- Die katholische Kirche und das Erzbistum Köln stehen vor schwierigen Zeiten.
- Die Debatte um Woelkis Rückkehr reißt nicht ab, neue Konflikte drohen.
- Raimund Neuß hat mit Bonns Stadtdechanten Wolfgang Picken über die drängendsten Fragen gesprochen.
In Unternehmen dauern Probezeiten mal drei, mal sechs Monate. Was meinen Sie, wie lange sollte die Probezeit für Kardinal Woelki im Erzbistum Köln dauern?
Mir fehlt eine Information darüber, wann Kardinal Woelki sein Rücktrittsangebot dem Papst vorgelegt hat. Auch ist mir nicht bekannt, wie der Vatikan dieses Angebot aufgenommen hat und wie er damit verfahren wird. Deshalb ist es gewagt, von einer Probezeit für den Kardinal zu sprechen, und macht es wenig Sinn sich hier an weiteren Spekulationen zu beteiligen. Der Erzbischof ist im Amt. Nur das ist gegenwärtig Fakt.
Hat der Kardinal angesichts der Stimmung, die ihm zuletzt entgegengeschlagen ist, noch eine Chance?
Das ist schwer zu beantworten. Vom Grundsatz würde man meinen, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat. Gegenwärtig ist aber noch nicht abzusehen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Es ist unklar, welche konkreten Erkenntnisse der Kardinal in seiner Auszeit gewinnen konnte und wie er sein Verhalten und seine Kommunikation verändern wird? Auch ist schwer einzuschätzen, ob es gelingen kann, vorhandene Verhärtungen und Konflikte so weit zu lösen, dass wieder eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Erzbistum und eine Akzeptanz des Erzbischofs in der Öffentlichkeit möglich werden. Ich traue mir deshalb gegenwärtig nicht zu, über die Erfolgsaussichten einer zweiten Chance eine Prognose abzugeben. Sicher ist: Es wird eine Herausforderung für alle Beteiligten und für den Kardinal ein Weg, der viel Demut und Geduld fordert und ihn an die Grenze seiner Belastbarkeit führen könnte.
Haben Sie selbst mit dem Kardinal kurz vor oder dann nach seiner Rückkehr Kontakt gehabt?
Es gab noch keine Begegnung zwischen dem Kardinal und mir nach seiner Rückkehr aus der geistlichen Auszeit. Mit fehlt deshalb ein persönlicher Eindruck.
Schwester Emmanuele Kohlhaas hält in der Lage, die wir im Erzbistum haben, eine Mediation für aussichtsreich. Glauben Sie das auch? Wer könnte das in welcher Form versuchen?
Der Vorschlag von Schwester Emanuela ist klug, aber nicht einfach umzusetzen. Eine Mediation vermittelt zwischen zwei Konfliktparteien und versucht zwischen ihnen zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen. Das wird im vorliegenden Fall extrem schwierig, denn dem Erzbischof steht ein großer Teil des Erzbistums mit seinen vielen Menschen und Gremien gegenüber. Wie und wo soll man hier über eine Mediation zu einer Annäherung finden, die in dieser tiefgreifenden Krise auch den einzelnen Gläubigen und die Gemeinden und Verbände vor Ort mit einbezieht? Es wird also einen jahrelangen Weg brauchen, in dem man durch umsichtiges Miteinander und viele kleine Schritte am Vertrauen und dem Zusammenhalt arbeitet.
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Stark zur Eskalation beigetragen hat die Nicht-Veröffentlichung des Missbrauchgutachtens der Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl. Nun lesen wir bei den Laienvertretern, die Kanzlei sei wohl wirklich teilweise überfordert gewesen – aber Woelki trage Schuld, weil er den Auftrag eben leichtfertig vergeben habe. Kommen wir alle aus so einem Kreislauf überhaupt noch heraus?
Es ist das Schicksal von Verantwortlichen, dass Sie für Fehler verantwortlich gemacht werden, auch wenn im Einzelnen gar nicht immer klar ist, welchen persönlichen Anteil sie daran haben. In der Summe hat das Nacheinander der Ereignisse, erst die Aufschiebung des Münchener Gutachtens aufgrund von festgestellten Mängeln, dann ein Jahr später die Nichtveröffentlichung des Gutachtens und schließlich die Beauftragung eines neuen Gutachtens vorhersehbar das Misstrauen genährt, der Kardinal und mit ihm die Kirche wollten eine unabhängige Aufklärung verhindern. Das Ganze hat das Erzbistum Köln in eine mehr als zweijährige Dauerkrise gestürzt und nahezu handlungsunfähig gemacht. Begleitet waren diese Entwicklungen, das hat auch Papst Franziskus festgestellt, von einer katastrophalen Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Am Ende steht ein nicht mehr gutzumachender Schaden, den man jetzt natürlich den Verantwortlichen zur Last legt. Das Vertrauen in die Führungsqualitäten der Bistumsleitung scheint vielerorts erschüttert. In der freien Wirtschaft würde man in vergleichbaren Situationen einen Rücktritt der Führung erwarten und einen personellen Neuanfang verlangen. Das ist für unseren Erzbischof und unseren Generalvikar aufgrund ihres Amtsverständnisses keine wirkliche Option. Zwar eröffnet Kardinal Woelki mit seinem Rücktrittsgesuch dem Papst eine freie Entscheidung. Aus seinem Hirtenbrief aber geht hervor, dass er sich persönlich für das Verbleiben im Amt entschieden hat. Entsprechend wird der Kardinal damit umgehen lernen müssen, dass Zweifel und Unverständnis an seiner Person im Raum stehen bleiben. Auch muss er damit rechnen, dass sein Verbleiben im Amt viele Kräfte fordern und zu einer nachhaltigen Belastung für die Zukunft des Erzbistums werden kann. Ich finde bemerkenswert, dass er diese Zumutungen und Risiken in Kauf nimmt.
Allgemein – wo sehen Sie die Hauptkonfliktpunkte, was müsste der Kardinal wirklich anders machen?
Sicherlich artikuliert sich in dem Konflikt eine Enttäuschung vieler darüber, welche Positionen der Kardinal hinsichtlich der Reformen in der Kirche einnimmt. Ich hätte aber den Verdacht, dass man durchaus respektieren würde, wenn der Erzbischof sich in manchen theologischen Fragen von der Mehrheitsauffassung absetzt, wie es sein Vorgänger, Kardinal Meisner getan hat. Das muss man auch von einer toleranten und demokratischen Gesellschaft erwarten dürfen. Zentraler für den Konflikt scheint mir zu sein, dass es zahllose Verwundungen und Probleme aus der Vergangenheit gibt, die mit dem menschlichen Verhalten des Kardinals in Verbindung gebracht werden. Schließlich gibt es bei vielen erhebliche Kritik an seinem Führungsstil. Sie denken, er treffe seine Entscheidungen heimlich, fühlen sich bei Beratungen nicht hinreichend ernst genommen und reklamieren eine fehlende Partizipation. Das ist etwas, womit sich die Menschen heute nicht mehr arrangieren können und wollen. Es wird entscheidend sein, wie der Kardinal dem begegnet. Aus seinem Hirtenwort ist das noch nicht konkret ersichtlich.
Viele Gläubige warten auf ein klares Wort der Kölner Bistumsleitung zum Umgang mit homosexuell oder anderweitig queer orientierten Menschen – im Arbeitsrecht, aber auch in der Pastoral, also auf eine Anerkennung solche Lebensgemeinschaften. Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, wie sollten sich Woelki und sein Generalvikar verhalten?
Kardinal Woelki hat bereits als Erzbischof von Berlin keine Berührungsängste mit queer orientierten Menschen gehabt. Auch gibt es in unserem Erzbistum viele von ihnen, die bereits in verantwortlichen Positionen tätig sind. Das geschieht mit Wissen des Erzbischofs und des Generalvikars. Kardinal Woelki verfolgt hier keinen Kurs der Diskriminierung. Er könnte also das Thema abräumen und klarstellen, dass er die Diversität des Menschen respektiert und im Übrigen bei Mitarbeitern auf eine fachliche und menschliche Qualifikation Wert legt.
Und dann steht ja noch eine Untersuchung ins Haus, inwieweit Mittel für die Missbrauchsaufklärung, für Krisenberatung und für die Kölner Hochschule für katholische Theologie kirchenrechtlich korrekt aufgebracht wurden. Wie eng kann das werden?
Wie der Vatikan es bewerten wird, dass es bei manchen finanziellen Entscheidungen des Erzbischofs keine Beratung und Entscheidung durch die dafür vorgesehenen Gremien gegeben haben könnte, ist unklar. Sicher ist aber, dass dieses Thema das Potential hat, die Vertrauenskrise im Erzbistum zu vertiefen. Das gilt auch für die Finanzierung der Kölner Hochschule und eine mögliche Verlagerung der Priesterausbildung aus Bonn nach Köln. Bisher gab es die Zusicherung des Erzbischofs, dass die Hochschulfinanzierung durch eine Stiftung und nicht durch Kirchensteuermittel erfolgen würde. Auch wurde zugesagt, dass mit dem neuen Hochschulstandort keine Verlagerung der Priesterausbildung verbunden sein würde. Das war die Grundlage dafür, dass sich die Diözesangremien den durchaus kritisch bewerteten Planungen des Erzbischofs nicht entgegengestellt haben. Sollte sich nun herausstellen, dass diese Zusagen nicht belastbar waren, könnte das den bereits im Raum stehenden Verdacht verstärken, die Gremien seien nicht richtig informiert worden. Das wäre eine Katastrophe für einen Prozess der Vertrauensbildung.
Zu dem schweren Fall des Pfarrers U., der wegen sexuellen Missbrauchs kürzlich zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, liegt ja eine gutachterliche Bewertung der Kanzlei Gercke Wollschläger vor. Die Autoren selbst sagen aber, dass nun neu zu Tage getretenen Informationen auch ihre rechtliche Bewertung ändern könnten. Was müsste hier passieren?
Zuerst kann man nicht häufig genug sagen, dass der Fall des Pfarrers U. in einer schockierenden Weise belegt, wie sehr die Personalführung im Erzbistum Köln an vielen Stellen systemisch versagt hat. Es ist unverzeihlich, dass U. über Jahre weiter in der Seelsorge tätig war und Kinder und Jugendliche missbrauchen konnte, obwohl die Verantwortlichen um seine kriminellen Neigungen wussten und das hätten verhindern können. Die gerichtliche Behandlung des Falls hat auch gezeigt, dass die Akten der vorliegenden Gutachten unvollständig sind, weil sich Opfer nicht gemeldet haben oder sie vorherige Aussagen ergänzen. Das bedeutet, die untersuchten Fälle und die Bewertung des Verhaltens der Verantwortlichen sind nicht abgeschlossen. Sie werden immer wieder neu beurteilt werden müssen, sobald neue Erkenntnisse hinzukommen. Das ist man den Opfern schuldig. Ohne das würden Aufklärung und Prävention unglaubwürdig.
Derzeit hält sich Kardinal Woelki mit öffentlichen Auftritten sehr zurück und hat auf große Gottesdienste verzichtet. Das wird so nicht auf Dauer gehen, oder? Wie könnte er seine Rückkehr in die Öffentlichkeit klug gestalten?
Der Erzbischof von Köln ist eine Person der Öffentlichkeit. Daran führt kein Weg vorbei. Es ist seine vornehmliche Aufgabe als Bischof, mit den Gläubigen Gottesdienste zu feiern und ihnen die Frohe Botschaft des Evangeliums zu verkündigen. Die gegenwärtige Zurückhaltung des Kardinals könnte darin begründet sein, dass er seine Rückkehr nicht mit möglichen Protesten belasten und bescheiden ins Amt zurückkehren will. Man hätte sich auch vorstellen können, dass er vollständig in seine öffentliche Funktion zurückkehrt, um direkt die Schallmauer zu durchbrechen. Kardinal Woelki wird vermutlich eine Idee haben, wie und wann er wieder öffentlich in Erscheinung tritt. Zu lange sollte er damit allerdings nicht warten und er sollte bald transparent machen, wie er sich das konkret vorstellt. Alles andere könnte Chancen riskieren und die Frage aufkommen lassen, warum er hier nicht offen seine Absichten kommuniziert.
Eigentlich ist es zum Verzweifeln, und ich gebe ja zu, dieses Interview gehört ja auch dazu: Im Erzbistum drehen wir uns um uns selbst, während in Europa ein fürchterlicher Krieg tobt. Wie kommen wir aus dieser Nabelschau heraus? Mit dem Kardinal oder nur ohne ihn?
Die Menschen stehen vor existenziellen Fragen, die das Leben und den Frieden bedrohen: Corona und der Krieg in der Ukraine. Die Umweltprobleme. Hier ist die Kirche gefordert, die richtungsweisende und hoffnungsvolle Antwort des Glaubens nicht schuldig zu bleiben. Die Kirche von Köln steht zudem vor gewaltigen Herausforderungen, wie sie sich pastoral aufstellt und strukturell organisiert. Sie darf keinen Tag verstreichen lassen und muss sich engagiert um die Zukunft der Kirche und des Glaubens kümmern. Wir haben also keine Zeit zur weiteren Nabelschau. Sie wäre unverantwortlich. Ob es uns aber gelingen kann, die internen Probleme im Erzbistum zu lösen und gleichzeitig die aktuellen Herausforderungen zu meistern, das ist die alles entscheidende Frage. Das richtig einzuschätzen und zu entscheiden, das liegt jetzt in der Verantwortung des Papstes und weiterhin auch des Erzbischofs. Ehrlich gesagt, ich bin froh, das nicht entscheiden zu müssen.