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Vom Dorf bis in die ArenaEin Tag mit den Tänzerinnen und Tänzern der Kölner Rheinveilchen

Lesezeit 6 Minuten
Die Rheinveilchen in der Lanxess-Arena.

15.000 Jecke feierten die Rheinveilchen bei ihrem finalen Auftritt des Tages in der Lachenden Arena. 

Karnevalistischer Tanz ist Hochleistungssport. Das ganze Jahr über trainieren die Rheinveilchen für ihre Auftritte. Wir haben die 42 Tänzerinnen und Tänzer einen Tag lang begleitet.

Die Scheiben beschlagen sofort. 42 verschwitze Tänzerinnen und Tänzer stürmen über die schmalen Treppen vom Reisebus zu ihren Plätzen. Kaum ist der letzte drin, gehen mit einem Zischen die Türen zu und die Rheinveilchen rasen los. „Wer jetzt nicht da ist, hat Pech“, sagt Fahrerin Verena. Sie windet den Bus so schnell wie möglich durch die engen Straßen der Kleinstadt Neunkirchen-Seelscheid. Noch circa 40 Minuten bis die Tanzgruppe auf der Bühne der Lachenden Kölnarena stehen muss, schon die Strecke dauert laut Navi eine halbe Stunde. Jetzt darf nichts schiefgehen.

Abfahrt: Der Bus dient für die 42 Tänzerinnen und Tänzer gleichzeitig auch als Umkleidekabine zwischen den Auftritten.

Abfahrt: Der Bus dient für die 42 Tänzerinnen und Tänzer gleichzeitig auch als Umkleidekabine zwischen den Auftritten.

Drei Auftritte liegen an diesem Samstag um 22 Uhr bereits hinter der Tanzgruppe. Los ging es gegen 14 Uhr an der Trainingshalle in Riehl. Jetzt schälen sich die Tänzerinnen und Tänzer im beleuchteten Gang vom Bus ein weiteres Mal aus ihren verschwitzen Kostümen, um sich umzuziehen. Bei den Frauen müssen gut drei Schichten runter: erst der blau schimmernde Überrock und das passende Korsett, dann der Petticoat und die blaue Spitzenunterhose.

Die beiden weißen Bodys darunter tauschen sie aus, damit die Tänzerinnen bei jedem Auftritt wieder so aussehen, als wäre es der erste. Die Männer wechseln ihre weißen Hemden, die ihnen fast durchsichtig am Körper kleben und pellen sich aus ihren weißen Hosen.

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Die Kölner Rheinveilchen: Besondere Auftritte in der Arena

 Tanzmarie Alexia Danisch lässt sich entspannt in die erste Reihe fallen. Statt Rock und Korsett trägt sie jetzt ein grünes altes T-Shirt, um ihr Kostüm nicht zu zerknittern. Sie tanzt seit zehn Jahren bei den Rheinveilchen und ist seit vier Jahren Marie. „Aufgeregt bin ich nicht, aber etwas Besonderes sind die Arena-Auftritte natürlich trotzdem. Wir kratzen jetzt nochmal alle unsere Energie-Krümel zusammen“, sagt sie. Die beliebte Tanzgruppe ist eine der wenigen, die ausnahmslos für jeden Termin der Lachenden Kölnarena gebucht ist. Rund zehnmal tanzte die Gruppe dort schon.  

Letzte Vorbereitungen: Wenn der Platz am Veranstaltungsort knapp ist, muss das Warm-up auch mal auf dem Parkplatz stattfinden.

Wenn der Platz am Veranstaltungsort knapp ist, muss das Warm-up auch mal auf dem Parkplatz stattfinden.

Die Rheinveilchen sind sowas wie die Rockstars unter den Kölner Tanzgruppen. Waghalsige Würfe, perfekte Ausführung und ausgelassene Stimmung sind ihr Aushängeschild. Alexias Kopf streift an diesem Auftrittstag mehrmals fast die Decken der Festzelte. Angst habe die Tanzmarie nie, wenn sie meterhoch in die Luft geschmissen wird. „Wenn man davor Angst hat, muss man aufhören. Sonst baut man Fehler ein“, sagt sie.

Wie gefährlich diese Art von Leistungssport sein kann, zeigen die Verletzungen, die den Tänzerinnen und Tänzern schon passiert sind. „Ich sage immer: Das ist Berufsrisiko“, sagt Alexia. Sie hat sich bei den Rheinveilchen schonmal einen Muskel im Oberschenkel abgerissen. Bei Tanzoffizier Tim Schneider war es zuletzt ein Bizepsabriss, als die beiden ein Rückwärtssalto trainiert haben. 

Der Auftritt der Rheinveilchen in Westum.

Bis unter die Decke stapelten sich die Rheinveilchen auf der Bühne in Westum.

Rund 80 Auftritte haben die Rheinveilchen während dieser Session. Dafür trainieren sie außerhalb der Session drei Tage die Woche für jeweils drei Stunden. Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 durch Gottfried Löhr und seine Frau Susanne, hat die Gruppe sich schnell einen Namen gemacht. An Weiberfastnacht sind die Veilchen für ganze acht Auftritte gebucht. 

Bezahlt werden die Tänzerinnen und Tänzer dafür ausschließlich mit Applaus. Alle von ihnen haben zusätzlich normale Jobs. Wie man das durchhält? „Das macht man nur, wenn man volle Leidenschaft dafür hat. Ich atme auch vor jedem Auftritt einmal richtig tief durch und sauge das in mich auf. Das sind wirklich Momente, die kann dir nichts und niemand anderes bescheren. Tanzen ist für mich wie Atmen.“

„Das kann jetzt entweder richtig gut oder richtig schlecht werden“

Was Alexia damit meint, zeigt sich am eindrucksvollsten in der 1.700-Seelen-Gemeinde Westum, wo die Rheinveilchen ihren ersten Auftritt des Tages feiern. Die Jecken tanzen bereits auf ihren von Konfetti gepflasterten Bierbänken als die Gruppe auf den Parkplatz vor dem weißen Festzelt fährt. Einige Gäste liegen betrunken vor dem Eingang auf dem Kopfsteinpflaster. „Das kann jetzt entweder richtig gut oder richtig schlecht werden“, sagte Tänzer Freddy Braun hinsichtlich des Pegels im Zelt lachend. 

Er kostet den Saal als Organisator und Moderator der Gruppe sozusagen vor. Freddy gibt die Musik in Form des Notenkoffers oder einem USB-Stick bei der Kapelle oder dem DJ ab. Tänzerin und Gruppenleiterin Nicole Schüer stellt währenddessen mit einem professionellen Blick fest, wie die Gruppe aufgestellt werden muss, damit alle auf die Bühne passen. So steckt selbst hinter dem kleinsten Auftritt akribische Planung. 

Nicht immer gibt es einen abgetrennten Künstlerbereich, dann muss die Tanzgruppe anpassungsfähig sein. Sie dehnt sich in solchen Fällen auf dem Parkplatz oder neben Theken, zwischen Stehtischen oder Kabeltrommeln. Auf engstem Raum probt die Gruppe nochmal Hebungen oder Würfe und geht die Aufstellung durch.

Kurz noch dehnen, wo Gäste währenddessen ihre Jacken abgeben: die Rheinveilchen auf einer Mädchensitzung in Mönchengladbach.

Kurz noch dehnen, wo Gäste währenddessen ihre Jacken abgeben: Die Rheinveilchen auf einer Mädchensitzung in Mönchengladbach.

Genau dafür machen wir es. So ein Applaus ist das einzige Dankeschön, das wir brauchen.
Alexia Danisch, Marie der Rheinveilchen

Schon als die Gruppe durch die Mitte des Zelts zur Bühne marschiert, wird klar: Das hier ist nicht nur einer von den guten, sondern den sehr guten Auftritten. Die Stimmung kocht, hunderte Blicke verfolgen perplex und begeistert, die Flüge und Sprünge der Veilchen. Sie machen Saltos, werfen ihre Beine hoch – und lächeln dabei ohne Pause. Wie anstrengend so ein Auftritt ist, zeigt sich nur am Schweiß, der den Tänzerinnen und Tänzerin über die Schläfen läuft. Glücklich lächelnd sitzt Alexia danach wieder im Bus. „Genau dafür machen wir es. So ein Applaus ist das einzige Dankeschön, das wir brauchen.“ 

Gruppenleiterin Nicole Schüer (v.l.), Tanzoffizier Tim Schneider und Marie Alexia Danisch hinter den Kulissen der Lanxess-Arena

Gruppenleiterin Nicole Schüer (v.l.), Tanzoffizier Tim Schneider und Marie Alexia Danisch nach ihrem Auftritt hinter den Kulissen der Lanxess-Arena

Auch zwei Auftritte später, auf dem Weg zur Arena, ist ihre Euphorie nicht verflogen. Als durch die Windschutzscheibe der Henkel der Arena zu sehen ist, muss alles wieder ganz schnell gehen. Als Verena den Bus in die Künstlereinfahrt unter der Arena lenkt und sich die Bustüren öffnen, laufen alle im Schnellschritt los. Zielsicher geht es durch das Labyrinth unter den Rängen der Arena. Nicole zieht sich im Laufen noch ihren roten Lippenstift nach. „Wir sind auch schon mal zur Bühne gerannt. Zehn Minuten bis zum Auftritt sind also noch entspannt“, sagt sie lachend. 

Und plötzlich tauchen sie hinter einer schweren Metalltüre auf: 15.000 Jecke in der ausverkauften Lachenden Arena. Gerade steht Miljö auf der Bühne. Immer noch nicht nervös? „Mittlerweile ist das Routine“, sagt Tänzerin Vicky lächelnd, bevor sie und die anderen die wenigen Treppenstufen zur Bühne nehmen. Als die ersten Töne von „Leev Marie“ erklingen, geben die Rheinveilchen wieder alles. Und jetzt, wo keine Zeltdecke die Gruppe begrenzt, fliegt Alexia sogar nochmal ein bisschen höher. 

Die letzten Sekunden vor dem Auftritt der Rheinveilchen in der Arena

Die letzten Sekunden vor dem Auftritt der Rheinveilchen in der Arena

Mit Konfettiregen endet der sechsminütige Auftritt der Rheinveilchen gegen 23 Uhr. Wer denkt, nach so einem Tag will die Gruppe so schnell wie möglich Ruhe, irrt. Kurz hinter der Bühne verabreden sich die Tänzerinnen und Tänzer noch in ihren Kostümen zu einem Kölsch. Für viele sind die Veilchen längst zu Familie geworden, erklärt Alexia. „Manchmal denke ich, irgendwie können wir nie genug voneinander kriegen.“