Nach zwei Jahren Pauselit.Cologne lässt das Herz der Leseratten wieder höher schlagen
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Köln – Die Säle voll und lange Schlangen für ein Autogramm des Lieblingsautors oder der Lieblingsautorin. Auf der lit.Cologne fühlte es sich nach zwei Jahren Pause wieder so an wie früher – damals vor der Pandemie. Niemand habe vor der Rückkehr des Festivals gewusst, wohin die Reise geht, sagte Veranstalter Rainer Osnowski. Aber, dass der Hunger nach Leseerlebnissen wieder da ist, wurde schon in den ersten Tagen sehr spürbar. Vielleicht auch einfach die Lust auf gesellige Abende.
Der Schauspieler Bjarne Mädel und die Kabarettistin Cordula Stratmann begrüßen scharfzüngig ihr „geliebtes, treues, waches, solidarisches Publikum“ im Theater am Tanzbrunnen. Bei der lit.Cologne 2020 hatte das Duo denen, die meinen, zu allem ihren Senf geben zu müssen, den Neid ausgetrieben. Diesmal geht es um Übertreibung. „Das Thema sprang uns an“, erklärt Cordula Stratmann, die eigene Superlative gerne selbstironisch mit einem „Ha ha“-Stakkato kommentiert.
Vom Schwimmbadbesuch bis American Psycho
Manches Lachen läuft in Laola-Wellen durch die Reihen der knapp 1000 Besucher bei der Offensive, grammatischen Auswüchsen der deutschen Sprache den Garaus zu machen. Wie etwa „der vielversprechendste Autor des Festivals“ statt „der am meisten versprechende“. Wenn Cordula Stratmann dennoch Bjarne Mädel als „einen unserer besondersten Schauspieler“ ansagt, setzt er auf das Spiel mit der Eitelkeit von Künstlern sogleich noch eins drauf: „Ich dachte, die Ankündigung wird übertrieben, aber sie ist auf den Punkt.“Aus dem Buch „Kein Öl, Moses?“ des israelischen Satirikers Ephraim Kishon liest Bjarne Mädel die Kurzgeschichte über einen Schwimmbad-Besuch, der dank eines überkorrekten Bademeisters zum Erlebnis wird. Wie der Schauspieler („Mord mit Aussicht“, „Ferdinand von Schirach: Feinde“) dabei die Pfeife imitiert, gibt dem Vortrag zusätzlichen Pfiff. Bestens in die Zeit der Selbstoptimierung passt die Beschreibung einer morgendlichen Herrentoilette aus „American Psycho“ von Bret Easton Ellis. Die Einzelheiten wenden sich über ihre Lächerlichkeit hinaus ins Gruselige, als Bjarne Mädel hinzusetzt, dass Ellis ansonsten Spezialist für Gewalt, brutalen Sex und Drogenexzesse ist.
Die lit.Cologne war schon immer ein großes Nebeneinander. Diesmal ist sie es ganz besonders. Lesen zwischen Krieg und Pandemie, zwischen politischer Analyse und Lebensbeichte. Für Desirée Nosbusch ist es eine Premiere. Entsprechend nervös sei sie gewesen, auch weil sie in ihrem Buch so viel preisgebe über sich. „Ich bin ehrlich, ich wollte einige Phasen meines Lebens überspringen“, sagt sie bei der Vorstellung ihrer Autobiografie in der Comedia.Tags zuvor präzisierte Joschka Fischer seine Position zum Ukraine-Krieg, mahnte, die Sorgen der Menschen im Baltikum ernst zu nehmen. Nur dürfe sich die Nato nicht selbst in einen Krieg verwickeln lassen. Weltpolitik und diplomatisches ABC in der Flora.
Frauen, Literatur und Alkohol als Leitfaden des Abends
Bei „Trink, Schwester!“ im Klaus-von-Bismarck-Saal im WDR-Funkhaus lautete das Thema dichte Dichterinnen. Ein inspirierender Abend über Frau, Alkohol und Literatur mit Anneke Kim Sarnau und Therese Hämer, die für die erkrankte Andrea Sawatzki einsprang. Jahrzehntelang becherten sich die Männer durch die Literatur. Aber nun sind die Damen dran. Auch im realen Leben holen die Frauen beim Konsum von Alkohol kräftig auf, kippen Cognac, Whisky und Wodka.
Über ein Drittel der Alkoholabhängigen sind Frauen, Tendenz steigend. Männer prahlen mit dem Trinken von Hochprozentigem, Frauen huldigen König Alkohol heimlich, weiß Moderator Knut Elstermann. „Kommt einmal meine Zeit, ganz wie Du will ich dann furchtlos trinken Brüderschaft mit der Unendlichkeit“, schreibt Mascha Kaléko in ihrem „Brief an einen Freund“, eindrucksvoll gelesen von der Kölner Schauspielerin Therese Hämer, die in mehreren Tatort-Krimis zu sehen war.
Ihre Kollegin Anneke Kim Sernau, vor allem als Ermittlerin im „Polizeiruf 110“ bekannt, las aus „Cocktails“, einem der großen vergessenen Romane der amerikanischen Nachkriegsliteratur. Der Debütroman von Pamela Moore, die sich mit 26 Jahren erschoss, ist eine Coming-of-age-Geschichte über die Alkoholsucht einer Sechzehnjährigen – Bloody Marys zum Frühstück und Martinis zum Mittagessen. Erinnert wurde an passionierte Trinkerinnen wie Dorothy Parker und Marguerite Duras sowie an Francoise Sagans unbremsbaren Drang, mit Vollgas durchs Leben zu rauschen.Die lit.Cologne 2022 läuft noch bis Samstag.