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Alles oder nichtsHenriette Reker hat bei der Stichwahl viel zu verlieren

Lesezeit 6 Minuten
Reker Wahlkampf 1

Wahlkampf ist Handarbeit: Auf der Streuobstwiese in Porz-Eil erntet Henriette Reker Äpfel mit Robert Schallehn vom Umweltbildungszentrum Leidenhausen. Natürlich mit Mundschutz.

  1. Henriette Reker wurde oft unterschätzt und hat durchaus davon profitiert
  2. Nun ist sie als Favoritin in den Wahlkampf gestartet und schaffte es lediglich in die Stichwahl
  3. Die Oberbürgermeisterin musste feststellen, dass sie viel zu verlieren hat

Köln – Am Hirschgraben ist schon Erntedank. Die Oberbürgermeisterin steht in weißer Bluse und cremefarbenem Hosenanzug auf der Streuobstwiese nahe der Kleingartensiedlung in Porz-Eil. Die Äpfel purzeln, und wären es Wählerstimmen, Henriette Reker müsste sich um eine zweite Amtszeit keine Sorgen machen. Weil ihr aber nichts von allein zufällt in diesen Tagen, schnappt sich die OB den prall gefüllten Apfelkorb und wuchtet ihn mit auf die Ladefläche des Kleintransporters. „Da kommt ganz schön was zusammen.“

Handarbeit tut gut. Dem Auftritt im sozialen Netzwerk, aber auch dem Gemüt. Es ist Freitagnachmittag, die Sonne strahlt. Für sie sei es pure Erholung, draußen zu sein, mit den Menschen zu reden, sagt die 63-Jährige. Über den Fruchtgehalt des Apfelsaftes, die Bedeutung des Fallobstes für die Insekten und den Rückschnitt der Bäume. Weit weg vom Rathaus, weg von den Wahlprognosen und steigender Sieben-Tage-Inzidenz. Dann klingelt das Telefon. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ist dran, es geht um das Spiel des 1.FC Köln am Samstag, die Zeit drängt, es muss geregelt werden, ob Zuschauer dabei sein dürfen.

Zeit ist ein kostbares Gut in diesen Tagen

Reker läuft entlang der Obstbäume auf und ab. Nein, es sieht nicht gut aus. Die fleißigen Umwelt-Helfer warten geduldig, die Äpfel bleiben liegen. Noch ein schneller Schluck vom frisch gepressten Saft, und schon geht es weiter im kompakten Elektroauto des Wahlkampfteams.

Zeit ist ein kostbares Gut in dieses Tagen. Henriette Reker wechselt zwischen Krisenstab, OB-Büro und Wahlkampfbesuchen bei der Freiwilligen Feuerwehr und dem Rat der Religionen. Eigentlich leitet Stadtdirektor Stephan Keller den Krisenstab zur Pandemie. Doch der befindet sich in Düsseldorf ebenfalls im Wahlkampf. Deshalb versucht die OB neben ihrer Wiederwahl noch die Corona-Krise in den Griff zu bekommen. Nicht jeder im Rathaus versteht das. Die Kämmerin könnte das auch tun, die Stadt hat auch einen Gesundheitsdezernenten. Reker sagt: „Ich will mich nicht wegducken.“

Reker musste viele schlechte Nadhrichten überbringen

Der Rundschau hat sie zu ihrer Rolle als Krisenmanagerin mal gesagt: „Mache ich einen Fehler, bin ich weg vom Fenster.“ In den vergangenen Tagen hat sie viele schlechte Nachrichten überbringen müssen: Den Bürgern drohen neue Beschränkungen, der FC muss ohne Publikum antreten, weshalb der Verein meckert wie sonst sein Maskottchen. Der Arena-Chef ist aus ähnlichen Gründen sauer, und nun verklagen nach ihrem gestrichenen Gastspiel auch noch die magischen Ehrlich Brothers die Stadt. Einen Zauberstab könnte die OB gut gebrauchen.

Ortswechsel: Beim TC Königsforst Grün-Weiß Rath sausen die Tennisbälle über die Ascheplätze. Auf der Terrasse stehen Sekt und Orangensaft für den Besuch bereit. Der Club hat Sorgen vor dem Verschwinden. Nebenan wird der Rather See zu einem Freizeitpark mit Wasserski-Anlage entwickelt, der Verein fürchtet, dass der eigene Pachtvertrag nicht verlängert wird und er in einem neuen Bebauungsplan nicht mehr vorkommt.

Frauen gehören viel häufiger in die Verantwortung

Über den See ist lang gestritten worden. Reker sagt, sie habe im Rat dafür gestimmt, „weil es in einer Stadt wie Köln Wasserski als Angebot geben muss“. Dann hört sie den Argumenten zu, sie wiederholt manches, das macht sie häufiger in Gesprächen. „Ich tue das, weil ich es verstehen will, was Sie denken“, sagt sie. Sie lobt die Jugendarbeit des Vereins und dass viele Mädchen dabei sind. „Die holen auf. Das ist überall so.“

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Verdrängungssorgen: Auf der Tennisanlage des TC Königsforst Grün-Weiß hört die Oberbürgermeisterin dem Vorstand zu.

Die Vorstandsrunde des Tennis-Clubs nimmt die OB auf, als wäre sie eine der ihren. Mit der Präsidentin, Petra Arndt, spielt sie sich verbal die Bälle zu. Dass Frauen viel häufiger in die Verantwortung gehörten. Und dass es in Deutschland mehr Bürgermeister mit dem Vornamen Thomas gebe als Frauen im Amt. Da lachen auch die Männer, und manche schütteln den Kopf.

Stichwahl als Nahkampf der Demokratie

Die Stichwahl ist ein echter Nahkampf der Demokratie. Eins gegen eins, Mann gegen Frau. Reker wollte sich nie persönlich über ihren Herausforderer Andreas Kossiski äußern. Auch der SPD-Kandidat ist nicht als Sprücheklopfer bekannt. Am Tag nach dem ersten Wahlgang probierte er den Satz: „Ich will Henriette Reker in den wohlverdienten Ruhestand schicken.“ In diesem eher betulichen Wahlkampf war das schon ein Frontalangriff. „Ich glaube er meinte das ernst, aber nicht böse“, sagt sie lächelnd. Reker keilte zurück: „Die Zeiten, in denen ältere Herren darüber bestimmen, wann Frauen zuhause sitzen, sind vorbei.“

Dass sie von Männern im Kölner Politbetrieb von oben herab behandelt wurde, hat sie vor allem zu Beginn ihrer Amtszeit erlebt. Manche Männer bräuchten viel Zeit für ihre Eitelkeiten und ihre Egos. Da vertrug es sich nicht, dass die frühere Sozialdezernentin Ratssitzungen leitete und mit ihrer Stimme auch noch Entscheidungen in die eine oder andere Richtung lenken konnte. Man könne eine Stadt wie Köln nicht per Dekret steuern, sagte sie dem Magazin „Stern“ in einer grotesk euphorischen Titelgeschichte über das „Wunder am Rhein“ und die Kraft der entspannten Metropole. Man müsse die Menschen gewinnen.

Sie wurde oft unterschätzt und hat durchaus davon profitiert

Ein Wunder? Reker ist eher eine emsige Arbeiterin. Sie wurde schon häufiger unterschätzt, und sie hat davon durchaus profitiert. Es hat eine Ironie, dass sie dieses Mal die Wahl (noch) nicht gewinnen konnte, obwohl sie als hohe Favoritin gestartet ist. 45 Prozent bekam sie, 18 Punkte mehr als Kossiski, aber es fühlte sich für sie wohl an wie eine Niederlage. Sie hatte die Ergebnisse im Wahlbüro in der City getippt, erzählt sie zwischen zwei Terminen. Die prognostizierten 61 Prozent der WDR-Umfrage habe sie gar nicht ernst genommen, sie habe sich tatsächlich bei 45 Prozent gesehen, insofern: alles im Plan. Aber nun weiß sie, dass sie viel zu verlieren hat.

Dass die Grünen-Anhänger weiter zur parteilosen Reker stehen, bezweifelt kaum einer, nicht nur wegen ihrer 180-Grad-Wende im Streit um den Bau der FC-Trainingsplätze im Grüngürtel. Aber um die CDU-Anhänger muss sie sich sorgen. Tief sitzt der Frust bei den Konservativen nach der krachenden Niederlage. Sie würden zu einem Juniorpartner im grün-schwarzen Ratsbündnis. Wenn überhaupt. Zudem liegt die Beteiligung in einer Stichwahl traditionell niedriger als im ersten Wahlgang. Auch das ist nicht gut für Reker. Der Rest ist aus der Welt des Sports bekannt: Durch die eigene Nervosität erwächst der Underdog zu ungekannter Stärke. Er wittert eine Chance, die es vorher gar nicht gab.

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Reker lächelt derlei Gedankenspiele weg. Die Wirte und Clubbetreiber haben ohnehin andere Sorgen. Am Anfang der Woche klagen sie ihr Leid, von verschlossenen Türen und ausbleibenden Umsätzen in der Krise. Und nun kommt das schlechte Wetter, keiner wird mehr draußen sitzen wollen. Viele stünden vor der Pleite. Reker sagt: „In so einer Situation ist die Stadt noch nicht gewesen.“ Die Verwaltung helfe überall, wo es möglich ist. „Auch mit Geld. Aber wir allein werden nicht allen helfen können.“

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Im Gespräch mit Club- und Gastrobetreibern: Jan van Weegen, Mankel Brinkmann und Martin Schlüter (v.l.) mit der OB.

Die Oberbürgermeisterin fährt viel Lob ein in der Runde. Weil die Wirte und Clubchefs das Gefühl haben, ihre Sorgen werden ernst genommen. Das war vor der Krise nicht der Fall. Es blitzen Schimmer von Harmonie auf während des einstündigen Gesprächs im Club „Die Wohngemeinschaft“. Doch die Sorgen der Unternehmer sind existenziell. Reker weiß das. Sie hört es ja jeden Tag. Von Hotelbetreibern, dem Messe-Chef, Händlern, Künstlern und Karnevalisten sowieso. Sie nehme das natürlich auch mit nach Hause. „Da geht es bis spät am Abend weiter.“ Aber sie schaffe das schon, sie wolle nicht klagen. Nur weitermachen.