Kölner Serie „Spurensuche“Wie der Dichter Francesco Petrarca Köln erlebte
- Wo hat Jospeh Beuys seinen Rasierspiegel verarbeitet? Wo haben Romy Schneider und Heinrich Böll Rotwein getrunken? In unserer Serie „Spurensuche“ geht es um berühmte Personen und ihre Zeit in Köln.
- Heute: Francesco Petrarca und seine Beschreibung eines uralten Brauchs in Köln.
Köln – So reichhaltig gestaltete sich das Kölner Brauchtum über die Jahrhunderte, dass zwischenzeitlich manche Tradition in Vergessenheit geriet. Kein Geringerer als der berühmte Dichter und humanistische Gelehrte Francesco Petrarca konservierte anlässlich eines Köln-Besuchs im Jahr 1333 in einem Brief ein zwischenzeitlich ausgestorbenes Ritual. Alljährlich soll es am 23. Juni, dem Vorabend des auf die Sommersonnenwende fallenden Johannistags, begangen worden sein.
„Kaum stieg ich bei meiner Ankunft zu Köln in dem Gasthof ab, wo meine Freunde mich empfingen, als sie mich zum Rhein führten, um ein an eben diesem Tag bei Sonnenuntergang aus dem Altertum herkömmliches Schauspiel in ihrer Gesellschaft anzusehen“, schreibt der noch nicht dreißig Jahre alte Petrarca am 9. August 1333 aus Lyon. Er schildert in einem Brief an seinen Gönner, den römischen Kardinal Giovanni Colonna, seine Zeit in jener „agrippinischen Kolonie, die am linken Rheinufer gelegen ist, ein Ort, berühmt durch seine Lage und seinen Strom, berühmt auch durch seine Bevölkerung.“
Die Badenden am Rhein
Petrarcas Reise hatte ihn von Avignon über Nordfrankreich zunächst nach Paris und dann in die Niederlande über Lüttich nach Deutschland geführt. Kürzlich hatte er noch in den heißen Quellen von Aachen gebadet, nun wurde er am Rhein Zeuge eines anderen Reinigungsrituals. „Das ganze Ufer war mit einer Schar von Frauen bedeckt“, berichtet Petrarca. „Welche Gestalten, welche Gesichter, welch schöne Tracht! Ich stieg auf einen Hügel, wo ich dem, was vorgehen sollte, besser zusehen konnte.
Unglaublich war der Zulauf, ohne dass sich die Anschließenden einander hinderten. Alles atmete Mut und Freude. Ein Teil war mit wohlriechenden Kräuterranken geziert, und mit zurück geschobenem Gewand fingen sie nun auf einmal an, ihre weißen Arme und Hände in den Fluss zu tauchen und abzuwaschen. Dabei plauderten sie froh und lächelnd in ihrer mir unverständlichen Sprache miteinander.“ Petrarca ist berühmt für seine meist in Form von Sonetten verfassten Liebesgedichte an Laura, bei der es sich vermutlich um Laura de Noves handelt. Diese allerdings erwiderte seine Anbetung nicht, schließlich war sie verheiratete Frau und Mutter von schließlich elf Kindern. Zu mehr als Freundschaft kam es somit nicht, was Petrarcas Begeisterung aber nicht abflauen ließ. Resultat war der sogenannte Petrarkismus, eine in der Folgezeit weit verbreitete Form der Liebeslyrik, bei der ein in Liebe entbrannter Mann eine Frau besingt, die die ihr entgegengebrachten Gefühle kalt lassen.
Somit geriet in Köln eine ganze Kunstgattung in Gefahr, denn hier, so schreibt der Dichter beim Blick auf die kölschen Mädchen, die sich im Rhein badeten, hätte er durchaus eine neue Angebetete finden können, die seinen Avancen vielleicht aufgeschlossener gewesen wäre: „In Liebe hätte entbrennen können, wer nur ein nicht schon gebundenes Herz mitgebracht hätte.“ So interessiert Petrarca die badenden Schönheiten auch betrachtete, so wenig verstand er, was da eigentlich vor sich ging. Also fragte er seine Freunde.
Von einem uralten Brauch der Kölner
Es handele sich um einen uralten Brauch der Kölner, antwortete man ihm. Die Frauen und Mädchen lebten in der Meinung, dass alles Elend des ganzen Jahres durch die an diesem Tage vorgenommene Waschung weggespült werde und gleich darauf alles nach Wunsch gelinge. „Es sei also eigentlich ein jährliches Reinigungsfest, welches von jeher mit unverbrüchlicher Emsigkeit gefeiert und wohl nie unterkommen werde“, schreibt Petrarca, der sich begeistert zeigte.
„Ich rief, nicht ohne innigen Anteil des frohen Gefühls: Wie beneide ich euch, ihr glücklichen Anwohner des Rheins, dass der Fluss eure Klagen und euren Kummer so wegschwemmt! Nicht unser Po, nicht unser Tiber vermögen uns dieses Glück zu verschaffen. Wie ihr eure Übel im Wasser zu den Britanniern schickt, so wollten wir gerne die unsrigen nach Afrika oder Ilyrien fortschwemmen lassen. Aber dafür sind unsere Flüsse, leider zu träge.“
Am nächsten Tag besichtigte Petrarca die Stadt, „eine nicht unangenehme Aufgabe“, wie er festhält. Er ist aber erstaunlich wenig interessiert am gegenwärtigen Stadtbild, obwohl Köln damals mit 40 000 Einwohnern größte deutsche Stadt war und eine Blütezeit seiner Geschichte erlebte. Immerhin den Kölner Dom erwähnt er: „Ich habe den Tempel in der Mitte der Stadt gesehen, den man nicht ohne Grund den allerherrlichsten nennt – sehr schön, doch unvollendet.“ Wobei unvollendet eine Untertreibung war. Erst seit wenigen Jahren stand der Chor, in dem Petrarca dann auch in Bewunderung des Dreikönigsschreins stand, „anbetend der Magierkönige Leichname“. Mehr als die Gegenwart interessierten den Humanisten Petrarca die Spuren der Antike.
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Schön findet er deswegen den Spaziergang durch die Stadt nicht „so sehr wegen all dessen, was einem noch vor Augen stand, als in Erinnerung an unserer Vorfahren, die so fern vom Vaterland solch herrliche Denkmäler römischer Größe hinterlassen haben.“ Ein Stück Rom findet er unter anderem in Form einer Kirche: „Ich sah das Kapitol, das Abbild des unsrigen – nur dass statt des Senats, der bei uns über Krieg und Frieden Rat hält, dort schöne Jünglinge und Mädchen gemischt in ewiger Eintracht nächtliche Lobeshymnen singen. Zu Rom tönt der Räder und Waffen Lärm und das Seufzen der Gefangenen, dort aber herrscht Ruhe und Freude.“
Abgerundet wird Petrarcas Besuchsprogramm durch einen Abstecher zur Kirche St. Ursula mit ihren Reliquien, „die vielen Tausend gleichzeitig verstümmelter Körper heiliger Jungfrauen“. Positiv überrascht verlässt Petrarca schließlich Köln.
Nun mag sein Lob im Brief so begeistert ausgefallen sein, weil der Dichter dachte, dass sein Adressat Kardinal Giovanni Colonna aufgrund seines Namens mit der Stadt in Beziehung stehe. Weil der Bericht zudem voller Zitate und offensichtlich stilisiert ist, wird mitunter in Frage gestellt, ob die geschilderten Erlebnisse überhaupt echt sind. Mancher zweifelt sogar, ob Petrarca überhaupt je in Köln war. Wie dem auch sei, immerhin verdankt Köln Petrarca ein solch zweischneidiges Lob wie: „Ein barbarisches Volk, doch erstaunlich welch große Zivilisation, welch Schönheit der Stadt mit Würdigkeit der Männer und Eleganz der Frauen!“
Anselm Weyer, 45, ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigte sich vielfältig mit Kölner Stadtgeschichte.