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Missbrauchsopfer verklagt Erzbistum Köln„Ich kämpfe sicher auch für viele andere Betroffene“

Lesezeit 4 Minuten
06.12.2022, Nordrhein-Westfalen, Köln: Kläger Georg Menne (r) sitzt mit einem seiner Anwälte Eberhard Luetjohann vor der Verhandlung im Gerichtssaal im Landgericht Köln. Der 62-Jährige verklagt das Kölner Erzbistum auf mehr als 700.000 Euro Schmerzensgeld - weil er Opfer sexueller Gewalt durch einen katholischen Priester geworden sei.

Köln: Kläger Georg Menne (r) sitzt mit einem seiner Anwälte vor der Verhandlung im Gerichtssaal im Landgericht Köln.

Der ehemalige Messdiener Georg Menne verlangt 750.000 Euro Schmerzensgeld für das vor mehr als 50 Jahren erlittene Leid. Eine Klage, die auch Signalwirkung hat. So lief der erste Prozesstag.

Das Interesse am Dienstag im Gerichtssaal ist riesig. Nicht nur zahlreiche Journalisten drängen sich lange vor dem Aufruf der Sache „Menne gegen Erzbistum Köln“ auf dem Flur vor dem Saal 240 im Kölner Justizzentrum. Auch viele interessierte Bürgerinnen und Bürger wollen der Schmerzensgeldklage eines ehemaligen Messdieners beiwohnen, der in den 1970er Jahren wiederholt Opfer sexualisierter Gewalt durch einen katholischen Priester geworden war (siehe Infos am Textende).

Die meisten von ihnen ergreifen vermutlich Partei für den Kläger. Das kollektive Aufatmen im Saal ist förmlich zu spüren, als der Vorsitzende der 5. Zivilkammer, Stefan Singbartl, mitteilt, dass die Klage des heute 62-Jährigen „dem Grunde nach berechtigt“ sei.

06.12.2022, Nordrhein-Westfalen, Köln: Unterstützer von Kläger Georg Menne stehen vor dem Landgericht Köln und halten Plakate mit der Aufschrift: "Missbrauch verjährt nicht" und "Endlich Gerechtigkeit für Betroffene" hoch.

Unterstützer von Kläger Georg Menne stehen vor dem Landgericht Köln und halten Plakate hoch.

„Für uns steht außer Frage, dass Amtshaftungsrecht anwendbar ist. Da sehen wir keine Diskussion“, sagte Singbartl. Worauf es jetzt ankomme, sei die „rechtliche Bewertung“ der Klage. In der verlangt Georg Menne 750.000 Euro Schmerzensgeld für das vor mehr als 50 Jahren erlittene Leid. Damals war Menne Messdiener und wurde in mehr als 300 Fällen Opfer sexualisierter Gewalt durch den katholischen Priester J.. Dabei hatte es schon in den 1960er Jahren Gerüchte über Missbrauchshandlungen des Priesters gegeben. Dennoch habe die damalige Leitung des Erzbistums den Priester weiter in der Seelsorge eingesetzt. „Man muss mit Gerüchten sehr vorsichtig sein“, hatte Mennes Anwalts Eberhard Luetjohann bereits am vergangenen Freitag gegenüber der Rundschau gesagt. „Aber man muss ihnen nachgehen, wenn sie sich immer wieder wiederholen – auch in der Gemeinde.“ Das habe die damalige Bistumsleitung versäumt. Unter diesem Versäumnis und den daraus erwachsenen Folgen leide sein Mandant bis heute, so Luetjohann.

Verfahren mit großer Bedeutung für weitere Fälle

Vor dem Hintergrund vieler sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche wird dem Verfahren Signalwirkung zugesprochen. Darüber ist sich auch Menne bewusst. „Also ich kämpfe sicherlich auch für viele andere Betroffene“, sagte der 62-Jährige im Anschluss an die Verhandlung vor Journalisten. Dieser Gedanke mache ihm „die Sache auch nicht mehr so schwer“. Bislang hat Menne vom Erzbistum eine Anerkenntniszahlung in Höhe von 25 000 Euro erhalten. Für hunderte erlittene Missbrauchstaten, sei das aber deutlich zu wenig, stellen seine Anwälte klar.

Unterstützer von Kläger Georg Menne vor dem Landgericht Köln

Unterstützer von Kläger Georg Menne vor dem Landgericht Köln

Lange galt in dem Verfahren als Knackpunkt, ob das Bistum Verjährung geltend machen würde. Am Montagabend, wenige Stunden vor der Verhandlung, hatte das Erzbistum aber erklärt, dies nicht zu tun, obwohl die letzten Taten bereits über 40 Jahre zurückliegen und damals die Verjährungsfrist 30 Jahre betragen habe. Vielmehr solle ein staatliches Gericht über die Höhe der Schmerzensgeldforderung befinden, hieß es in einer Erklärung. „In diesem besonderen Fall hatte ich den Wunsch, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten“, wurde der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in der Mitteilung zitiert. Die in der Klageschrift aufgeführten Taten bestreitet das Erzbistum auch nicht. Sie sind Gegenstand im sogenannten Kölner Missbrauchsgutachten von Strafrechtler Björn Gercke, das im März 2021 veröffentlicht worden war.

Bestritten wird vom Bistum jedoch die Höhe des Schmerzensgeldanspruchs. Das wird deutlich, als Singbartl die Vergleichsbereitschaft der Parteien abklopfte. Der Forderung von Klageanwalt Luetjohann: Die Beklagte solle sich bereit erklären 750 000 Euro zuzüglich Anwalts- und Gerichtskosten – also insgesamt 805 000 Euro – zu zahlen. In den Augen der Öffentlichkeit ginge das Erzbistum „dann immer noch als Siegerin aus dem Verfahren raus“. Vom Beklagten-Anwalt Jörn Quadflieg gab es dafür jedoch eine Abfuhr: „Das ist ein Weg, den wir nicht gehen können.“


Der Missbrauchsfall Georg Menne

Das Kölner Landgericht verhandelt seit gestern über die deutschlandweit vermutlich erste Missbrauchsklage eines Opfers gegen die katholische Kirche. Der Fall ist erschütternd: Gegenstand ist unter anderem eine zutiefst verstörende Fotografie, die einen Jungen zeigt, wie er, ausgezogen bis auf die Unterhose, an Händen und Füßen mit Gürteln gefesselt, in gekrümmter Haltung in einer Duschwanne liegt. Die Aufnahme hatte der katholische Priester Erich J. aus Köln-Bickendorf gemacht. Abgebildet ist der damals 13-jährige Messdiener Georg Menne. Mehr als 50 Jahre später hat der ehemalige Pastoralreferent und Krankenhausseelsorger dieses Zeugnis seiner Misshandlung öffentlich gemacht. 320 Mal sei Menne (heute 62), ein tiefgläubiger Katholik, verheiratet und Vater zweier Kinder, in den 70er Jahren von Pfarrer J. missbraucht worden, so die Aussage seines Rechtsanwalts Eberhard Luetjohann. Der Geistliche Peiniger J. war 2020 verstorben.

Das Erzbistum Köln hatte erst kurz vor Verhandlungsbeginn auf den Verjährungsanspruch (30 Jahre nach der Tat) in diesem möglicherweise folgenschweren Fall verzichtet. Zum Hintergrund: Das Urteil des Landgerichts könnte weitere Klagen von Missbrauchsopfern zur Folge haben, die eventuell für die deutschen Bistümer sehr teuer werden könnten. Grundsätzlich könnten auch Verantwortliche des Erzbistums wieder zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie auf ein rechtlich mögliches Vorgehen gegen solche Forderungen verzichten. (dbr/dhi)