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Security-Einsätze an KarnevalProbleme der Kölner Sicherheitsbranche - „Personalsuche in der Shisha-Bar“

Lesezeit 5 Minuten
Drei Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen und ein Polizist auf der Zülpicher Straße.

Viel Sicherheitspersonal ist an den Karnevalstagen in Köln notwendig, hier auf der Zülpicher Straße an Weiberfastnacht 2023.

Ein Branchen-Experte berichtet über lange Arbeitszeiten, harte Prüfungen und Bestechungen. Die Vorwürfe des Rechnungsprüfungsamts seien nachvollziehbar.

Sicherheitskräfte ohne Zuverlässigkeitsprüfung, Dienstleister, die Tariflöhne nicht zahlen und gegen Arbeitszeitgesetze verstoßen – der 57-seitige Bericht des Rechnungsprüfungsamts zum Straßenkarneval zwischen 2018 und 2023 setzt vor allem das Ordnungsamt sowie Ordnungsdezernentin Andrea Blome unter Druck. Doch die Vorwürfe treffen auch das Sicherheitsgewerbe. Überraschend sei davon nichts, sagt ein Insider. Seit über 25 Jahren arbeitet er in der Sicherheitsbranche, führt seit zehn Jahren sein eigenes Sicherheits-Unternehmen und arbeitet regelmäßig auch im Umfeld des Karnevals im Kwartier Latäng.

Es fehlt an qualifiziertem Personal

Wie viele andere Branchen leiden die Unternehmen der Sicherheitsbranche unter Fachkräftemangel. Mit dem oftmals geringen Lohn und unüblichen Arbeitszeiten gibt es nur wenige Argumente für einen Job im Security-Bereich. „Früher haben wir den Leuten gesagt, wann sie arbeiten müssen. Heute müssen wir uns mehr nach den Bedürfnissen der Arbeitnehmer richten“, erklärt der Experte. Während der Corona-Zeit wurden viele Sicherheitskräfte nicht mehr benötigt. Vor allem im Event-Bereich. Viele schulten um, suchten sich andere Aufgaben. Zurück kamen die Wenigsten. Mit Blick auf die Karnevalstage sagt der Experte: „Die Stadt übersieht oder unterschätzt die Probleme der Branche.“

Viel Stoff und unterschätzte Prüfungen

Wer gewerbsmäßig Leben oder Eigentum fremder Personen bewachen will, muss die sogenannte Sachkundeprüfung 34a bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) bestehen. Die Liste der Inhalte ist lang: Sicherheits- und Ordnungsrecht, Gewerbeordnung, Datenschutz, bürgerliches Gesetzbuch, Straf- und Verfahrensrecht, Umgang mit Verteidigungswaffen, Psychologie oder Deeskalationstechniken. „Ohne intensives Lernen geht das nicht“, weiß der Sicherheits-Experte. Vielen fehlten aber die Motivation oder gar die Deutschkenntnisse, nicht selten würden die Multiple-Choice-Fragen auf die leichte Schulter genommen. Spätestens im mündlichen Teil sei für viele Schluss. Die Folge sind Durchfallquoten zwischen 50 und 70 Prozent.

Eine Alternative ist die sogenannte Unterrichtung, eine 40-stündige Schulung bei der IHK für rund 400 Euro. Doch selbst wenn sich Ordnungsamt oder die beauftragten Unternehmen für die Karnevalstage noch kurzfristig um Personal kümmern wollten – es ginge nicht. Es fehlt schlicht an buchbaren Unterrichtungsterminen. Und: „Diejenigen, die nur die Unterrichtung besucht haben, dürfen in der Theorie nirgendwo stehen, wo sie ja und nein sagen müssen.“ Das gelte auch für die als Ordner eingesetzten Kräfte ohne Prüfung und ohne Unterrichtung.

Das Bewacherregister

Angenommen, es gebe genügend Personal und genügend Prüfungstermine: am Ziel sind Anwärter auch nach bestandener Prüfung noch nicht. Denn für einen Einsatz fehlt noch die sogenannte Bewacher-ID im Bewacherregister. Das wurde 2019 eingeführt, um Ordnungsämtern und Polizei Kontrollen zu vereinfachen. „Das ist eine gesetzliche Vorgabe, die abseits der großen Auftragnehmer in den seltensten Fällen eingehalten wird.“ Die Anmeldung sei ein komplexer Prozess und kostet den Unternehmer 70 Euro. Nach der Anmeldung könne es vier bis acht Wochen dauern, bis die Bewacher-ID da ist. Auch das macht es unmöglich, kurzfristig Personal für Großaufträge zu rekrutieren. Am Elften Elften 2021 hatte das Ordnungsamt die Bewacher-Genehmigungen nur stichprobenartig überprüft und nicht dokumentiert. Beim Straßenkarneval 2023 erfolgte die Prüfung nachträglich. Der Prüfbericht kritisierte beide Vorgehensweisen.

Das Geschäft mit den Subunternehmen

„Wer einen Auftrag in einer Größenordnung wie an Karneval annimmt, weiß von Anfang an, dass er die Anforderungen nicht erfüllen kann, sagt der Branchen-Insider.“ Das führt dazu, dass ein Auftragnehmer Subunternehmer beauftragt, die wiederum Subunternehmen anheuern. 27 Subunternehmen in vier Ebenen waren etwa am Elften Elften 2021 im Einsatz. Je mehr Subunternehmer-Ebenen es gebe, desto schwerer sei die Kontrolle. Erst recht, wenn viele Mitarbeiter erst kurzfristig nachgemeldet werden. „Ich habe an Karneval mit Ordnern geredet. Bei den Sub-Sub-Subunternehmen arbeiten die Einsatzkräfte für weniger als zehn Euro, manche bekommen ihr Geld erst Wochen später und von einer Wächter-ID haben da viele noch nie von gehört.“

Personalsuche in der Shisha-Bar

„In Fällen, in den jeder Mann und jede Frau gebraucht wird, werden auch schon mal Bekannte in der Kneipe oder der Shisha-Bar rekrutiert, um sich für zehn Euro die Stunde irgendwo als Ordner hinzustellen“, erklärt der Experte. Viele wüssten nicht, auf was für einen Job sie sich da einlassen. Qualifikation, Bewacher-ID, Sozialversicherung oder Krankenkasse spielten dann schon mal eine untergeordnete Rolle.

Hohe Ausfallquoten

Bis zu 65 Prozent der gemeldeten Einsatzkräfte erschienen an den Karnevalstagen nicht zum Dienst. „Auch das ist normal. Das muss man in der Branche einkalkulieren.“ An Karneval sei das Problem möglicherweise noch größer, weil viele keine Lust hätten, im Umfeld von teils stark alkoholisierten oder aggressivem Publikum zu arbeiten.

Bestechungen an der Tagesordnung

Bestechungsversuche seien nicht nur an den Karnevalstagen an der Tagesordnung. Auch an den Türen von diversen Clubs, in denen der Firmen-Chef bereits für Sicherheit sorgte. „Das kommt sowohl bei den qualifizierten Einsatzkräften vor als auch bei denen, die zum ersten Mal so einen Job übernehmen.“

Lange Arbeitszeiten ohne Kontrolle

Am Elften Elften 2021 haben laut Prüfbericht nur rund vier Prozent des eigesetzten Sicherheitspersonals weniger als zehn Stunden gearbeitet, der Großteil arbeitete mehr als zwölf Stunden, teilweise sogar 20 Stunden. „Völlig klar“, sagt der Insider mit Blick auf den Personalmangel. Genauso verständlich sei es, dass kein Mitarbeiter 15 oder 16 Stunden konzentriert seine Aufgabe erfüllen könne. „Mich würde es nicht wundern, wenn manche sich zwischendurch selbst eine Pause angeordnet haben.“ Auch die Sicherheitsfirmen würden im Getümmel die Kontrolle über ihr Personal verlieren.

Lösung des Problems fast unmöglich

Die Situation am Elften Elften in den Griff zu kriegen, sei für die Stadt nahezu unmöglich, glaubt der Experte. Weil am kommenden Elften Elften, ein Samstag, noch mehr Menschen als sonst erwartet werden, lautet die Einschätzung des Experten: „Es wird noch mehr Personal benötigt. Und weil es kein qualifiziertes Personal gibt, wird noch mehr unqualifiziertes zum Einsatz kommen.“ Eine Option sei es, dem Dienstleister bei Gesetzesverstößen Strafen in Form von Rechnungsabzügen anzudrohen.

Langfristig müsse sich die Stadt eine der großen Sicherheitsfirmen ins Boot holen. Die hätten genug qualifiziertes Personal. Das aber koste viel Geld. Der Experte weiß: „Sicherheit hat einen Preis, den eigentlich niemand bereit ist zu zahlen.“