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Lyrik und GastfreundschaftDas bietet die Poetica 10 an der Universität zu Köln

Lesezeit 4 Minuten
Die Autorin Sasha Marianna Salzmann ist auf der Poetica in Köln zu Gast

Sasha Marianna Salzmann ist auf der Poetica in Köln zu Gast 

Das zehnjährige Jubiläum der Poetica, die vom 20. bis 25.1.2025 stattfindet, belegt den anhaltenden Erfolg des Lyrikfestivals an der Universität zu Köln. Ein Gespräch mit den Kuratoren.

Einen besseren Mitstreiter hätte sich Poetica-Gründer Günter Blamberger 2015 kaum aussuchen können. „Ich hatte damals Michael Krüger als Kurator engagiert, weil ich wusste: Der bringt mir eine illustre Truppe von Dichterinnen und Dichtern zusammen. Aber damals hatte Lyrik Marginalitätsstatus.“ So konnte der renommierte Germanist „eigentlich überhaupt nicht“ mit jener steilen Erfolgskurve rechnen, die dem Festival für Weltliteratur nun vom 20. bis 25. Januar sein zehnjähriges Bestehen beschert.

Doch schon das Debüt schlug Funken: „Es gab tolle Performances, und man hat gleich gemerkt, dass sich Lyrik wegen der Kürze der Texte viel besser mit dem Publikum teilen lässt als etwa Romane.“ Und mittlerweile konstatiert der emeritierte Kölner Universitätsprofessor: „Es gab für die Poetica nur in der Covid-Pause eine Delle – bis Patti Smith 2023 tausend Zuhörer in Aula 1 und 2 der Universität zog“.

Michaela Predeick, Mitglied des Kuratorenteams der Poetica

Michaela Predeick, Mitglied des Kuratorenteams der Poetica

Für die Jubiläumsausgabe zum Thema „Poetisches Denken und Gastfreundschaft“ ist erst- und einmalig ein dreiköpfiges Kuratorium verantwortlich, dem neben dem Gründer die Autorin Uljana Wolf und Dramaturgin Michaela Predeick (Universität Köln) angehören. Zudem hat man diesmal auch ehemalige Gäste aus dem Autoren- wie Kuratorenkreis eingeladen, darunter Michael Krüger.

Erfolgsgeschichten bei der Poetica

Michaela Predeick war dramaturgisch schon seit der von Uljana Wolf gestalteten Poetica 7 dabei. „Es ist natürlich schön, nun noch ein bisschen sichtbarer mitzuwirken, aber ohnehin recherchieren wir ja stets gemeinsam interessante Alternativen, wenn eine Anfrage nicht klappt.“

Hat man beim Thema „Gastfreundschaft“ auch das Politikum im Kopf, dass weltweit immer mehr Flüchtlinge auf eine sinkende Aufnahmebereitschaft stoßen? „Das spielt mit hinein“, meint Wolf, „weil Gedichte uns so offene Denk- und Sprachräume geben, dass sie auf einer Ebene etwas konkret abhandeln und zugleich das Andere mitsprechen.“ Dies geschehe mal mehr, mal weniger politisch.

So spiegeln die Texte der in Curaçao geborenen Niederländerin Radna Fabias „die Schwierigkeiten einer Mehrheitsgesellschaft, mit Anderssein umzugehen. Und Claudia Rankine aus den USA öffnet das Gedicht in Richtung Essay, um über Rassismus im Alltag nachzudenken.“ Bei Monika Rinck hingegen richten sich Gedichte „gegen ein auftrumpfendes Aufmerksamkeitsregime“ und schenken den Lesenden Zeit zum Verweilen.

Günter Blamberger, Gründer des Kölner Lyrikfestivals Poetica.

Günter Blamberger, Gründer des Kölner Lyrikfestivals Poetica.

Kleist-Experte Blamberger verweist auf zwei Teilnehmerinnen, „die ganz aktuelle Probleme berühren: Lina Atfa, die seit zwölf Jahren in NRW lebt, eine exilierte Syrerin, die ein Gedicht darüber gemacht hat, wie sich Deutschland als Gastland verhält“. Daneben Sasha Marianna Salzmann, Deutsche mit russisch-jüdischen Wurzeln, „die beschreibt, wie es nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist, nach Deutschland zu kommen“.

Für Uljana Wolf widerlegt die Poetica das Vorurteil, Lyrik sei hermetische Textkunst für Eingeweihte. „Lebogang Mashile fasziniert als wahnsinnig tolle Performerin, aber es ist auch ein unglaubliches Erlebnis, Fiston Mwanza Mujila zuzuhören, der seine Gedichte live neu improvisiert.“

Uljana Wolf, Mitglied im Kuratorenteam des Kölner Lyrikfestivals Poetica

Uljana Wolf, Mitglied im Kuratorenteam des Kölner Lyrikfestivals Poetica

Das Jubiläumsthema soll keineswegs naiv betrachtet werden. Michaela Predeick hat in einem Essay das Doppelwesen der Gastfreundschaft erforscht: einerseits deren absolutes Gebot, andererseits das nötige Aushandeln von Regeln und Grenzen.

Dieser Ambivalenz widmet sich im Poetica-typischen Schulterschluss von Kunst und Wissenschaft auch eine Veranstaltung mit dem Anthropologen Thomas Widlock. Für Predeick ist wichtig, „dass wir auch Autoren und Autorinnen von Lyrik vorstellen, die man eher für ihre Romane kennt. So haben wir eigens für diese Poetica einige Gedichte von Hiromi Itō erstmals vom Japanischen ins Deutsche übersetzen lassen.“

Das alles plus Anreise, Unterbringung und Honorar für prominente Gäste kostet Geld, wobei Blamberger es Patti Smith hoch anrechnet, dass sie sich nur den Flug bezahlen ließ. 320 000 Euro beträgt das Budget der Poetica, und Blamberger lobt die Treue der Förderer in NRW: „Weder das Ministerium für Kultur und Wissenschaft noch die Kunststiftung hat in Covid-Zeiten irgendetwas gekürzt, und ein großes Kompliment geht auch an die Universität, die ja 180 000 Euro bezahlt.“

Apropos Gastfreundschaft: „2023 erkrankte der Dichter Lionel Fogarty, ein Aboriginal, während seiner Teilnahme bei der Poetica 8 und musste anschließend mehrere Wochen im Krankenhaus bleiben. In der Zeit haben sich Michaela Predeick und Poetica-Geschäftsführerin Semra Mägele um ihn gekümmert und Dank der Versicherung der Universität konnten auch die Mehrkosten übernommen werden.“

Gewiss ein Extrembeispiel, doch schon die Tradition, Dichterinnen und Dichter für die ganze Festivaldauer einzuladen, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Wobei es in illustrer Runde nicht nur elitär zugeht. Die Brauhäuser bleiben mitten in der Session keineswegs tabu, „und nach einer Woche herrscht in der Gruppe oft eine Stimmung wie auf der Klassenfahrt nach dem Abi“, freut sich Blamberger.