AboAbonnieren

Drei Kriegskinder berichtenWas Zeitzeugen beim Ukraine-Krieg erleben

Lesezeit 4 Minuten

Ehemalige Kriegskinder: Paul Rudolf Braun, Brigitte Schader, Heinz-Günther Kemper

Köln – „Bomben rauschen ja so“, sagt Paul Rudolf Braun ganz selbstverständlich. Der 90-Jährige erzählt von einem Nachmittag im Frühjahr 1945. Als 13-Jähriger saß er zusammen mit einem gleichaltrigen Freund in einem verschütteten Luftschutzbunker, während Bomben einschlugen. Es dauerte stundenlang, bis sie befreit wurden. Zu spät für den Freund. „Er war erstickt.“

Jahrgang 1929, 1930 und 1931

Eine von vielen Erinnerungen, die durch den Krieg in der Ukraine wieder präsent sind. In der Residenz am Dom erzählen drei ehemalige Kriegskinder. Die Bilder und Berichte über den Krieg in der Ukraine bewegen sie. Paul Rudolf Braun, Jahrgang 1931, erlebte den Krieg im rheinischen Langerwehe. Heinz-Günther Kemper, Jahrgang 1929, war in der Kölner Innenstadt. Brigitte Schader, Jahrgang 1930, stammt aus Berlin.

„Ich weiß, was es bedeutet, wenn man aus dem Haus geht und nichts mitnehmen kann“, sagt Brigitte Schader. Als die Russen immer näher kamen, floh sie Anfang April 1945 zusammen mit Mutter und ihren beiden Schwestern nach Österreich. Dass sie ihre geliebte Geige zurücklassen musste, schmerzt immer noch. Auch, wie es war, als Geflohene in Österreich nicht unbedingt willkommen zu sein.

Schlimmer allerdings war für sie die Flucht aus Polen. „Dort bin ich 1943 mit der Kinderlandverschickung hin gekommen, als es keine Schule mehr in Berlin gab“, erzählt Brigitte Schader. Alle Schulkinder waren zusammen mit den Lehrkräften dorthin geschickt worden. In einem Klassenzimmer schlief sie mit 15 Mitschülerinnen auf Strohsäcken. „Immerhin konnten wir dort ohne Bombenalarm durchschlafen.“

Schlimmes Bild: Der Treck mit den Toten auf den Schlitten

Eineinhalb Jahre lang war das Mädchen von zuhause weg. Als die Russen immer näher rückten, wurden die Kinder mit dem Zug wieder Richtung Westen geschickt. Mehr oder weniger alleine auf sich gestellt. Ein schreckliches Bild hat sich eingebrannt: „Der endlose Treck mit den Flüchtenden aus Ostpreußen. Er bewegte sich neben den Gleisen, auf denen der Zug im Schneckentempo fuhr. Die Pferde waren ermüdet. Auf Schlitten zogen die Menschen die Toten mit sich“, erinnert sich die Seniorin.

Sie fühlte sich für zwei Zehnjährige verantwortlich, die auch nach Berlin sollten. „Wir haben nachts gesungen, damit wir nicht einschlafen und erfrieren.“ Tief ins Detail geht die 92-Jährige nicht. Ihr stockt die Stimme, als die Erinnerungen zu präsent werden. „Später habe ich viel Glück gehabt im Berufsleben“, sagt sie schnell.

Die Bänkerin, der Beamte und der Orthopädieingenieur sind sich einig, dass sie nach dem Krieg sehr gute Jahre hatten. „Nie im Leben hätte ich gedacht, dass der ewige Frieden endet. Wir hatten doch alles. Unfassbar, jetzt noch mal einen Krieg zu erleben, der in der Nähe tobt“, sagt Heinz-Günther Kemper, dessen Kölner Sanitätshaus inzwischen in der fünften Generation besteht.

Mit dem Nötigsten von Köln nach Rhöndorf geflohen

Drei Schlüsselerlebnisse hatte Heinz-Günther Kemper im Krieg. „Im Mai 1940 flog die Royal Air Force den ersten Luftangriff auf Köln. Dabei wurde vor allem der Perlengraben getroffen. Sofort machten sich die Gaffer auf den Weg, um ein zerstörtes Haus zu bewundern. Es kamen immer mehr, bis die Polizei das Gebiet absperrte.“ Was 1940 noch „eine Sensation“ war, wurde im Mai 1942 Alltag. „Tausend Bomber, von Winston Churchill geschickt, kamen um die Stadt Köln zu vernichten. Sogar Krankenhäuser und Kirchen wurden zerbombt, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Auch mein Viertel rund um die Apostelkirche stand in dieser Nacht in Flammen und wurde total vernichtet“, sagt Kemper. Im Trainingsanzug mit einem Rucksack mit den nötigsten Papieren und Andenken flohen seine Geschwister und er mit der Mutter nach Rhöndorf. „40 Kilometer von Köln war der Krieg beendet. Wir gingen weiter zur Schule und wenn dann Fliegeralarm kam, legte man sich auf die andere Seite und schlief weiter“, erinnert sich Kemper.

Das könnte Sie auch interessieren:

Während er nach wie vor jeden Vormittag gut zwei Stunden mit Zeitunglesen verbringt, schränkt Brigitte Schader ihren Nachrichtenkonsum jetzt eher ein bisschen ein. „Ich gucke nicht mehr Nachrichten, als unbedingt nötig ist“, sagt sie. Was sie sieht, rührt sie an, besonders wenn es flüchtende Kinder sind. „Aber die meisten fliehen mit ihren Müttern und sie kommen in eine heile Welt. Wir kamen damals in eine kaputte. Berlin war zerstört“, sagt Brigitte Schader und fügt hinzu: „Obwohl ich weiß, wie schlimm eine Flucht ist, möchte ich denen Mut machen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man daran nicht zerbrechen muss.“

Sie formuliert weniger Sorgen als die beiden Männer. „Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn Putin Giftgas einsetzt oder die Atombombe, wenn er merkt, dass er nicht weiterkommt“, sagt Paul Rudolf Braun. Auch die Inflation macht ihm Sorgen. Heinz-Günther Kemper indes wagt eine Prognose: „Der Krieg ist in drei Monaten beendet, weil der Westen zusammenhält. Wir müssen Putin in die Knie zwingen und das Gas zudrehen. Dann ist Schluss.“