Kölner Serie „Spurensuche“Ferdinand Franz Wallraf – Kölns wichtigster Sammler
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Wo hat Marx geschrieben, Houdini gezaubert und Romy Schneider Rotwein getrunken? In unserer Serie „Spurensuche“ schauen wir auf berühmte Personen in Köln.
Heute schreibt Anselm Weyer über Kunstsammler Ferdinand Franz Wallraf.
Köln – Grundstock der meisten großen Museen sind die Sammlungen prachtliebender Fürsten, die in deren Residenzstädten irgendwann zur Schau gestellt wurden. Anders in Köln, wo Bürger etwa das Rautenstrau-Joest-, das Schnütgen-Museum oder auch das Museum für Ostasiatische Kunst stifteten. Ihr aller Ahnherr ist Ferdinand Franz Wallraf, dessen Kollektion seinerzeit wohl nicht einmal die wertvollste in Köln war.
Stadt Köln erbte seine Sammlung
Während jedoch etwa Sulpiz Boisserée seine Schätze König Ludwig von Bayern verkaufte und andere Sammlungen bei Auktionen in alle Winde zerstreut wurden, so dass die Exponate inzwischen über diverse Museen in München oder Paris verteilt sind, machte Wallraf im Mai 1818 die Stadt Köln zum Erben seiner Sammlung, unter der unerlässlichen Bedingung, „dass sie unter keinem erdenklichen Vorwande veräußert oder anderswohin verlegt werden“ dürfte. So wurde das Wallrafianum in der Trankgasse 7 zur Keimzelle der heutigen Kölner Museen- und Bibliothekslandschaft.
Einen Museumsstifter erwartete wohl niemand, als Wallraf am 20. Juli 1748 als zweiter Sohn eines Schusters im Steinweg 16 geboren und tags darauf in Klein St. Martin getauft wurde. Doch bereits als Schüler des Montanergymnasiums, gelegen zwischen Unter Sachsenhausen und Enggasse, sowie als Student der Universität zu Köln fiel er angenehm auf. Insbesondere seine breit gefächerten Interessen kamen ihm später als Gymnasialprofessor zugute.
Wallraf unterrichtete an seiner alten Schule abwechselnd und gleichzeitig Mathematik, Rhetorik, Ästhetik und Kunst. Da sich die Lehrer in Köln damals durch Kanonikate finanzieren mussten, hatte auch Wallraf im November 1772 die Priesterweihe empfangen und war Kanonikus von Maria im Kapitol und später zusätzlich von St. Aposteln geworden. Den Doktorgrad wiederum erwarb er in Medizin und übernahm 1784 an der Universität zu Köln die Professor für Botanik. Quasi nebenher lehrte er an der philosophischen Fakultät die schönen Künste. Dass er progressive Schriften etwa von Lessing und Goethe ins eher konservative Köln brachte, zog ihm den Unmut vieler seiner Kollegen zu. 1789 jedenfalls wurde er am Montanergymnasium entlassen und musste auch seine dortige Dienstwohnung verlassen. Glücklicherweise fand er in der alten Domprobstei für sich und seine damals schon ausufernde Sammlung schnell eine neue Unterkunft. In der medizinischen Fakultät hatte er so viel Rückhalt, dass diese 1793 seine Wahl zum Rektor der Universität durchsetzte.
Auch Goethe zeigte Interesse an Wallrafs Sammlung
Eine Zäsur in Wallrafs Leben brachte der Einzug der Franzosen 1794 nach Köln. Nicht nur bedeutete dieser das Ende seiner Amtszeit als Rektor, da er mit einigen anderen Professoren den Eid auf die neuen Machthaber ablehnte. Vor allem wendete Wallraf, der sich eher für naturwissenschaftliche, antike und klassizistische Exponate interessiert hatte, der mittelalterlichen Kunst zu, die im Zeitalter des Rokoko und der Aufklärung kaum Interesse gefunden hatte. Jetzt plötzlich, als sie wegen der Säkularisierung der Klöster durch eine fremdländische Macht von der Zerstörung bedroht war, wurde sie zur deutschen Kunst schlechthin erklärt.
Wallrafs gerade in dieser Zeit fast schon wahllos zusammengeraffte Sammlung weckte das Interesse etlicher Prominenter, darunter auch Goethe, der nach seinem kurzen Aufenthalt in Köln im August 1815 Wallraf einen warmen Dankesbrief schrieb. Insbesondere bedauere er, Wallrafs „Kunstschätze nicht gründlicher durchschaut zu haben.“ Anderen Menschen gegenüber und in privaten Notizen äußert sich Goethe weniger höflich. Man solle baldmöglichst mit ihm verhandeln, „um die von demselben aufgehäuften Schätze dem öffentlichen Wesen für die Zukunft zu sichern“, vor allem aber, um „auf diesen wunderlichen Mann einigen Einfluss zu gewinnen“. Wallraf sei „ohne Ordnungsliebe geboren“, berichtet Goethe fassungslos: „Der chaotische Zustand ist nicht denkbar, in welchem die kostbarsten Gegenstände der Natur, Kunst und des Altertums über einander stehen, liegen, hängen.“
Wer Ferdinand Franz Wallraf in den großzügigen Räumlichkeiten der ehemaligen Domprobstei besuchte, fragte sich tatsächlich verblüfft, wo er eigentlich schlief, denn nicht nur in den Zimmern und Gängen, auch auf seinem Bett schichteten sich Antiquitäten, Bücher, Kupferstiche und vielerlei Kuriositäten. „Wie ein Drache bewahrt er diese Schätze“, berichtet Goethe nach seinem Besuch, „ohne zu fühlen, dass Tag für Tag etwas Treffliches und Würdiges durch Staub und Moder, durch Schieben, Reiben und Stoßen einen großen Teil seines Werts verliert.“
Als Wallraf mit nahezu 76 Jahren am 18. März 1824 starb, beerdigte man ihn auf dem von ihm selbst als Erinnerungsgarten angelegten Melatenfriedhof, den bis heute die von Wallraf verfassten Inschriften zieren. Das von ihm bewohnte Haus in der Domprobstei wurde niedergelegt und zum Wallrafplatz gemacht. Seinen wüst zusammengetragenen Besitz aber brachte man in den Kölnischen Hof, Trankhof 7, der nunmehr als „Wallrafianum“ erstes städtisches Museum Kölns war. Bei der Katalogisierung zählte man 521 Handschriften, 488 Urkunden, 1055 Inkunabeln und alte Drucke, 13 248 Bücher, 107 Karten, 9923 Mineralien und Fossilien, 1616 Gemälde, 3875 Handzeichnungen, 38 254 Kupferstiche und 3165 Holzschnitte, dazu kamen noch 5958 Münzen, 96 Rüstungen und Waffen, 38 Marmorskulpturen, 104 andere römische Steinbildwerke, 323 geschnittene Stein und schließlich 1297 kunstgewerbliche Altertümer, darunter Glasgemälde, Email- und Elfenbeinwerke und ähnliches.
Dieses im Zweiten Weltkrieg leider teils empfindlich geschrumpfte Konvolut ist heute nicht nur im Wallraf-Richartz-Museums zu finden, sondern über ganz Köln verteilt, vom Römisch-Germanischen Museum über das Museum für Angewandte Kunst, das Stadtmuseum, die Universität bis hin zur Universitäts- und Stadtbibliothek und zum Historischen Archiv. So ist Wallraf bis heute quasi allgegenwärtig in Köln.
Anselm Weyer ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigt sich vielfältig mit Kölner Stadtgeschichte.