Köln – Mit zwei Songs nähert er sich vorsichtig an. Mit dem dritten – „Wahnsinn“ – packt er sein Publikum bei den Schultern. Mit dem vierten – „Waschsalon“ – schüttelt er es ordentlich durch. Nicht ganz 15 Minuten reichen Wolfgang Niedecken und seiner Band BAP, um die die rund 14.000 Zuschauer in der Lanxess-Arena auf Betriebstemperatur zu bringen. In den folgenden drei Stunden wird er sie nie ganz herunterkühlen. Routiniert führt der „Altmeister“ durch seine Geburtstagsparty zum 71. Auf der Menükarte: Viele Klassiker aus der Bandgeschichte, garniert mit neueren Songs und gespickt mit klarer politischen Haltung.
Ein emotionaler Moment jagt den nächsten
Rote Rosen. Dass die einem 71-jährigen Sänger zugeworfen werden, damit durfte bisher wohl nur Julio Iglesias fest rechnen. Nun also auch Niedecken. Der mahnt zu Vorsicht: „Meine Sentimentalität wächst proportional zur Zahl der Enkel.“ Und gleich darauf der nächste emotionale Moment: „Endlich können wir wieder singen.“ Eigentlich sollte die Geburtstagssause zum 70. des BAP-Chefs steigen. Doch Corona... Niedecken bremst überbordende Freude etwas: „Das ist hier ein bisschen Seiltanz.“ Die noch nicht überstandene Pandemie und dazu der „Erpresser Putin, der die Welt am Nasenring durch die Manege führen will“. Dabei gehören solche „Klarstellungen“ bei BAP ja zur Band-Genetik. Wobei dem „Altmeister“ die ernüchternde Erkenntnis kommt, viele seine politischen Lieder seien immer noch erschreckend aktuell. So sind bei „Arsch huh, Zäng ussenander“ Bilder auf der Leinwand von der Rosenmontagsdemo gegen den Ukraine-Krieg mit rund 250.000 Teilnehmern zu sehen.
Textsicherheit bei „Jraaduss“
Doch es gibt auch die einfach nur mal besinnlichen Momente, oder wie Niedecken es nennt: „Den Liebeslieder-im-Sitzen-Block.“ Dabei kann der 71-Jährige nicht nur selbst mal Platz nehmen, sondern sich auch zurücklehnen und die 14.000 machen lassen. 100-prozentige Textsicherheit bei der Ballade „Jraaduss“. Maximale Gänsehautgarantie.
Es folgt der „Gäste-Block“. Bap-Urgestein Jürgen Zöller nimmt nochmals am Schlagzeug Platz. Sänger Thees Uhlmann bringt gleich zwei Geschenke mit: Ein Geburtstagsständchen zur Melodie des Stones-Klassiker „Sympathie for the Devil“ und: „Ich schenke dem Wolfgang eines meiner Lebensjahre. Wenn ihr das alle macht, wird er über 12 000 Jahre alt.“ Da wusste Uhlmann noch nicht, dass BAP an diesem Abend von der Lanxess-Arena den „Sold-Out-Avard“ für ein volles Haus bekommen hatte. Bei Umsetzung wären also nochmals 2000 Jahre dazugekommen. Noch im Gästeblock: Der Pianist und langjährige Freund Mike Herting und Frau Tina mit Geburtstagstorte.
Auch ein Liebeslied für Steffen Baumgart fehlte nicht
Höchste Zeit also für eine Liebeserklärung – nein, nicht an die eigene Frau, sondern an den FC-Trainer Steffen Baumgart. „Weil der ja wohl zaubern kann“, so Niedecken. Da aber eine Ballade für einen Temperamenzbolzen schräg wirkt, rockt Niedecken für Baumgart „Nix wie bessher“. Mit zugeworfenem FC-Schal über der Schulter und in die Höhe haltend. Südkurven-Feeling.
Niedecken versprach schon im Vorfeld, in alter Band-Tradition die Drei-Stunden-Latte zu reißen . Er hält Wort. Angefeuert von den Fans mit nicht enden wollenden Gesang: „Verdamp lang her“. Nach gut dreineinhalb Stunden verabschiedet sich ein Künstler von der Bühne, der im 72. Lebensjahr da angekommen zu sein scheint, wo er immer schon war: Ganz bei sich selbst.