufgegeben. Was war der Grund?

Beim Erzbistum ist vom einem neuen Vorwurf einer anderen Person gegen P. die Rede. Nun ging es um P.s Zeit als Pfarrer in Kaarst (1989 bis 2000). Dieser Vorwurf wurde überprüft. Dem Vernehmen nach blieb dies ergebnislos. Dennoch entschied sich das Erzbistum, vorsichtshalber nach weiteren möglichen Betroffenen zu suchen. Die „Sternsinger“ waren im September 2021 in Kenntnis gesetzt worden. P. hatte das Werk von 2000 bis 2010 geleitet. Das Kindermissionswerk habe sich 2021 „beim Erzbistum für einen zeitnah zu veröffentlichenden Aufruf eingesetzt, um mögliche weitere Betroffene zu ermutigen, sich zu melden und größtmögliche Transparenz in dem Fall herzustellen“, erklären sie. Dass dieser öffentliche Aufruf erst jetzt erfolgte, begründen beide Seiten mit den notwendigen Recherchen.

Diözesanvorsitzender irritiert über Informationspolitik des Erzbistums Köln

Irritiert über die Informationspolitik des Erzbistums zeigt sich Volker Andres, einer der Kölner BDKJ-Diözesanvorsitzenden. „Der Fall aus den 1970er Jahren liegt ja in der Zeit, in der er bei uns Diözesanpräses war“, sagt Andres. Dieses Amt bekleidete P. von 1972 bis 1978. Der BDKJ will jetzt alle eigenen Unterlagen, die er über P.s Tätigkeit hat, durcharbeiten. Nach Andres“ Angaben sind die im Zuge der Missbrauch-Aufarbeitung beim Erzbistum nie herangezogen worden – obwohl der Fall P. ja im Gercke-Gutachten als Aktenvorgang 148 erwähnt ist. „Es wurde uns aber versichert, dass die Vorwürfe nichts mit seiner Tätigkeit beim BDKJ zu tun hätten“, sagt Andres.

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„Als Diözesanvorstand sind wir angesichts des konkreten Falls erschüttert, auch wenn wir damit rechnen mussten, dass es auch Täter gibt, die in unseren Reihen gearbeitet haben“, erklärt der Kölner BDKJ – und ermutigt Betroffene, sich zu melden. Abgesehen davon, so Andres, werde man sich in den nächsten Wochen damit beschäftigen müssen, wie man „Laudato si“ und anderen von P. gedichteten Liedern umgehe. „Können wir sie einfach weiter singen? Oder müssen wir zumindest bei solchen Liedern etwas anmerken?“ Diese Debatte steht dem BDKJ bevor.

Und was wird aus dem von P. einst wiederbelebten „Altenberger Licht“? Dafür ist nicht der BDKJ zuständig, sondern ein eigener Initiativkreis. Er hat bisher nicht auf eine Rundschau-Anfrage reagiert.