Wenige Wochen vor der Landtagswahl im Freistaat kommen Vorwürfe in Bezug auf ein antisemitisches Flugblatt hoch. Aiwanger weist diese jetzt zurück.
„Ekelhaft und menschenverachtend“Aiwanger will antisemitisches Flugblatt nicht verfasst haben
Mitten im bayerischen Landtagswahlkampf hat sich Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger gegen Vorwürfe im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten zur Wehr gesetzt. Nach Aufklärungs-Aufforderungen unter anderem von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und auch aus der Bundesregierung teilte der Freie-Wähler-Chef am Samstagabend in einer schriftlichen Erklärung mit: „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend.“ Er fügte hinzu: „Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären.“ Weder damals noch heute war und und sei es seine Art gewesen, „andere Menschen zu verpfeifen“, fügte der 52-Jährige hinzu.
Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte über das Flugblatt berichtet, das vor mehr als 30 Jahren aufgetaucht sein soll. Über einen Sprecher hatte der Freie-Wähler-Chef der „SZ“ bereits mitgeteilt, er habe „so etwas nicht produziert“ und eine „Schmutzkampagne“ beklagt.
Antisemitisches Flugblatt: Hubert Aiwanger weist Vorwürfe zurück
„Bei mir als damals minderjährigem Schüler wurden ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden“, erklärte Aiwanger nun. „Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre.“ Seine Eltern seien nicht eingebunden gewesen. Als Ausweg sei ihm angeboten worden, ein Referat zu halten. „Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt.“ Aiwanger fügte hinzu: „Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich. Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier.“
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Söder hatte von seinem Koalitionspartner umgehend Aufklärung gefordert. „Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden und zwar vollständig“, hatte Söder am Mittag am Rande eines Volksfest-Termins in Augsburg gesagt. „Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte beim Twitter-Nachfolger X geschrieben: „Wer die Opfer von Auschwitz verhöhnt, darf in unserem Land keine Verantwortung tragen. Die schwerwiegenden Vorwürfe müssen dringend aufgeklärt werden.“
In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies auch möglich sein wird - wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit der Wahl 2018 zusammen mit den Freien Wählern.
Freie-Wähler-Landtagsfraktionschef Florian Streibl sagte am Abend, Aiwanger habe sich „dem erweiterten Fraktionsvorstand gegenüber erklärt und den anwesenden Abgeordneten glaubhaft versichert, dass er nicht Verfasser des scheußlichen Pamphlets ist“. Streibl: „Zugleich hat er sich von den Inhalten des Dokuments sowie Antisemitismus jeglicher Ausprägung maximal distanziert.“ Er vertraue „seiner heute abgegebenen Versicherung und hoffe, dass die wahren Hintergründe der Angelegenheit schnellstmöglich aufgeklärt werden“.
Aiwanger: SPD fordert Sondersitzung des Landtages
Der Parlamentarische Geschäftsführer Fabian Mehring (Freie Wähler) beklagte eine Kampagne: Es sei bemerkenswert, „welche Kampagnen sechs Wochen vor wichtigen Wahlen gegen uns gefahren werden, nachdem wir Freie Wähler auf der politischen Erfolgswelle schwimmen.“
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe waren aus fast allen Richtungen Forderungen nach Aufklärung und nötigenfalls Konsequenzen gekommen. Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) hatte bei X gepostet: „Die Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger wiegen schwer - nur er selbst kann sich von diesem widerlichen, antisemitischen Pamphlet glaubhaft distanzieren und sollte dies schnell tun.“ Die AfD hatte Aiwangers Rücktritt gefordert. Dies hatten auch die Grünen verlangt für den Fall, dass sich die Vorwürfe bestätigen sollten.
Die SPD hatte dazu eine Sondersitzung des Landtags gefordert. „Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, das die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft - auf schlimmste Art und Weise“, hatte SPD-Fraktionschef Florian von Brunn gesagt. Für die FDP hatte deren Landtagsfraktionschef Martin Hagen gefordert: „Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen.“
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte auf X geschrieben: „Der Vorwurf, jemand sei Antisemit, wiegt schwer. Man sollte ihn nur erheben, wenn man seiner Sache sicher ist und die Beweise eindeutig sind. Wenn das der Fall ist, ist aber eines klar: Für Antisemiten gibt es keinen Platz in der Politik - weder in Mandaten, noch in Staatsämtern!“ Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien hatte auf X betont, für Aiwanger gelte die Unschuldsvermutung: „Die Veröffentlichung der Anschuldigungen gegen @HubertAiwanger und der Zeitpunkt wiegen schwer und sind in mehrfacher Hinsicht brisant, sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl“, schrieb sie.
Aiwanger war im Juni zuletzt wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung in Erding bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. Ihm wurde daraufhin - wie schon so oft - Populismus vorgehalten.
Aiwanger, der starke Mann der Freien Wähler bayern- und auch bundesweit, sieht sich gerne als Vertreter der von ihm so bezeichneten „normalen Bevölkerung“, von Landwirten und Handwerkern. In Bierzelten und bei anderen Auftritten ledert er regelmäßig gegen die Grünen und die Ampel-Regierung. Vorwürfe, ein Populist zu sein, lässt er an sich abperlen. Er werde sich nicht mundtot machen lassen, sagt er dazu. Sein erklärtes Ziel ist es, potenzielle AfD-Wähler von Stimmen für die AfD abzuhalten und sie zu den Freien Wählern zu „locken“. (dpa)