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Covid-19: Spahn gegen Grenzschließungen

Lesezeit 6 Minuten

Berlin – Trotz weiterer Ausbreitung des neuen Coronavirus in Deutschland bleiben die Grenzen offen: Maßnahmen sollten verhältnismäßig und angemessen ausfallen, betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag in Berlin.

Das gelte auch für die Absage bestimmter Veranstaltungen. In Deutschland traf es bisher beispielsweise die internationale Reisemesse ITB in Berlin. Am Montagabend wurde auch die Absage der Internationalen Handwerksmesse (IHM) in München bekannt, die IHM mit rund 1000 Ausstellern hätte Mitte März stattfinden sollen.

„An bestimmten Stellen in Deutschland wird der Alltag ein Stück eingeschränkt sein müssen”, sagte der Minister. Das betrifft zum Beispiel einzelne Schulschließungen. Für Unternehmen müsse es eine abgestufte Risikobewertung geben, sagte Spahn.

Bis zum Montagnachmittag waren beim Robert Koch-Institut (RKI) bundesweit 157 Sars-CoV-2-Infektionen erfasst, mehr als die Hälfte davon allein in Nordrhein-Westfalen. Das Institut stufte die Risikoeinschätzung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland von „gering bis mäßig” auf „mäßig bis hoch”.

Für die EU stufte die EU-Gesundheitsagentur ECDC das Risiko auf „moderat bis hoch” herauf, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mitteilte. In mehreren Ländern weltweit steigen die Zahlen rasant, rund 90 000 Infektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 und mehr als 3000 Todesfälle sind inzwischen erfasst. Binnen etwa eines Tages wurden einzelne Nachweise in mehreren zuvor nicht betroffenen Millionen-Metropolen gemeldet, darunter Berlin, Moskau, Delhi und New York.

In Deutschland sind inzwischen in 11 der 16 Bundesländer Infektionen registriert. Lediglich im Saarland und wenigen ostdeutschen Bundesländern gab es zunächst keine Meldungen. Am Montagabend kam der erste bestätigte Fall in Sachsen dazu. Der betroffene Rentner gehört zu einer Gruppe von Busreisenden, die aus Italien zurückgekehrt war. Die Sorge vor Ansteckungen im großen Brandenburger Erlebnisbad Tropical Islands bestätigte sich bei den bisher ausgewerteten Tests dagegen nicht. Die Lage sei sehr dynamisch und müsse jeden Tag neu bewertet werden, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler.

Das Ursprungsland China bekommt die Coronavirus-Epidemie nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dagegen immer besser in den Griff. Am Sonntag seien nur 206 neue Infektionen gemeldet worden, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag in Genf. Das sei die niedrigste Zahl seit dem 22. Januar.

Am meisten Sorge bereite aktuell die Lage in Südkorea, Italien, Japan und dem Iran, wo es teils ein deutliches Plus bei den Fallzahlen gebe. Am Montag sei ein WHO-Team im Iran eingetroffen, um bei der Bekämpfung der Krankheit zu helfen, ergänzte der WHO-Chef. Deutschland, Frankreich und Großbritannien wollen nach Pariser Angaben den Iran dabei mit fast fünf Millionen Euro zusätzlich finanziell unterstützen.

In Europa ist Italien das am stärksten von der Covid-19-Epidemie betroffene Land. Dort sind rund 1700 Infektionen erfasst, darunter mehr als 30 Todesfälle. In Italien sorgen die Spielplan-Änderungen der Serie A für Unmut. So müssen die Fußball-Vereine im Norden weiter ohne Zuschauer spielen, darunter aus der Top-Liga Italiens Rekordmeister Juventus Turin und Inter Mailand.

Insgesamt wurden nach Angaben der EU-Kommission inzwischen deutlich mehr als 2000 Sars-CoV-2-Infektionen in 18 EU-Staaten nachgewiesen. Das Schließen von Grenzen oder das Beschränken von Reisefreiheit in Europa wäre jedoch kein angemessener oder verhältnismäßiger Schritt, sagte Gesundheitsminister Spahn. Er wandte sich auch gegen eine Einstellung von Direktflügen etwa zwischen China und Deutschland. Allerdings strichen Fluggesellschaften wie die Lufthansa und Ryanair Flüge - auch wegen mangelnder Nachfrage.

Bei der Ausbreitung des neuen Coronavirus geht es für Experten in den kommenden Wochen vor allem um eine Verzögerung der Epidemie. Je besser es gelinge, die Rate der Ansteckungen kleinzuhalten, desto geringer werde der Druck auf das Medizinsystem und die Gesellschaft sein, sagte der Virologe Christian Drosten. Es mache einen riesigen Unterschied, ob eine Ausbreitungswelle eine Bevölkerung binnen weniger Wochen oder auf zwei Jahre verteilt zu großen Teilen erfasse.

Nach seinen Berechnungen liege die Covid-19-Todesrate bei 0,3 bis 0,7 Prozent, sagte Drosten. Das bedeutet, dass von 1000 Infizierten 3 bis 7 sterben. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate sogar noch darunter, erklärte der renommierte Virologe von der Berliner Charité. Am schwersten abzuschätzen sei derzeit, mit welcher Geschwindigkeit sich das Virus ausbreite. Es gebe Hinweise, dass ein Infizierter im Mittel drei weitere Menschen ansteckt - dieser Wert sei aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Gestoppt wird eine Epidemie dann, wenn ein Infizierter statistisch im Durchschnitt weniger als einen weiteren Menschen ansteckt.

Zunächst allerdings ist auch in Deutschland weiter von einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen und neu entdeckten Infektionsketten auszugehen. So wurde in Berlin erstmals eine Ansteckung erfasst - und das nur zufällig: Die Infektion bei einem 22-Jährigen wurde bemerkt, weil die Charité Influenza- und Coronavirus-Test verbindet. Der Mann war am Sonntag mit neurologischen Symptomen in die Notaufnahme gebracht worden. Er wird nun isoliert im Virchow-Klinikum der Charité behandelt.

Wie der Berliner mit Sars-CoV-2 infizierte, war zunächst unklar. „Es gibt eine leise Spur nach Nordrhein-Westfalen”, sagte Charité-Vorstand Ulrich Frei. Die Eltern des Mannes leben dort und hatten ihn besucht. Nordrhein-Westfalen ist derzeit mit mehr als 90 Nachweisen das am schwersten betroffene Bundesland. Für einen schwer erkrankten 47-Jährigen, der seit Tagen in der Düsseldorfer Universitätsklinik behandelt wird, gebe es nach wie vor keine Entwarnung, hieß es zudem. Der Mann und seine ein Jahr jüngere Frau hatten am 15. Februar in Gangelt bei einer Sitzung Karneval gefeiert. Zahlreiche Menschen sollen sich auf der Feier angesteckt haben.

Das Virus Sars-CoV-2 kann die Erkrankung Covid-19 verursachen. Die meisten Infizierten haben nur eine leichte Erkältungssymptomatik mit Frösteln und Halsschmerzen, die binnen weniger Tage verschwindet, oder gar keine Symptome. Etwa 15 von 100 Infizierten erkranken nach den bisherigen Berechnungen RKI. Sie bekommen etwa Atemprobleme oder eine Lungenentzündung. Betroffen sind vor allem ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen. Vereinzelt kommt es zu Todesfällen.

Die Inkubationszeit - der Zeitraum zwischen Infektion und Beginn von Symptomen - beträgt nach derzeitigem Stand meist 2 bis 14 Tage. Das ist der Grund dafür, dass Verdachtsfälle derzeit meist etwa zwei Wochen lang isoliert werden. Ziel ist eine Eindämmung der Infektion, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Grund ist nicht, dass es um eine besonders gefährliche Krankheit geht.

Die wirtschaftlichen Folgen der Epidemie machen sich aber immer stärker bemerkbar. Die Industriestaaten-Organisation OECD erwartet im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum der globalen Wirtschaft von 2,4 Prozent. Das ist ein halber Prozentpunkt weniger als zuletzt vorhergesagt. Im Vorjahr hatte die Wirtschaft weltweit noch um 2,9 Prozent zugelegt. (dpa)