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Hilfsangebote für Wohnungslose„Freiwillig schlafen wenige draußen“

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Wohnungslose Menschen in Köln  schlafen auch im Winter oft im Freien – bei Minusgraden ist das lebensgefährlich.

Köln – Sie sind Teil der Stadt. Menschen, die auf Dauer draußen leben, in den Portalen und Passagen der Einkaufsstraßen übernachten, oder in einem Zelt im Gebüsch. Unter Brückenaufgängen, die sie mit Tüchern abgehängt haben. Oder einfach auf dem blanken Stein.

Wie gefährlich das sein kann, ist mit den Farbattacken auf schlafende Wohnungslose ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Und lebensbedrohlich, wenn die Temperaturen sinken. Wie hoch ist der Hilfebedarf? Was könnte helfen, Konflikte mit Anwohnern zu verhindern? Warum schlafen manche trotz der Hilfsangebote draußen? Antworten auf wichtige Fragen.

Wie viele wohnungslose Menschen gibt es in Köln?

Derzeit werden in Köln rund 3650 Menschen in städtischen Unterkünften oder Sozialwohnungen untergebracht, weil sie auf dem freien Markt keine Chance auf eine Wohnung haben. Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, ist die Stadt dazu per Gesetz verpflichtet. Rund 1350 Männer, Frauen und Kinder leben in Hotelzimmern.

Im Rahmen der humanitären Hilfen für obdachlose EU-Zugewanderte übernachten an der Vorgebirgsstraße rund 90 Menschen. Dauerhaft auf der Straße leben nach Schätzungen von Streetworkern 300 Kölnerinnen und Kölner. Private Hilfsinitiativen schätzen ihre Zahl allerdings höher.

Was ist die „Winterhilfe“?

Damit Menschen nicht bei Minusgraden draußen schlafen müssen, können sie unangemeldet in der Notschlafstelle der Winterhilfe in Merheim übernachten; hier gibt es 60 Plätze für Männer und zehn für Frauen. Zusätzlich bieten freie Träger Notschlafplätze an. Die Winterhilfe beginnt erst, wenn die Temperatur zwei Nächte hintereinander unter null Grad liegt. Laut Stadt soll sie vorgezogen „in einigen Tagen“ gestartet werden.

In der vom Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) betriebenen Unterkunft ist auch der Aufenthalt tagsüber möglich, es gibt ein warmes Mittagessen. Einen Bustransfer vom Heumarkt nach Merheim gibt es nicht mehr. Im Vorjahr hätten nur wenige Menschen das Angebot genutzt, auch sei die KVB-Anbindung gut, teilte die Stadt mit.

„Wir würden sehr gerne noch 60, 70 Plätze innenstadtnah anbieten, finden aber seit Jahren keine Immobilie“, sagt Andreas Hecht, Leiter des Bereichs Gesundheits- und Integrationshilfe beim SKM.

Warum nutzen Betroffene die Notschlafstellen nicht?

Manche schaffen es aufgrund von psychischen Erkrankungen nicht, mit mehreren Menschen in einem Raum zu schlafen. Andere gerieten, auch bedingt durch Alkoholkonsum, schnell in Konflikte, so Hecht. „Menschen aus Ostblockstaaten erreichen wir teils nicht, weil sie sehr schlechte Erfahrungen mit staatlichen Institutionen gemacht haben." Und manche Suchtkranke seien abends nicht mehr in der Lage, entferntere Notschlafstellen aufzusuchen.

Dass es in der Innenstadt einen Bedarf an Plätzen gibt, zeigt die volle Auslastung der bahnhofsnahen Jugendherberge, die 2020 von der Initiative Helping Hands gemietet worden war. Hier gab es 34 Einzelzimmer. „Freiwillig schlafen nur wenige draußen“, so Mitinitiator Helmut Schenk.

In den von der Stadt gemieteten Hotelzimmern sind oft zwei, teils auch drei Menschen untergebracht, die nicht selten an Suchterkrankungen und anderen Beeinträchtigungen leiden. So eng zusammenzuleben, ist für viele Betroffene eine große Belastung – manche schlafen auch deshalb lieber draußen.

Wie senkt man die Hemmschwelle?

Um mehr suchtkranken Menschen eine Übernachtung in der Notschlafstelle möglich zu machen, dürfen die Betroffenen auf dem Außengelände in Merheim Alkohol trinken. „Das erleichtert es manchen, zu uns zu kommen“, sagt Jane van Well, Leiterin des Bereichs Niederschwellige Hilfen beim SKM. „Wenn unsere Klienten nicht bei uns trinken können, dann müssen sie das in den Wohnstraßen tun.“ In den Zimmern bleibt Alkohol verboten. „Auf dem Hof des Hauses Vorgebirgsstraße ist Alkoholkonsum schon länger erlaubt“, so Hecht. „Über allem steht, zu verhindern, dass die Menschen draußen schlafen und erfrieren.“

Gibt es die Wärmezelte auch in diesem Jahr?

Nein. Die Wärmezelte in der Südstadt und der Innenstadt, wo sich Wohnungslose aufwärmen können, wird es nicht geben. Sie seien als Reaktion auf die Pandemie aufgestellt worden, um die Verringerung von Plätzen in anderen Einrichtungen auszugleichen, so die Stadt. Dies sei jetzt nicht mehr nötig, da mindestens 80 Prozent der obdachlosen Menschen geimpft seien. Jane van Well kritisiert diese Entscheidung: „Die Zelte wurden sehr gut angenommen. Und die Corona-Lage ist ja nach wie vor extrem angespannt.“

Was ist mit Verschmutzung, etwa durch Fäkalien?

„Ich kann die Kritik der Bürger sehr gut nachvollziehen, die ihre Haustür aufmachen, und dann liegen da Fäkalien“, sagt Jane van Well. „Und am Neumarkt ist das Problem gewaltig.“ Am Breslauer Platz habe man es geschafft, eine solche Entwicklung zu vermeiden. „Dort steht ein bewachter Container mit WCs und Waschmöglichkeiten, der von wohnungslosen Menschen genutzt werden kann. So etwas wünschen wir uns dringend in Neumarktnähe. Mit dem Drogenkonsumbus und der Substitutionsambulanz ist er ein Treffpunkt suchtkranker Menschen. Aber bisher gibt es hier keine öffentliche Toilette, die man kostenlos nutzen kann.“

Tag der offenen Tür bei der Winterhilfe

Herzlich eingeladen sind alle Kölnerinnen und Kölner zu einem Tag der offenen Tür in der Unterkunft der Winterhilfe, Ostmerheimer Straße 220, in Merheim. Am Dienstag, 23. November, bietet der SKM von 17 bis 19 Uhr Führungen durch die Unterkunft und die Möglichkeit zum Austausch an. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt.

Winterjacken, Schlafsäcke, feste Schuhe, Wollpullover, warme Unterwäsche und andere Winterkleidung sucht der SKM dringend: „Einigen unserer wohnungslosen Gäste fehlt es am Nötigsten.“ Wer spenden möchte, findet nähere Informationen dazu auf der Internetseite des SKM. (bos)

www.skm-koeln.de

Reichen die städtischen Personalkapazitäten aus?

Der Sozialausschuss und Träger der Hilfsangebote meinen: Nein. Bisher sind zwei Streetworker ganzjährig für wohnungslose Menschen im gesamten Stadtgebiet zuständig. Jetzt bewilligte der Rat zwei weitere Stellen.

Die Begründung: Konfliktgeprägte Situationen träten immer häufiger auch in dezentralen Einkaufsstraßen der Stadt auf, wohnungslose Menschen würden „in zunehmender Verelendung, mit selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen, sichtbar“. Gemeinsam mit Polizei und Ordnungsamt versuchen Streetworker hier, Konflikte beizulegen. Zugleich suchen sie den persönlichen Kontakt zu den Betroffenen, um sie in Hilfssysteme zu integrieren, die sie dabei unterstützen, ihre Lebenssituation schrittweise zu verbessern. Nur so könne Verelendungsprozessen entgegengewirkt werden, so der Ausschuss.

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Auch die Ehrenamtler der Winterhilfe-Hotline, bei der man hilflose Menschen melden kann, werden durch eine halbe Stelle entlastet. Im Vorjahr waren bis zu 80 Meldungen in 24 Stunden eingegangen. Viele Ehrenamtliche helfen zudem bei den „Kältegängen“, um in Frostnächten obdachlose Menschen auf Hilfsangebote hinzuweisen.