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„Was guckst Du?“So arbeitet die Video-Leitstelle der Kölner Polizei – ein Besuch

Lesezeit 4 Minuten
Vier Monitore stehen auf dem Schreibtisch von Heidemarie Lindlar, das Geschehen kann auch auf zwei großen Leinwänden gezeigt werden.

Vier Monitore stehen auf dem Schreibtisch von Heidemarie Lindlar, das Geschehen kann auch auf zwei großen Leinwänden gezeigt werden.

Sieben Kriminalitätsschwerpunkte gibt es in Köln, an denen Videobeobachtung erlaubt ist. Die Bilder werden rund um die Uhr aufgezeichnet. Und die Video-Polizei wird immer besser.

„Was guckst Du?“, ruft ein Polizeibeamter, der zum Schichtbeginn in die Video-Leitstelle im Kalker Präsidium schreitet. Die Frage ist so etwas wie eine übliche Begrüßungsfloskel in einem Raum voller Monitore und zwei großer Leinwände. „Ebertplatz“, antwortet Heidemarie Lindlar (50), die vor zwei Jahren den Platz im Streifenwagen gegen den am Schreibtisch getauscht hat. Vier Bildschirme stehen vor ihr. Die wichtigsten Arbeitsutensilien sind ein schwarzer Joystick und ein Funkgerät.

Viele der Drogenhändler und Junkies, deren zweite Heimat der Ebertplatz ist, kennt Heidemarie Lindlar sozusagen aus dem Fernsehen. „Ich erkenne sie am Gang, an der Kleidung, an kleinen Bewegungen“, erzählt sie, als über Funk verdächtige Männer an einer Treppe zur Platzfläche gemeldet werden. Per Mausklick steuert sie verschiedene Kameras an, die am Ebertplatz auf großen Masten montiert sind, um für ein größeres Sicherheitsgefühl zu sorgen und einen Kriminalitätsschwerpunkt zu entschärfen. „Das ist wie virtuelles Streifegehen“, sagt sie und sucht den Platz ab. Doch vergeblich. „Der Ebertplatz hat elf Treppenaufgänge, manchmal sind die Beschreibungen zu ungenau“, stellt sie fest.

Ich erkenne sie am Gang, an der Kleidung, an kleinen Bewegungen.
Heidemarie Lindlar

Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Polizeieinsätze, die durch die Videobeobachtung im Stadtgebiet ausgelöst worden sind, nahezu verdoppelt. Insgesamt rückten die Streifenwagenbesatzungen zu 8114 Einsätzen aus, Spitzenreiter waren die Ringe mit 1753 Fällen. „Unser Personal sieht und entdeckt deutlich mehr und hat sich an die Technik gewöhnt“, stellt Martin Lotz, Leitender Polizeidirektor und Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz, anerkennend fest. Den Erfahrungszuwachs spürt auch Heidemarie Lindlar. Wenn sie eine verdächtige Person am Bildschirm über einen Platz verfolgen möchte, weiß sie genau, welche Kamera sie als nächstes anklicken muss. „Das war am Anfang anders. Es ist ein Lerneffekt“, bestätigt sie.

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Die Kameras können bei Versammlungen ausgeschaltet werden, zu erkennen ist dies an gelben Symbolen und der durchgestrichenen Kamera. Insgesamt 106 Kameras gibt es an den Kölner Kriminalitätsschwerpunkten.

Die Kameras können bei Versammlungen ausgeschaltet werden, zu erkennen ist dies an gelben Symbolen und der durchgestrichenen Kamera. Insgesamt 106 Kameras gibt es an den Kölner Kriminalitätsschwerpunkten.

Zu Hause hat Heidemarie Lindlar kein Netflix-Abo, ohnehin schaue sie privat kein Fernsehen. „Das war aber auch schon so, als ich noch im Streifenwagen saß“, erzählt sie. Nun schaut sie beruflich stundenlang auf Monitore und kann per Mausklick zwischen den Brennpunkten hin und herschalten. Wiener Platz, Neumarkt, Ringe. Ansonsten gibt es in der Video-Leitstelle eine klare Trennung zwischen dem Links- und Rechtsrheinischen. Lindlar ist auf den Ebertplatz spezialisiert. Kürzlich wurde sie am Bildschirm Zeugin eines Taschendiebstahls und konnte live beobachten, wie zwei Dealer einem schlafenden Kollegen das Handy aus der Tasche fingerten. Wenige Minuten später wurden die Täter von einer Streifenwagenbesatzung festgenommen. „Früher kam ich, wenn die Tat vorbei war. Jetzt habe ich eine ganz andere Perspektive , das ist toll“, schwärmt Lindlar.

Rund um Dom und Bahnhof wurden Ende 2016 die ersten Kameras montiert, es war der Auftakt der Videobeobachtung in Köln, die strengen Anforderungen unterliegt (siehe Kasten). Für die Polizei sind die steuerbaren Kameras, die rund um die Uhr in Betrieb sind, inzwischen zum wertvollen Hilfsmittel geworden. „Wir können Straftaten direkt aufzeichnen und die Bilder in einem separaten Ordner sichern oder auf einen Stick ziehen“, berichtet die Video-Beamtin. Um verdächtige Personen ausfindig zu machen, kann sie auch zurückspulen und bei Bedarf durchgeben, in welche Richtung jemand verschwunden ist.

Räuber nach sechs Monaten wiedererkannt

Anfangs haben die Beamtinnen und Beamten der Leitstelle das neue Arbeitsfeld übernommen, inzwischen gehören auch Angestellte zum Team. „Letztlich ist das hier eine Teamarbeit, denn viele Augen sehen mehr“, meint Lindlar. Selbst nachts liefern die Kameras brauchbare Bilder. Weiberfastnacht entdeckte das Team nach einem Sexualdelikt in einem Hotel den Täter beim Kennenlernen des späteren Opfers am Rudolfplatz wieder. „Die Kameras sind ein sehr gutes Werkzeug“, meint Lindlar. Eine Kollegin hat kürzlich einen Räuber sechs Monate nach der Tat am Bildschirm wiedererkannt und dessen Festnahme eingeleitet. Erfolge, die den Teamgeist stärken.

Auch wenn es seltsam anmutet, Heidemarie Lindlar mag den Winter lieber als den Sommer. Mit den Temperaturen hat das nichts zu tun, sondern ausschließlich mit dem Bewuchs der Bäume. „Oft verdecken Blätter die Sicht auf Abschnitte eines Platzes“, weiß sie. Doch auch der Winter hat seine schwierigen Seiten, dazu gehört der Weihnachtsmarkt am Neumarkt. Im Dezember verdecken meist Holzbuden die uneingeschränkte Kamerasicht über den Platz. Am Neumarkt achtet das Team der Video-Leitstelle vor allem auf Taschendiebstähle. „Gerade beim Einsteigen in die Bahnen entstehen im Gedränge Tatgelegenheiten. Ich erkenne, wenn Verdächtige auffällig in die Taschen von Passantinnen schauen“, sagt Lindlar.

Morgens um sechs Uhr beginnt die Frühschicht, um 13 Uhr die Spätschicht und um 21 Uhr der Nachtdienst. Der Job am Monitor bringt auch Phasen des Leerlaufs mit sich. „Manchmal ist viel Warterei dabei, oft auch Sucherei“, sagt Lindlar. In der Leitstelle herrscht ein wenig Kinoatmosphäre, meist herrscht konzentrierte Ruhe. „Oft genug herrscht auch Spannung. Ich gehe hier meistens mit einem guten Gefühl nach Hause“, sagt die Ermittlerin.