Kölner Serie „Spurensuche“Von Engelbert Humperdincks Wirken und Leben in Köln
- Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring?
- In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln
- Anselm Weyer widmet sich dem Komponisten Engelbert Humperdinck.
Köln – Aus einer musikalischen Familie stammte der in Siegburg geborene Engelbert Humperdinck, jedenfalls in mütterlicher Linie. Es dauerte aber bis zu seinem 14. Lebensjahr, bis er erstmals eine Oper hörte. Die Ohren gingen ihm über, als er im Kölner Stadttheater in der Komödienstraße saß und Albert Lortzings romantische Zauber-Oper Undine hörte, das Märchen von einer Nixe, die sich in einen Menschen verliebt.
Das Erlebnis löste einen wahren Rausch im Jungen aus. Fortan krallte er sich alle Noten, deren er habhaft werden konnte. Fast dreißig Jahre sollte es aber noch dauern, bis seine eigene Märchenoper Hänsel und Gretel uraufgeführt wurde. Sie sollte eine der berühmtesten und populärsten Opern aller Zeiten werden. Die Keimzelle des Werks ist in Köln.
Engelberts Vater, der Altphilologe und Gymnasiallehrer Gustav Humperdinck, war den musikalischen Bestrebungen seines Sohnes gegenüber misstrauisch. Natürlich waren die frühen Kompositionen des Jungen sehr schön. Aber konnte er keinen anständigen Brotberuf erlernen? Im Verweis auf Goethe, von dem der Ausspruch überliefert ist, dass die Baukunst erstarrte Musik sei, drängte er Engelbert, sich doch der Architektur zuzuwenden. Vergebens. Bestärkt von der Mutter Gertrud stellte sich Engelbert Humperdinck im Mai 1872 in Köln beim berühmten Ferdinand Hiller, dem Direktor des Musikkonservatoriums, in der Glockengasse in Köln vor.
Engelbert Humperdinck legte ihm seine bisherigen Arbeiten vor. Hiller sah sie „aufmerksam und mit einiger Verwunderung“ durch. „Aller Ehren wert!“, lobte er, als er die Blätter zurückgab. Schüchtern fragte Engelbert nach, ob Hiller ihm denn zuraten könne, Musiker zu werden. „Wem denn sonst, wenn nicht Ihnen?“ war Hillers Antwort.
Zwar war die Ausbildung für ihn kostenlos, galt Humperdinck doch als „ungewöhnlich Begabter“. Aber er musste ja auch wohnen und sich ernähren. Der Vater konnte ihn finanziell kaum unterstützen. Eine entbehrungsreiche Zeit begann. Aber auch lehrreich. Während seiner Studienzeit in Köln hörte er erstmals Wagner-Musik – Richard Wagner selbst gastierte am 24. April 1873 im Gürzenich und dirigierte unter anderem Stücke aus seinen Opern. Geradezu heimlich musste sich Humperdinck ins Konzert stehlen. „Galt es doch“, so erinnert sich Humperdinck später, „am Kölner Konservatorium damals noch ein Wagnis, den Namen Wagner überhaupt auszusprechen.“ Der Jude Ferdinand Hiller war verständlicherweise erklärter Gegner des bekennenden Antisemiten Wagner. Für Humperdinck aber sollte Wagner ein immenser Einfluss werden.
Zeitweise Kapellmeister am Stadttheater
Im Spätsommer 1874 waren die Anspannung und die Entbehrungen der Ausbildung am Konservatorium, das 1873 einen repräsentativen Neubau in der Wolfsstraße 3 bezogen hatte, zu viel für Humperdinck geworden. Seine Gesundheit war schließlich so angeschlagen, dass er das Studium unterbrach. 1877 hörte noch auf dem Rheinischen Musikfest Guiseppe Verdis Requiem. Wenig später verließ er die Domstadt Richtung München. Zwischenzeitlich arbeitete er auch beim verehrten Richard Wagner, dem er bei der Uraufführung des Parsifal assistierte. 1883 kam er nach Köln zurück und arbeitete beim Kölner Stadttheater als Kapellmeister. Wirklichen Erfolg hatte er nicht.
In seinem künstlerischen Selbstbewusstsein erschüttert lebte Engelbert Humperdinck in Frankfurt am Main, als sich seine Schwester Adelheid bei ihm meldete. Schon vorher hatte sie ihren Bruder zuweilen gebeten, von ihr getextete Lieder zu vertonen, damit ihre Kinder sie im Familienkreis aufführen könnten. Nun bat sie wieder um Musik für vier Kinderlieder des Märchenspiels, an dem sie saß: Hänsel und Gretel. Aufgeführt werden sollte es am 16. Mai 1890 daheim in Köln zum Geburtstag ihres Mannes, dem Arzt Hermann Wette, mit dem Engelbert Humperdinck sehr gut befreundet war und der seine Praxis in der Christophstraße 52 hatte. „Hilf, hilf schnell“, schrieb Adelheid, „und mach mir etwas recht Hübsches, Volkstümliches! Es ist dies mein wohlgelungenstes Werkchen und so recht mein Lieblingskindchen.“
Gemeinsame Arbeit mit seiner Schwester
Der Wunsch der Schwester war Engelbert Befehl. Und schon kurz später kam der Antwortbrief: „Fast mit wendender Post sende ich Dir die gewünschte Musik und hoffe, dass sie Dir ebenso gefällt, wie mir deine Verse.“ Uraufführung feierte das kleine „Kinderstubenweihfestspiel“, wie es Humperdinck nannte, in der Wohnung der Familie Wette in der Gereonsmühlengasse 20. Das später zum Volkslied gewordene „Brüderchen, komm tanz mit mir“ wurde hier erstmals vor Publikum gesungen. Eigentlich war das Projekt keine große Sache. Die Resonanz war aber so groß, dass die Geschwister weiterzuschreiben beschlossen. Weil auch Vater Gustav, Engelberts Verlobte Hedwig sowie deren Schwester rege Anteil am Werk nahmen, nannte der Komponist die sich langsam entwickelnde Oper auch „das Familienübel“. Immer wieder gab es Zwischenaufführungen in der Gereonsmühlengasse.
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Eine Singspielfassung schenkte Humperdinck seiner späteren Ehefrau Hedwig anlässlich ihrer Verlobung 1890. Ein Jahr später lag das zur abendfüllenden Oper gewachsene Werk für sie auf dem Gabentisch mit der Widmung „Weihnachten 1891, am Ersten Jahrestag unserer Verlobung“. Außerdem versprach Humperdinck, dass mit der nun anstehenden Orchestrierung die Eheschließung einhergehen sollte. Dass die Oper ein großer Erfolg werden würde, glaubte Humperdinck nicht. Dann aber bekam Richard Strauss die Partitur in die Hände. Er war begeistert. „Wahrlich, es ist ein Meisterwerk erster Güte, zu dessen glücklicher Vollendung ich Dir meine innigsten Glückwünsche und meine vollste Bewunderung zu Füßen lege“, schrieb Strauss dem Komponisten. „Das ist wieder seit langer Zeit etwas, was mir imponiert hat.“ Unter Strauss als Dirigent erfolgte dann auch die offizielle Uraufführung am 23. Dezember 1893 in Weimar.
Über Nacht war Engelbert Humperdinck, der zuvor jeden Groschen hatte umdrehen müssen, berühmt und wohlhabend. So groß war der Erfolg, dass es nicht verwundert, dass er ihn mit keinem anderen seiner Werke wiederholen konnte.
Engelbert Humperdinck starb am 27. September 1921 in Neustrelitz. Sein Hänsel und Gretel gehört immer noch zu den meistgespielten Opern der Welt und führte schon Generationen von Kindern in die Welt der klassischen Musik ein – besonders zur Advents- und Weihnachtszeit.
Anselm Weyer ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigt sich vielfältig mit Kölner Stadtgeschichte.