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Ödön von Horváths Stück„Glaube Liebe Hoffnung“ bekommt in Bonn ein neues Ende

Lesezeit 4 Minuten
Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern von Ödön von Horwáth.

Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern von Ödön von Horwáth.

Am Theater Bonn inszeniert Julia Hölscher Ödön von Horváths "Glaube Liebe Hoffnung" mit einem neuen Ende.

Da steht sie nun in ihrer weißen kurzen Hose und dem ärmellosen Oberteil. Ganz so, als hätte sie ihr letztes Hemd längst gegeben. Als wäre da wirklich kaum noch etwas übrig, das ihr zum Leben bleibt. Da steht sie nun, klopft zögerlich an die Tür des Anatomischen Instituts und hofft auf etwas Menschlichkeit. Oder zumindest auf ein wenig Geld, um ihre Existenz zu sichern.

Welt in Schieflage

Nein, sie hat es nicht leicht, diese Elisabeth. Sie steht bereits dicht am Abgrund. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie vollends hinabstürzen wird. Die Zeichen stehen auf Untergang an diesem Freitagabend im Schauspielhaus in Bad Godesberg. Die Premiere von „Glaube Liebe Hoffnung“ nach Ödön von Horváth präsentiert eine Welt, die in Schieflage geraten ist, geprägt von Arbeitslosigkeit, Gewalt und dem Gesetz des Stärkeren. Horváth verfasste sein Drama 1933 in politischen Umbruchzeiten, die Uraufführung erfolgte erst 1936, Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Am Theater Bonn hat Julia Hölscher das Stück nun in eine fieberhafte Inszenierung ohne Zeit und Raum übersetzt. Im Mittelpunkt steht Elisabeth (Lena Geyer), die Geld braucht und dafür ihren Leichnam schon zu Lebzeiten an die Forschung verkaufen will. Das Anatomische Institut weist sie zunächst zurück – bis der namenlose Präparator (Paul Michael Stiehler) Mitleid entwickelt und ihr schließlich die benötigten 150 Mark leiht.

Tugendwächter überall

Doch weil es die junge Frau mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und verschweigt, dass sie davon eine Geldstrafe abbezahlen will, dreht sich die Abwärtsspirale weiter. Der Präparator erfährt von der Täuschung, Elisabeth verliert nicht nur ihren Arbeitsplatz als Korsett-Verkäuferin bei der Unternehmerin Frau Prantl (Brite Schrein), sondern muss 14 Tage lang ins Gefängnis. Zurück in der Freiheit ist ihre Strafe keinesfalls verbüßt. Die Wächter der vermeintlichen Tugend und Moral umkreisen sie weiterhin: Der Oberinspektor (Bernd Braun) beobachtet jeden ihrer Schritte und Fehltritte, ebenso die Oberpräparatorin des Anatomischen Instituts (Lydia Stäubli), die Elisabeths Betrug nicht verzeihen kann. Das Wertesystem richtet sich gnadenlos gegen die Schwächsten.

Doch selbst wer sich auf der vermeintlich richtigen Seite wähnt, bleibt in dieser Inszenierung nicht gerade unversehrt. Bleichgeschminkt und mit dunklen Augenringen erscheinen die Akteure – abgesehen von Elisabeth – allesamt wie kränkelnde Spielfiguren in einer kränkelnden Gesellschaft. Lichtblicke zwischen diesen Schreckgespenstern gibt es nur vorübergehend. Etwa, als sich Elisabeth in den Polizisten Alfons (Riccardo Ferreira) verliebt.

Gedämpfte Gefühle

Weil sie allerdings erneut eine Leerstelle lässt und ihm ihre Haftstrafe verschweigt, hat auch dieses Glück nicht die geringste Chance. Alfons fühlt sich getäuscht und lässt seine Liebste nach kurzer Zeit wieder fallen. Elisabeth bricht zusammen. Eingebettet ist ihr Niedergang in das ebenso minimalistische wie effektvolle Bühnenbild von Paul Zoller. Transparente Plastikplanen an beweglichen Metallstangen erstrecken sich als milchig-verschwommene Wände in die Höhe. Sie definieren Elisabeths Grenzen genau, trennen sie immer wieder von ihren Antagonisten, lassen Stimmen gedämpft erklingen und verzerren Gesichter albtraumhaft.

Das Ensemble spielt sich fein nuanciert durch diesen Angstraum, changiert von boshafter Wut zu tiefster Verzweiflung zu stillem Mitgefühl und wieder zurück. Kostüme, Bühne, Licht und Schauspiel verdichten sich zu einer düsteren Welt, die sich wie Watte um das Publikum legt und für gedämpfte Gefühle sorgt. Gerade die aktuelle Nachrichtenlage macht Horváths Drama so relevant wie selten zuvor. Gerade die aktuelle Nachrichtenlage sorgt allerdings auch dafür, dass sich die Realität fast schon unangenehm auf der Bühne verdoppelt. Wer dieses Stück ansieht, verspürt unweigerlich eine gewisse Resignation.

Welch eine Erleichterung aber, dass Hölschers Inszenierung so deprimierend nicht enden will und in der Schlussszene deutlich von Horváths Vorlage abweicht. Bei ihm sieht Elisabeth keinen Ausweg mehr, begeht Suizid, nachdem sie den Halt zu oft verloren hat. Doch die Bonner Premiere verweigert diesen Tod, stellt die Zeichen stattdessen auf Hoffnung und Elisabeth einen Verbündeten an die Seite: Mario (Sören Wunderlich als liebevoller Paradiesvogel in Tanktop und Faltenrock), der ein Kreuz um den Hals trägt und den Glauben nicht aufgeben will. „Alleine kann man nicht überleben“, sagt er. Hand in Hand stehen sie schließlich da.

Und während das Licht auf der Bühne endlich warm wird und die Kälte verschwindet, versinken das Verdorbene und all seine Repräsentanten Zentimeter um Zentimeter im Bühnenboden. Buchstäblich werden sie absorbiert vom Abgrund, den sie selbst genährt haben. Zurück bleibt der entschlossene Blick in die Zukunft. Ein versöhnliches Ende, das momentan bitter nötig ist. Ein versöhnliches Ende, das den bedrückenden Löwenanteil dieser Inszenierung dennoch nicht überspielen kann.

90 Minuten (keine Pause), wieder am 10., 23., 30. November, jeweils 19.30 Uhr, weitere Termine im Dezember und im Januar.