Köln – Dieser Vorgang hat das Potenzial, den Prozess um Reemtsma-Entführer Thomas Drach ins Wanken zu bringen: Der Gutachter in dem Prozess, George A. Rauscher, soll versucht haben, einem Gerichtsreporter Geld zuzustecken, damit dieser positiv über ihn berichtet. Rauscher soll dem Journalisten 100 Euro zugesteckt haben, damit dieser ihn in seinem Bericht vernünftig darstellt. Der Journalist soll das Geld abgelehnt und sich die Kontaktaufnahme verbeten haben. Die Kölner Staatsanwaltschaft untersucht den Vorfall und hat den Vorsitzenden Richter und die Anwaltschaft offiziell informiert.
Der beschriebene Vorfall soll sich am vergangenen Donnerstag vor der Cafeteria des Landgerichtes zugetragen haben.
Gutachter sollte Videoaufnahmen beurteilen
Rauscher ist selbstständiger Gutachter. Laut Selbstbeschreibung auf seiner Webseite ist er „geprüfter und zertifizierter Sachverständiger für kriminalistische Forensik, Foto- Video-Forensik, digitale Forensik und der Identifikation lebender Personen nach Bildern“. Seiner Expertise wurde in dem Prozess große Bedeutung beigemessen, er sollte anhand von Videoaufnahmen beurteilen, ob Drach an einem der nun angeklagten Überfälle beteiligt war.
Am vergangenen Donnerstag ist Rauscher während seiner Gutachtenerstattung von der Verteidigung massiv kritisiert worden. Während der Mittagspause des Prozesstages soll der Gutachter außerhalb des Saales das Gespräch mit dem Gerichtsreporter gesucht haben. Der Journalist saß auf dem sogenannten „Balkon“ vor der Cafeteria und telefonierte mit einem Kollegen, als der Gutachter auf ihn zukam und ihm andeutete, er wolle mit ihm reden. Der Reporter machte Rauscher deutlich, dass er gerade telefoniere.
Ein unmoralisches Angebot
Kurze Zeit später kehrte Rauscher zurück und soll gesagt haben: „Hier, damit Sie mich nicht ganz so schlecht aussehen lassen“. Dabei soll er dem Journalisten einen Hundert-Euro-Schein in die Hand gedrückt haben. Der Reporter schmiss den Geldschein zurück in Richtung des Gutachters. Rauscher nahm den Geldschein daraufhin nach Angaben des Reporters wieder an sich. Der Journalist sagte ihm: „Ich bin nicht käuflich“. Rauscher entgegnete dem Journalisten, dass es so nicht gemeint gewesen sei, es handele sich um ein Missverständnis. Dann sagte Rauscher nach weiteren Angaben des Reporters, dass er generell großzügig sei, und Bedienungen in Restaurants und Schuhputzern immer Trinkgeld gebe. Der Reporter entgegnete: „Ich bin kein Schuhputzer“.
Das Verfahren
Thomas Drach steht seit Februar in Köln vor Gericht. Dem 62-Jährigen werden unter anderem versuchter Mord und besonders schwerer Raub vorgeworfen. 2018 und 2019 soll er bei vier Taten in Köln am Flughafen und bei Ikea in Godorf, Frankfurt am Main und Limburg Geldtransporter überfallen und dabei insgesamt rund 230 000 Euro erbeutet haben.
Zwei Fälle stehen besonders im Fokus des Verfahrens: In beiden Fällen – in Frankfurt und am Flughafen Köln/Bonn – soll Drach laut Anklage auf einen Wachmann geschossen haben. Beide Männer erlitten lebensgefährliche Verletzungen. Bei den Taten habe Drach unter anderem mit einem Sturmgewehr gefeuert, so die Vorwürfe. Angeklagt ist er auch wegen eines Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
Die Staatsanwältin betonte zum Prozessbeginn ausdrücklich, wie sehr die Opfer nach den Überfällen litten und noch immer leiden. Der Prozess sollte eigentlich im September enden. Doch ein Ende des Mammut-Verfahrens ist nicht in Sicht. Der Prozess ist wegen Corona-Fällen, Krankheit des Mitangeklagten oder Befangenheitsanträgen ins Stocken geraten. (ta)
Damit hätte der Vorfall beendet sein können. Doch im Anschluss an den Vorfall informierte der Gerichtsreporter die zuständige Staatsanwältin über die versuchte Geldzuwendung. Die Kölner Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage der Rundschau den Vorfall. „Der Sachverhalt ist hier bereits bekannt und auch der Kammer in Form eines Aktenvermerks zur Kenntnis gebracht worden“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Weitere Angaben könnten aufgrund des laufenden Hauptverfahrens nicht gemacht werden. Der Vorfall hat längst offiziellen Charakter angenommen und wird in dem Verfahren zur Sprache kommen. Die Staatsanwaltschaft hat nach Informationen der Rundschau einen offiziellen Vermerk angefertigt und den Vorsitzenden Richter Jörg Michael Bern sowie die Verteidigung informiert. Damit ist der Vorgang nun offizieller Bestandteil der Akten im Mammut-Verfahren um Thomas Drach und seinen Mitangeklagten.
Auf Anfrage der Rundschau äußerte sich Gutachter Rauscher kurz und knapp zu dem Vorgang: „Der mir vorgeworfene Sachverhalt bezüglich eines Pressevertreters ist absurd und wird bestritten.“
Rauscher ist für die Anklage ein wichtiger Zeuge in dem Verfahren. In dem Prozess gegen Thomas Drach hatte er den 62-Jährigen mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ als Täter identifiziert. Nach Angaben des Bild-, Video- und Digital-Forensikers habe Drach mit einer Wahrscheinlichkeit von „95 bis 99 Prozent“ die Raubüberfälle auf Werttransporter vor Ikea-Filialen in Köln und Frankfurt/Main sowie am Flughafen Köln/Bonn verübt.
Für sein Gutachten hatte Rauscher auf Überwachungsvideos zurückgegriffen. „Bauchansatz“ sowie „Größe und Aufbau des Gesäßes“ stimmten ebenso überein wie zahlreiche Gesichtsmerkmale. Die Verteidigung hatte das Gutachten des Digital-Forensikers als „abenteuerlich“, „blanker Unsinn“ und „Blödsinn“ beschrieben.
Der Anwalt von Thomas Drach, Andreas Kerkhof, sagte der Rundschau am Dienstag: „Unser Ziel ist die Auswechslung des Gutachters in dem Verfahren“. Am kommenden Freitag werde die Verteidigung einen Befangenheitsantrag stellen. „So etwas habe ich in meinen 33 Jahren als Anwalt noch nicht erlebt“, sagte Kerkhof zu dem in Rede stehenden Fall.