AboAbonnieren

Corona-Verschärfungen in Sicht

Lesezeit 5 Minuten

Berlin – Kurz vor Bund-Länder-Beratungen über noch schärfere Corona-Beschränkungen gibt es neuen Streit um Ausnahmen für Geimpfte. Außenminister Heiko Maas forderte, ihnen den Besuch von Restaurants oder Kinos zu erlauben.

„Ein Geimpfter nimmt niemandem mehr ein Beatmungsgerät weg”, sagte der SPD-Politiker der „Bild am Sonntag”. Damit entfalle ein zentraler Grund für Einschränkung der Grundrechte. Das Gesundheitsministerium wies den Vorstoß zurück. Vor der Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten am Dienstag ringen Bund und Länder um wahrscheinliche weitere Einschränkungen. Die FDP will direkt vorher noch eine Sondersitzung des Bundestags.

AUSNAHMEN FÜR GEIMPFTE?

Darüber, was Impfungen für Alltagsbeschränkungen bedeuten, wird schon länger diskutiert. Inzwischen haben mehr als eine Million Menschen die erste von zwei Dosen bekommen - wegen knappen Impfstoffes aber nur Pflegeheimbewohner und Ältere über 80. Für den Zeitpunkt seines Vorstoßes erntete Maas daher breite Kritik. „Solange nicht klar ist, ob ein Geimpfter das Virus übertragen kann, kann es keine Ausnahmen geben”, erklärte das Gesundheitsministerium. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sprach im Redaktionsnetzwerk Deutschland von einer „Gespenster-Diskussion”. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte der „Welt”: „Solange ich nicht jeden impfen kann, der geimpft werden will, sind solche Debatten überflüssig.”

Maas betonte: „Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen.” Er verwies auf derzeit geschlossene Restaurants, Kinos, Theater und Museen. „Die haben ein Recht darauf, ihre Betriebe irgendwann wieder zu öffnen, wenn es dafür eine Möglichkeit gibt. Und die gibt es, wenn immer mehr Menschen geimpft sind. Denn wenn erst mal nur Geimpfte im Restaurant oder Kino sind, können die sich nicht mehr gegenseitig gefährden.” FDP-Chef Christian Lindner nannte es „selbstverständlich”, jemanden, der nicht mehr gefährlich ist, in Grundrechten nicht einzuschränken. Nötig seien schnelle Fortschritte beim Impfen, „damit nicht die einen die anderen dabei beobachten müssen, wie sie bereits ihre Grundrechte verwirklichen können”.

NOCH SCHÄRFERER LOCKDOWN?

Aus Sorge wegen der weiter kritischen Corona-Lage und einer neuen, wohl ansteckenderen Virus-Variante wollen Merkel und die Länderchefs am Dienstag eine vorgezogene Zwischenbilanz aufmachen. Bundesweit liegt die Zahl der neuen Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen nun bei 136, wie das Robert Koch-Institut am Sonntag bekannt gab. Der Höchststand hatte am 22. Dezember bei 197,6 gelegen, die Zahl schwankte danach und sinkt seit einigen Tagen wieder. Zwischen den Ländern gibt es weiter enorme Unterschiede - von Thüringen mit 274 bis Bremen und Schleswig-Holstein mit jeweils 86. Erklärtes Ziel ist ein wieder kontrollierbares Niveau von bundesweit weniger als 50.

Der neue CDU-Chef und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sagte im ZDF, er gehe davon aus, „dass wir noch einmal zu Verschärfungen kommen”. Man müsse erörtern: „Wo können wir welche Wirkung erzielen?” Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte der „Rheinischen Post” (Montag): „Wir können uns nicht leisten, dass sich die Pandemie bis in den Sommer hineinzieht.” SPD-Fraktionsvize Katja Mast forderte: „Alle die können, müssen wo immer möglich, ins Homeoffice. Als Akt der Solidarität für die, die es nicht können.” Diskutiert wird unter anderem auch über eine Einengung des teils bestehenden 15-Kilometer-Ausgangsradius in Corona-Hochburgen oder weitergehende Vorgaben zum Tragen besser schützender FFP2-Masken.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther forderte, nicht nur über neue Beschränkungen zu reden. „Wir müssen auch beschreiben, was heißt das in den Monaten Februar, März, April, wenn bestimmte Inzidenzwerte unterschritten werden, welche Bereiche können wir auch dann dauerhaft wieder öffnen”, sagte der CDU-Politiker im Sender Phoenix. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, man sollte sich nicht für eine generelle Schließung von Schulen und Kitas entscheiden, sondern zumindest eine Notbetreuung sicherstellen.

Die FDP warb bei den anderen Fraktionen für eine Sondersitzung des Bundestags am Dienstag vor der Bund-Länder-Runde. Die Kanzlerin sollte „im Parlament über eine veränderte Pandemie-Lage und neue Grundrechtseinschränkungen informieren”, heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Schreiben. Lindner sagte, dies sei kurzfristig. Da enorme Freiheitseinschränkungen im Gespräch sind, müsse das Parlament Handlungsfähigkeit zeigen. Von den Grünen bekam die FDP keine Unterstützung, auch aus Unionskreisen kam Ablehnung. Hingegen erklärte die Linksfraktion, der Vorschlag einer Sondersitzung sei gerechtfertigt.

EINFACHERE IMPFDOSIS-VORBEREITUNGEN

Bei den Corona-Impfungen kann das Präparat des Herstellers Biontech nun einfacher eingesetzt werden. Wie aus aktualisierten Empfehlungen hervorgeht, kann das Präparat auch schon als fertige Dosis in der Spritze bis zu sechs Stunden bei 2 bis 8 Grad transportiert werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer guten Nachricht besonders für Pflegebedürftige, die zu Hause auf eine Impfung warten. Die Länder könnten flexibler organisieren. Das helfe „ganz praktisch beim Kampf gegen die Pandemie”, sagte Spahn der dpa.

Bisher wurde empfohlen, schon verdünnten Impfstoff nicht zwischen Einrichtungen zu transportieren - also zwischen den Impfzentren der Länder, wo das Präparat bei minus 70 Grad lagert, und Impf-Einsätzen in Pflegeheimen oder Einrichtungen des betreuten Wohnens. Aus einer Ampulle können nun auch sechs statt fünf Impfdosen gezogen werden. Der Impfstoff von Biontech und seines EU-Partners Pfizer wurde Ende 2020 als erster in der EU zugelassen. Wegen Umbauten im belgischen Pfizer-Werk Puurs können zugesagte Liefermengen für die nächsten drei bis vier Wochen aber nicht voll eingehalten werden - danach soll aber mehr möglich sein. Die Lieferungen für diesen Montag und Dienstag sind laut Bundesministerium aber in geplanten Mengen gesichert.

© dpa-infocom, dpa:210117-99-58345/6 (dpa)