Serie

„Über Köln reden“
Nici Kempermann im Köln-Gespräch - „Einfach mal locker durch die Hose atmen“

Lesezeit 7 Minuten
Nici Kempermann steht in der Badminton-Halle des Sportcenter Kautz mit einem Badminton-Schläger in der Hand.

Zweites Zuhause: Nici Kempermann im Sportcenter Kautz.

Kempes-Feinest-Sängerin Nici Kempermann über ihr zweites Zuhause im Sportcenter Kautz, den Kölner Verkehr, Gentrifizierung, unentspannte Anwohner und Dorfromantik in Ehrenfeld.

Wie läuft's gerade für Köln? Was funktioniert, wo geht mal wieder etwas schief? Darüber sprechen wir in unserer Serie „Über Köln reden“ mit prominenten Menschen und werfen einen ganz persönlichen Blick auf die Stadt. Mit Sängerin Nici Kempermann von Kempes Feinest sprach Simon Westphal.

Sie haben sich das Sportcenter Kautz als Lieblingsort ausgewählt. Warum?

Das Sportcenter Kautz ist für mich wie ein zweites Zuhause. Meine Schwester hat den Besitzer, Alexander Kautz, geheiratet. Ich habe dadurch die Leidenschaft zum Sport für mich entdeckt. Hier hat man alle Möglichkeiten. Ich kenne jeden hinter der Theke, jeden im Büro und jeden Trainer beim Namen.

Dann ist es wahrscheinlich auch ein Ort, um soziale Kontakte zu pflegen.

Definitiv. Ich habe so viele Menschen über den Sport kennengelernt. Übers Badminton hat sich ein ganz neuer Freundeskreis entwickelt, mit dem man auch privat Sachen unternimmt. Mit der Gruppe gegen wir Mittwoch-Abend oft auf die After-Work-Party im Tsunami-Club in der Südstadt.

Auch die Musiker-Kollegen kommen gerne vorbei.

Genau, da kommen welche von Fiasko, von Lupo, Miljö, Druckluft, von den Grüngürtelrosen oder den Veedelperlen. Der „Ena“ von Kasalla kündigt immer wieder an, dass er uns mal zeigen will, wo der Hammer hängt. Aber 11 Uhr ist ihm immer zu früh.

Ich ärgere mich heute noch immer, wenn ich sehe, wie bei uns auf dem Dorf Karneval gefeiert wird. Meine Mädels gehen Karnevalssonntag gerne nach Hemmerden, ein Nachbarort. Da läuft Ballermann-Musik.
Nici Kempermann

Ursprünglich kommen Sie aus Kapellen in Grevenbroich. Wie sind Sie dort aufgewachsen?

Mit Schützenfest und Tanz in den Mai, das komplette Dorfprogramm eben. Jeder kennt jeden, jeder weiß über jeden Bescheid. Und das ist auch heute noch so. Ich hatte früher in Kapellen meinen eigenen Friseursalon. Wenn ich heute in Kapellen in den Rewe gehe, treffe ich oft auf alte Kunden. Das ist immer wieder schön.

Wie haben Sie Köln von Kapellen aus wahrgenommen?

Die Erinnerungen sind sehr stark durch meinen Papa (Peter Kempermann, früherer Frontmann der „Rabaue“, Anm. d. Red.) und seine Musik geprägt. Ich ärgere mich heute noch immer, wenn ich sehe, wie bei uns auf dem Dorf Karneval gefeiert wird. Meine Mädels gehen Karnevalssonntag gerne nach Hemmerden, ein Nachbarort. Da läuft Ballermann-Musik. Weil mein Vater jeden Tag zur Arbeit nach Köln gefahren ist, war der Wunsch bei mir immer da, irgendwann auch mal die große Stadt zu sehen.

Wann sind Sie nach Köln gezogen?

Das war 2016. Ende 2014 haben wir Kempes Feinest gegründet. Als alles immer mehr wurde, habe ich meinen Friseursalon aufgegeben und bin nach Köln gezogen.

Direkt nach Ehrenfeld, wo auch der Proberaum der Band ist?

Nein, erst einmal in die Paul-Schallück-Straße in Sülz (am Justizzentrum, Anm. d. Red). Das war schön, aber sehr unpersönlich und nicht so veedelig.

Kein Vergleich zu Ehrenfeld.

In Ehrenfeld habe ich zwischen Venloer Straße und Subbelrather Straße jetzt wirklich ein Zuhause gefunden. Ich liebe es sehr.

„Über Köln reden“: Dorfromantik mitten in der Großstadt

Wie ist das Leben im Veedel?

Wie haben eine mega schöne Hausgemeinschaft mit vielen Mädels im Haus, teilweise Single-Ladies. Wir treffen uns regelmäßig vor der Haustür, trinken Wein, vor allem schön an lauen Sommerabenden. Oder wir machen das Veedel unsicher. Und auch die Gemeinschaft auf der Straße ist toll. Als ich mir das Außenband gerissen habe, bin ich letztens auf Krücken die Straße runter. Da schaut der Nachbar aus dem Fenster und sagt: „Och Mensch. Was hast du gemacht? Du bist doch gestern noch normal gelaufen.“

Also ein bisschen Dorfromantik in der Großstadt.

Genau, das ist total schön. Dass man nicht nur aneinander vorbeiläuft, sondern Interesse füreinander zeigt.

Wie würden Sie Ehrenfeld insgesamt beschreiben?

Multikulti ist schon eine gute Beschreibung. Was Läden und Restaurants angeht, hast du dort alle Möglichkeiten. Ansonsten ist es hip und gleichzeitig oldschool. Du hast die Hipster-Familien mit ihren Lastenrädern und die Omis und Opis, die aus dem Fenster schauen und jedem ihre ungefragte Meinung aufbürden.

Gerade der Verkehr ist in Ehrenfeld ein Thema. Haben Sie eine Meinung zum Verkehrsversuch auf der Venloer Straße?

Ich bin sowohl Autofahrerin als auch Fahrradfahrerin. Und ich muss sagen: Die Einbahnstraße macht für mich keinen Sinn. Wenn ich von der Körnerstraße auf die Venloer fahre, darf ich nur links abbiegen, muss aber eigentlich nach rechts, um zum Proberaum zu kommen. Wenn ich links fahre, müsste ich danach rechts abbiegen, darf ich aber wieder nicht, weil da eine Einbahnstraße ist. Statt fünf Minuten fahre ich jetzt 15.

Was beschäftigt die Leute in Ehrenfeld noch?

Ein großes Thema ist die Gentrifizierung. Ich habe in Ehrenfeld ganz viele musikalische Erlebnisse gehabt, im „Underground“ oder im „Barinton“. Die Läden sind alle weg. Große Teile der Bar- und Clubszene wurden einfach weggentrifiziert. Das „Barinton“ war mein kleines Zuhause, dort habe ich zwei meiner Bandkollegen kennengelernt. Dass es das nicht mehr gibt, hat mir das Herz gebrochen.

Nici Kempermann: „Mülheimer Brücke ist im Karneval ein Riesenthema“

Welche Köln-Themen verfolgen Sie sonst so?

Das sind vor allem die Themen aus diesem Kölsch-Kontext. Entwicklungen in der Kölner Kulturszene, Spielstätten für Musiker, für Theater, Open-Air-Flächen, aber auch das Verkehrs-Thema. Gerade im Karneval ist die Mülheimer Brücke ein Riesenthema. Weil wir da nicht drüber gekommen sind, haben wir mal anderthalb Stunden von Ehrenfeld zum Carlswerk gebraucht.

Worüber können Sie sich in Köln so richtig aufregen?

Ich war belustigt darüber, dass der Weinmarkt nicht mehr auf dem Heumarkt stattfinden darf. Das erinnert mich an mein Dorf. Da gibt es einen Schützenplatz, immer an der selben Stelle. Jeder weiß das. Und dann gibt es Leute, die dann an diesen Schützenplatz ziehen und sich beschweren, so dass die Veranstaltungen dort um Mitternacht abgebrochen werden müssen.

Gibt's noch mehr Aufreger-Themen?

Generell sollten die Menschen mal ein bisschen toleranter gegenüber der Gastronomie werden. Wenn eine Bar zwei Klapptische vor die Tür stellen will, muss sie einen Riesenberg an Aufwand auf sich nehmen. Und dann gibt es Nachbarn, die um 22 Uhr das Ordnungsamt rufen. Jeder hat das Recht, sich zu beschweren, aber vielleicht sollten wir alle mal lernen, wieder ein bisschen mehr locker durch die Hose zu atmen und zu sagen: „Ach komm, lass die Menschen doch mal ein bisschen leben.“ Da rege ich mich wirklich oft drüber auf.

Das Toleranz-Thema ist in Köln immer präsent, auch für Kempes Feinest ist es ein wichtiges Thema. An Weiberfastnacht mussten Sie nach einem Auftritt auf der Ringe-Bühne üble Beleidigungen in den sozialen Medien lesen.

Ich finde es schlimm, was Social Media für Möglichkeiten bietet. Als Künstlerin muss ich dort stattfinden, aber es ist super gefährlich, dass sich viele Menschen dort dazu animiert fühlen, ihre ungefilterte Meinung und ihren Hass in die Welt hinauszuschreien zu müssen.

Kneipentour durch Ehrenfeld oder Stadtführung mit Julie Voyage

Zweifeln Sie in solchen Momenten an der Toleranz der Kölnerinnen und Kölner?

Jeden einzelnen Menschen in Köln als supertolerant zu bezeichnen, ist einfach unrealistisch. Wir haben Menschen hier, die immer noch ein bisschen engstirniger denken. Da geht noch einiges. Aber insgesamt ist Köln wundervoll. Die Demos gegen Rechts, der riesige Rosenmontagszug gegen den Krieg in der Ukraine. Da stehen die Kölner zusammen, mit einer geballten Masse an Menschen.

Was zeigen Sie Freunden, die aus anderen Teilen Deutschland zu Besuch nach Köln kommen?

Erstmal Ehrenfeld, vielleicht per Kneipentour: die „Hängenden Gärten“, ein paar Cocktails im „Cubana“, Endstation wäre dann EDP („Em Drügge Pitter“, Anm. d. Red.). Bis die Sonne aufgeht, um dann nach Hause zu schwanken. Wenn mein Besuch Interesse an Kultur hat: dann natürlich der Dom. Empfehlen kann ich auch eine Stadtführung mit Ken Reise, der als Drag Queen Julie Voyage durch die Altstadt führt.

Angenommen, Sie wären PR-Berater. Was würden Sie Köln empfehlen?

Das „Durch die Hose atmen“ passt da schon sehr gut, nicht nur zu den Anwohnern. Es passt auf die ganze Stadt, zur ganzen Umstrukturiererei, aber genauso auf die Menschen, die Stadtverwaltung und die Politik.

5 Kurze: Kempermanns Lieblinge

Kölner Lieblingsband, außer Kempes Feinest?

Kasalla. Inhaltlich großartig, auch musikalisch kommt mir das entgegen. Da höre ich auch nicht nur die Sessiontitel, sondern das ganze Album.

Lieblingsrestaurant?

Zum Reinsetzen das „Meer sehen“, ein Tapas-Laden in Ehrenfeld. Mein Lieblingsessen bestelle ich allerdings am liebsten in Mülheim bei „Chidonkey“. Ich liebe die Burritos von denen.

Lieblingswort auf Kölsch?

Immer noch Fisternöllche.

Lieblingsort zum Shoppen?

Die Schildergasse mit ihrem breiten Angebot.

Mit welchem Kölner Promi würden Sie gerne mal einen Kaffee trinken?

Shary Reeves. Als Musikerin gestartet, hat sie sich sehr für Frauenbewegungen eingesetzt, was für mich auch ein Thema ist.

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