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Interview zu Kriegstraumata„Angst der älteren Menschen ernst nehmen“

Lesezeit 3 Minuten

Seit sieben Jahren bieten Sie das Seminar „Der Krieg im Wohnzimmer“ an. Schüren die Nachrichten aus der Ukraine Ängste bei denjenigen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben?

Knor

Stefan W. Knor, Theologe

Davon kann man mit Sicherheit ausgehen. Viele der Menschen über 80 sind traumatisiert. Wir haben etwa zehn bis 15 Millionen ehemalige traumatisierte Kriegskinder in Deutschland. Statistisch gesehen ist jeder dritte Mensch in einem Seniorenheim ein Mensch, der im Zweiten Weltkrieg ein traumatisiertes Erlebnis hatte. Bilder und Erinnerungen kommen jetzt wieder hoch. Ich merke das auch in meiner Arbeit.

Beispielsweise wann?

Zum Beispiel dann, wenn eine alte Frau fragt, was sie machen sollte, wenn jetzt die Russen kämen. Mit Rollator käme sie doch gar nicht mehr so schnell weg. Dahinter steckt eine tiefe Angst.

Wie regiert man da passend?

Die Angst ist real. Also bringt der Satz nichts, sie müsse keine Angst haben. Es ist wichtig, die Angst ernst zu nehmen und auf den Bedarf desjenigen einzugehen, der sie äußert. Im Fall der Frau könnte man sagen, dass man ihr verspricht, sie im Ernstfall auf jeden Fall mitzunehmen.

Wie äußert sich Traumatisierungen bei Senioren?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt auch von den individuellen Erfahrungen ab. Viele Menschen haben eine kleine Auffälligkeit, die mit der „schlimmen Zeit“ zusammen hängt. Hungererfahrungen haben sich festgesetzt. So horten einige dementiell erkrankte Menschen Essen. Oder Frauen, die vergewaltigt wurden, möchten keine Körperpflege von einem Mann.

Sollte man das ansprechen?

Nein. Zumindest sollte man nicht in einem Trauma herumstochern. Da könnte man Flaschen entkorken, deren Geister man nicht wieder gebändigt bekommt. Wenn Menschen von sich aus erzählen wollen, ist das etwas anderes. Wer seine Ängste bearbeiten möchte, sollte das in seinem eigenen Tempo machen. Und unter Umständen ist auch eine Therapie sinnvoll. Auch im Alter. Prinzipiell ist es heilsam und schafft Lebensqualität, Ängste zu bearbeiten.

Wir kennen die Weitergabe von Traumata über Generationen. Rührt der Ukrainekrieg auch die sogenannten Kriegsenkel besonders an?

Als Kriegsenkel gelten allgemein diejenigen, die bis 1975 geboren wurden. Sie haben zwar selbst kein Kriegstrauma aus dem Zweiten Weltkrieg, also keine subjektive Ohnmachtserfahrung, die lebensbedrohlich erlebt wurde, erfahren. Die transgenerative Traumaweitergabe ist allerdings häufig erfolgt. Das kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Auch jetzt im Ukraine-Krieg.Ich bemerke bei mir selber, dass ich im Moment emotional dünnhäutiger bin. Die Ohnmachtserfahrung ist auch ein wesentlicher Grund, weshalb die Leute demonstrieren. Damit wird die Ohnmacht ein Stück weit aufgebrochen. Ich denke, die Ostermärsche dieses Jahr werden einen besonderen Zulauf erfahren. Dabei bringen viele auch wiederum ihre Kinder mit. Und das ist eine Form von transgenerationeller Heilung.