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„Wir können eine Arche sein“Kölner Zoo leitet Forschungsprojekte von Studenten an

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Hinter den Kulissen des Aquariums: Laura Leiss vor den Becken für junge Amphibien.

Köln – Alle 60 Sekunden markiert Tobias Lenz ein Kästchen auf seinem Beobachtungsbogen. Malt Kreuze, Kreise oder Rufzeichen, stundenlang, bei jedem Wetter. Der Student lässt Malaienbärin Bali nicht aus den Augen. Interessiert zieht sie die Gerüche der Äste ein, die mit verschiedenen Substanzen präpariert wurden. Wo scheuert sie sich ihr Fell am liebsten? Wann? Und wie oft?

Sein Forschungsprojekt wird dabei helfen, das Aussterben der gefährdeten Art in Südostasien zu verhindern. „Wenn wir den Lieblingsgeruch der Bären kennen, können wir in ihrem Lebensraum Stellen entsprechend präparieren und dort abgestreifte Haare sammeln. So erfahren wir nach genetischer Auswertung der Haarwurzel, wie viele Tiere dort leben und wie ihr Gesundheitszustand ist“, erklärt Prof. Dr. Thomas Ziegler, Kurator im Kölner Zoo. „Das ist extrem wichtig, wenn wir Bären gezielt und sinnvoll auswildern wollen.“

160 Jahre Kölner Zoo

Nicht mehr wegzudenken ist der Zoo aus Köln – und das schon seit 160 Jahren. Im Juli 1860 öffnete er erstmals seine Tore. Mit rund 10 000 Tieren aus mehr als 850 Arten ist er heute einer der vielfältigsten in ganz Europa. Im Vorjahr zog er über 1,3 Millionen Besucher an – so viele wie noch nie zuvor.

Nur was man kennt und liebt, das schützt man auch: Freizeit und Erholung mit Wissenschaft und Forschung zu verbinden, die Besucher als Entdecker mit gefährdeten Tierarten in Berührung zu bringen – das ist das Anliegen des modernen Zoos, der auch international immer wieder Maßstäbe setzt – etwa in Sachen Tierhäuser.

„Welches Kind hat nicht seine ersten großartigen Eindrücke von der vielfältigen Tierwelt der verschiedenen Kontinente im Kölner Zoo gesammelt – und viele Gedanken mit nach Hause genommen. Virtuelle Bilder können solche Live-Erlebnisse schlecht ersetzen“, gratulierte OB Henriette Reker. Sie dankte dem Team, das den Zoo und seine Artenschutzprogramme beständig verbessere. (bos)

„Artenvielfalt rinnt uns durch die Finger“

Die Zeit drängt. Weil ihre Lebensräume vernichtet werden, sterben viele Tierarten aus, bevor sie erforscht wurden und Zoos Reservepopulationen bilden können. Deshalb ist in wissenschaftlich geführten Zoos Artenschutz zum zentralen Anliegen geworden. Und das Engagement ist dringend nötig: Oft leben gefährdete Tierarten in Ländern, die kaum Geld für Schutzmaßnahmen oder Forschung haben.

„Die Artenvielfalt rinnt uns durch die Finger“, sagt Ziegler. „Darum leiten wir hier im Zoo nur Forschungsprojekte an, die direkt dem Artenschutz nutzen.“ Durch ihre Lehrtätigkeit an der Kölner Uni begeistern die Zoo-Biologen Studierende für diese Projekte. Denn ein Großteil des Wissens über Wildtiere, die in ihrem Lebensraum meist nur sehr schwer beobachtet werden können, stammt aus Forschung an Tieren in menschlicher Obhut.

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Thomas Ziegler ist stolz auf die Nachzucht des Menarambo Buntbarschs.

Über das extrem gefährdete Philippinenkrokodil, von dem es nur noch 100 bis 150 Tiere in Freiheit gibt, haben deshalb gleich zehn Studentinnen und Studenten im Kölner Zoo geforscht. Eine Vermehrung in Zoos ist lange nicht gelungen – die Tiere sind Artgenossen gegenüber extrem aggressiv und müssen die meiste Zeit über einzeln gehalten werden. Wann sie paarungswillig sind, kann jetzt dank der akribischen Langzeitbeobachtungen exakt erkannt werden, und auch ihr Fortpflanzungsverhalten ist entschlüsselt.

Wissen an andere Zoos weitergegeben

„Ein riesiger Erfolg! Nicht nur für uns – das Wissen haben wir an andere Zoos weitergegeben, die die Tiere jetzt auch leichter halten können“, sagt Ziegler, der das Europäische Zuchtbuch der Art führt. „Mit 15 Philippinenkrokodilen haben wir angefangen, heute leben schon 51 in europäischen Zoos.“ Vier Jungtiere kamen in Köln zur Welt; zwei werden jetzt auf den Philippinen ausgewildert.

Forschung und Lehre

Zwölf Bachelor-, Master- oder Doktorarbeiten werden von den Kuratoren des Zoos im Schnitt jedes Jahr betreut oder co-betreut; die Inhalte arbeiten immer Artenschutzprojekten zu. Zur Zeit wird auch ein Doktorand aus Hanoi angeleitet. Als Außerplanmäßiger Professor investiert Thomas Ziegler rund 25 bis 50 Stunden in die Begleitung jeder Arbeit bis hin zur Publikation „nicht unwesentlich auch als privates Engagement“. Die anschließende Veröffentlichung in Fachzeitschriften ist wichtig, um die Ergebnisse so allen Zoos und Naturschutzprojekten weltweit zugänglich zu machen.

100 Studierende belegen pro Jahr Kurse der Lehrbeauftragten des Zoos an der Kölner Universität. Themen sind unter anderem Biodiversitätsforschung, Zoos als Artenschutzzentren und Tiergartenbiologie. Intensive Lehre wird am Kölner Zoo seit zwei Jahrzehnten betrieben.

Mit 177 500 Euro förderte der Zoo im Jahr 2019 Natur- und Artenschutzprojekte in aller Welt, die meist mit Forschungsprojekten verbunden sind.Für 1000 Tierarten weltweit werden Zuchtbücher geführt, mit denen auch die genetische Diversität bei der Erhaltungszucht gesichert werden soll. 500 dieser Tierarten sind akut gefährdet und stehen auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion.

71 wissenschaftlich geführte Zoos im Verband der Zoologischen Gärten mit Tiergärten in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Spanien waren von 2010 bis 2018 an 1058 Forschungsprojekten beteiligt. (bos)

„Unbedingt etwas bewirken“ will auch Biologiestudentin Laura Leiss mit ihrer Masterarbeit. Sie trägt zusammen, in welchen Zoos weltweit bedrohte madegassische Süßwasserfische gehalten werden, deren Lebensraum durch den Klimawandel rasant schnell schwindet. „Auf solche Leute warten wir. Bei denen man merkt, dass sie für etwas brennen“, sagt Ziegler. Auch auf Grundlage dieser Masterarbeit kann mit anderen Zoos gezielt ein Erhaltungszuchtnetzwerk aufgebaut werden.

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Marion Schneider protokolliert das Verhalten der Malaienbären.

Andere Arbeiten untermauern die Forderungen von Naturschutzorganisationen. So stellte Marion Schneider im Rahmen ihrer Doktorarbeit durch Beobachtung im Zoo mit einer Infrarotkamera fest, dass Malaienbären extrem stark auf Temperaturschwankungen reagieren, die auftreten, wenn das dichte Dach des Regenwaldes durch Rodungen lichter wird. „Überleben kann die Art nur in einem intakten Regenwald“, erklärt Schneider. Sie ist Biologielehrerin am Hildegard-von-Bingen-Gymnasium. Einerseits. Die andere Hälfte ihrer Arbeitszeit widmet sie dem Bärenschutzprojekt „Free the bears“ in Vietnam. Ihren Schülern bringt sie das globale Artensterben und seine Ursachen sehr persönlich nahe. Und freut sich sehr, „wenn der Funke überspringt“.

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Geforscht wird auch an heimischen Tieren. Auf Anregung des NABU und mit der TU Braunschweig untersucht der Zoo derzeit, ob die gefährdete Wechselkröte anfälliger für Pilze und Parasiten geworden ist. Auch ergaben Gentests, dass sich die Populationen links und rechts des Rheins deutlich unterscheiden, so dass man sie bei Auswilderungen auf keinen Fall mischen darf.

„Wir müssen in den Zoos Platz für bedrohte Arten reservieren. Weil sie es am nötigsten haben“, plädiert Ziegler, der als leidenschaftlicher Forscher 111 bisher unbekannte Amphibien- und Reptilienarten zumeist in Vietnam entdeckt hat. Darunter auch der vietnamesische Krokodilmolch, der auf Basis der Doktorarbeit der Kölner Studentin Marta Bernardes jetzt in das Washingtoner Artenschutzabkommen aufgenommen wurde. Sie hat seine Lebensweise so gut dokumentiert, dass dem Kölner Zoo als weltweit einzigem die Nachzucht der Tiere gelang.

„Wenn man Zooarbeit richtig macht, können wir einen Arche sein. Wir können bedrohte Tiere erforschen, vermehren, sie in ihre Lebensräume zurückgeben. Und so Arten vor dem Aussterben bewahren“, sagt Ziegler. „Das erfordert sehr hohen Einsatz. Und wir haben keine Zeit zu verlieren.“