Köln – Nach 22 Jahren ist Schluss. Mit dem letzten Kölsch im Weißen Holunder endet eine Ära in der Kölner Gastronomie. Margot und Karl Schiesberg, die legendären Wirte von der Gladbacher Straße, gehen in Rente. Im März wird ein neuer Pächter die Zapfhähne übernehmen.
Die Verträge sind für Ende Februar gekündigt. „Ich werde mich erholen und vielleicht zum Spaß noch mal hinter der Theke arbeiten“, sagt Margot Schiesberg. Viel mehr Gedanken über den Ruhestand hat sich die Wirtin noch nicht gemacht: Es gibt viel zu tun. Zu Karneval soll der Laden noch einmal richtig brummen.
Für die Besucher des Weißen Holunders ist der Wechsel hinter der Theke eine schlechte und eine gute Nachricht zugleich. Schließlich hatte nach dem Verkauf des Hauses lange das Ende der Kneipe gedroht. Das Schicksal ist abgewendet. Nun gilt es, den Übergang zu gestalten.
Eine Aufgabe, die auch in anderen Kultkneipen bewältigt werden musste. Bei Oma Kleinmann an der Zülpicher Straße etwa und natürlich im Lommerzheim. „Vergiss es, den ,Lommi’ kannst du nicht ersetzen“, hat Frank Glitscher anfangs zu hören bekommen. Das war 2008, der Köbes aus dem Päffgen hatte in dem legendären Deutzer Lokal gerade die ersten Fässer angeschlagen. Zuvor wäre das Lokal mit Nachkriegskolorit fast zum Freilichtmuseum geworden.
Glitscher hat es bewusst in diesem Zustand erhalten. „Warum soll ich ein Konzept ändern, das so gut läuft?“ Er hat es aber an die modernen Anforderungen der Gastronomie angepasst. Das Kotelett ist weiter im Zentrum auf dem Speiseplan, dazu gibt es täglich wechselnden Eintopf. Glitscher hat einen Biergarten eingerichtet und im Gewölbekeller 70 Plätze geschaffen. Noch heute gibt es Gäste, die sagen: „In den Keller gehe ich nicht.“ Dass er den Gästen die Cola-Kisten und Telefonbücher als Sitzgelegenheit wegnahm, fanden auch nicht alle gut. „Damit konnte ich aber auch zeigen, dass eine Ära vorbei ist und eine neue Zeit beginnt“, sagt der 49-Jährige. Sanfter Übergang. Die Gäste sind geblieben.
Auch bei Oma Kleinmann an der Zülpicher Straße ist das Andenken der Chefin bewahrt worden. Die Kult-Wirtin war 2009 mit stolzen 95 Jahren verstorben. Unter neuer Führung hat sich das Lokal den gutbürgerlichen Charme zwischen Döner-Buden und Cocktailbars erhalten. Die Nubbelverbrennung zu Karneval und das Gänseessen zum Ende des Jahres haben nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.
Einfach weitermachen, am Kult festhalten, die Legende hochhalten – das funktioniert nur ganz selten, wie Mathias Johnen sagt. Der stellvertretende Geschäftsführer des Gastronomenverbands Dehoga in Köln berät immer wieder Kneipiers, die mit schwerem Herzen einen Nachfolger suchen, und Gastronomen, die sich von der Übernahme einer Kultkneipe schnellen Erfolg versprechen. „Die Hardware ist nur der eine Teil“, sagt er. Johnen meint damit die Lage, das Konzept und die Geschichte des Hauses. Er sagt: „Es braucht außerdem die richtige Software.“ Es braucht „den Alleinunterhalter, den Märchenerzähler“. Die Fähigkeiten des Wirts seien entscheidend. Sie seien das Geheimnis hinter dem Erfolg oder dem Misserfolg einer Kneipe. Ein geeigneter Gastronom ist deshalb längst nicht immer zu finden: Die Südstadtkneipe Spielplatz zum Beispiel sucht noch immer einen neuen Betreiber.
Und letztlich gibt es in der Regel keine Alternative zur behutsamen Veränderung. Johnen sagt: „Die Traditionskneipen sterben mit ihren Gästen.“ Allein mit Kölsch sei heute kaum noch jemand zu locken. „Wer nur Bier will, bekommt es auch beim Discounter.“ In der Kneipe komme es auf das Drumherum an – und immer öfter auf ein großes Angebot: Ohne Biermixgetränke zum Beispiel könne kaum noch eine Gaststätte überleben.
Im Weißen Holunder soll sich trotzdem nur wenig ändern: Die alten Betreiber selbst haben die drei besten Bewerber für die Übernahme des Lokals ausgewählt. „Sie haben Gastronomieerfahrung und werden nun dem Eigentümer in einer Art Endausscheidung vorgestellt“, sagt Margot Schiesberg. Insgesamt hatten sich zwölf Gastronomen um den Weißen Holunder beworben. „Die Einrichtung bleibt erhalten“, sagt Schiesberg.
Alles andere wäre wohl Selbstmord. Das sieht auch Lommerzheim-Wirt Frank Glitscher so: „Aus dem Lommerzheim kannst du keine Lounge machen.“ Außerdem solle man nicht den Fehler machen, den Wirt kopieren zu wollen. Glitscher beherzigt das. Über ihn haben die Stammgäste schon gesagt: „Der redet an einem Tag so viel wie Lommi in drei Monaten.“