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Echter SchatzDas Kölner Ratssilber hat über 3800 Teile – nicht jeder darf davon essen

Lesezeit 5 Minuten

Eingedeckt mit Platzkärtchen, Blumen und Servietten, gibt das Silber jeder Tafel etwas Würdiges.

  1. Das Kölner Ratssilber hat mehr als 3800 Teile
  2. Ein Becher aus der letzten Serie hat allein 950 Euro gekostet
  3. Ingeborg Arians vom Protokoll verrät uns die Besonderheiten – und, wer schon am häufigsten vom Ratssilbergegessen hat

Köln – Wenn Besuch kommt, wird das feine Geschirr aus dem Schrank geholt. Das zeigt dem Gast Wertschätzung und unterstreicht vor allem die eigene Bedeutsamkeit. Zu keinem anderen Zweck ist im Mittelalter der Gürzenich gebaut worden.

Doch die Hansestadt Köln kann damals kein allzu pompöses Silbergeschirr besessen haben, denn der „Schatz“ der Stadt wird in Urkunden lediglich mit „ein paar Kannen und Schüsseln“ sowie „wenigen Bechern“ beschrieben. Erst die romantische Schwärmerei für die Vergangenheit hat der Stadt vor etwa 100 Jahren einen echten Schatz beschert.

Vom alten Geschirr wird nicht gegessen.

Es ging um mehr als um Geschirr

Die besten Silberschmiede Kölns wetteiferten damals in der Herstellung kostbarer Dekorationsgegenstände – mit all ihrer Kunstfertigkeit. Und bald ging es nicht mehr nur um Geschirr: Hauchdünne Edelsteine und silberne Figuren formten Leuchter und Tischschmuck von höchstem künstlerischen Wert – und ein Goldenes Buch für die Stadt. „Für mich ist das Goldene Buch das Herzstück des Ratssilbers“, sagt Ingeborg Arians vom Protokoll – einer Institution zur Wahrung der Form bei gesellschaftlichen Verpflichtungen. „Kölle Alaaf“ steht auf der Schließe dieses Buches. Das war schon im 19. Jahrhundert der patriotischste Segenswunsch in der Stadt.

Das Ratssilber

Seit Jahrhunderten besitzt die Stadt Köln silberne Utensilien für Speis und Trank, damit hochrangige Gäste würdevoll bewirtet werden können. Vom mittelalterlichen Ratssilber ist jedoch nichts übrig. Lediglich ein Pokal aus der Zeit um 1720 entging 1795 dem Einschmelzen. Er ist heute im Berliner Kunstgewerbemuseum zu sehen.

Ab 1890 ist mit dem Aufblühen des preußischen Kaisertums ein neuer „Schatz“ zusammengetragen worden. Zunächst war ein Pokal nötig, um den Kaiser zu empfangen, dann einer für die Kaiserin und schließlich für den Kronprinzen. Oberbürgermeister Wilhelm Becker befeuerte den Stiftungswillen der Kölner von 1897 bis 1905. Wer spendete, durfte damit rechnen, zum Essen geladen zu werden.

Das Neue Ratssilber entstand so ab 1897. Den Kern stellt das Goldene Buch der Stadt Köln dar. Wie die meisten Silberteile ist es vergoldet und somit eines der wenigen Goldenen Bücher, die tatsächlich Gold enthalten. Weil das Ratssilber im Gürzenich, der guten Stube Kölns, genutzt werden sollte, passte es sich in der Form der gotisch inspirierten Architektur an. Vom Jugendstil beeinflusste Stücke fallen gleich ins Auge. Zwei moderne Stücke fielen den Nazis zum Opfer, die wegen eines jüdischen Stifters die Vernichtung der Kunstwerke zelebrierten, um ihren Hass noch auf andere zu übertragen.

Den Becker-Pokal, der einer goldenen Ananas gleicht und stets dem Gastgeber gebührt, stiftete Becker zu seinem 70. Geburtstag. Der Pokal wird vom Kölner Bauer (Foto) getragen, und selbst die Schlüssel an dessen Schlüsselbund sind einzeln und kunstvoll gefertigt.

Im Museumsbesitz befindet sich das Ratssilber heute, was dazu führte, dass von den prunkvollsten Stücken kaum noch gegessen wird. 1979 wurde ein neues Gebrauchsgeschirr in modernem Stil angefertigt, bei dem die Gabeln sechs Zinken haben.

Meisterwerke der Silber- und Goldschmiedekunst befinden sich in der Sammlung. Alois Kreiten sowie Franz und August Wüsten wetteiferten mit Gabriel Hermeling um den meisterlichsten Prunk. Von letzterem stammen Kaiserpokal und Goldenes Buch, ebenso der Tafelaufsatz „Vater Rhein“, ein 1,25 Meter hoher Dekorationsgegenstand von 70 Zentimetern Durchmesser, der eine auf Händen getragene Hansekogge zeigte, deren Segel aus durchscheinendem Email bestehen. Bergkristall, Halbedelsteinen und Marmor wurden verarbeitet, um den Besuchern der Weltausstellung im Jahr 1900 den Atem zu verschlagen. (mfr)

„Das Silberbesteck von damals entsprach aber dem Stil der Gotik. Es ist viel zu schwer, um es zum Essen zu benutzen“, findet Arians. Der Textil-Unternehmer Jan Brügelmann, FDP-Politiker und Bürgermeister, brachte 1979 OB Norbert Burger dazu, Stifter für ein neues Gebrauchssilber zu suchen. Damals hatte das Ratssilber bereits 1300 Teile. Nun kamen neue mit Wappen der Stadt und Namensgravuren der Stifter hinzu.

Ingeborg Arians vom Protokoll präsentiert einen Becher mit Wappen.

Vom neuen, 14-teiligen Gedecksatz für 144 Personen hat die Stadt nur ein einziges Stück selbst bezahlen müssen. Und das ist der Becher für den Oberbürgermeister, der zum Amtsantritt von Henriette Reker 2015 auf Veranlassung des „Protokolls“ um den Schriftzug „Die Oberbürgermeisterin“ ergänzt wurde. „Der Oberbürgermeister musste ja zurückprosten können“, sagt Arians.

Diskretion als vornehmste Pflicht

Unvergessen ist das Essen mit den Ministerpräsidenten und Finanzministern beim G8-Gipfeltreffen 1999. Gerhard Schröder war Bundeskanzler, Roman Herzog als Bundespräsident der Gastgeber. „Das führte zu einer absoluten Ausnahme, weil der Becker-Pokal aus dem alten Ratssilber für den Gastgeber reserviert ist, der normalerweise eben das Kölner Stadtoberhaupt ist.“ Erst im Gespräch mit der Rundschau wurde Arians bewusst, dass sie mit 35 Dienstjahren wohl die Person ist, die am häufigsten von den silbernen Tellern aß, die nur beim Herrenessen oder für hochrangige Politiker ausgepackt werden. Diskretion ist die vornehmste Pflicht des Protokolls.

Salzstreuer sind innen vergoldet.

Reinigung

Das Ratssilber wird nach dem Essen mit heißem, klaren Wasser gesäubert und sofort abgetrocknet. Poliert wird es erst kurz vor der nächsten Benutzung, damit es nicht zu schnell abnutzt.

Eine Holzschablone als Untersetzer verhindert beim Putzen, dass sich ein Teller verbiegt. Aluminium und Salz könnten Spuren des Anlaufens beseitigen. Viel schneller ist aber ein sanftes Putzmittel aus dem Handel. (mfr)

So schweigt sich Arians darüber aus, welcher Kölner mal bei einem Essen im Hansasaal, der guten Stube in der Ratslaube, einen Mokkalöffel in der Jacketttasche mit nach Hause nahm. Gottlob überkam den Mann Reue, dass er das gute Stück zurückbrachte und sich damit entschuldigte, gehörig einen im Tee gehabt zu haben. „Somit ist das Ratssilber bis heute komplett.“

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Wo das Ratssilber aufbewahrt wird, ist geheim

Die jüngsten Stücke sind zehn Jahre alt: 24 Kerzenhalter aus acht Kilo Sterling-Silber von Petra Mertens sowie 24 silberne Würzstreuer: Salz mit Kristall-Fuß, Pfeffer mit Rauchquarz-Sockel, für die Christian Heyden drei Kilo 925er Silber verarbeitete. Das Innere ist vergoldet, weil sich Silber und Salz nicht vertragen. Was dieser gewaltige, 3800-teilige Schatz wert ist? Arians zuckt die Schultern. „Ein Becher aus der letzten Serie hat 950 Euro gekostet. Die meisten Stücke haben vor allem historischen Wert und sind unersetzlich.“ Darum hält die Stadt geheim, wo sie das Ratssilber aufbewahrt.