Die Stadt errichtet vor dem Elften Elften im Univiertel kilometerweise Absperrungen. Anwohner klagen über fehlenden Platz, Lärm und „Waffen aus Metall“.
Karneval in KölnAnwohnende der Zülpicher Straße berichten vom „Leben im Sperrgebiet“
Die ersten Lkws rückten fast drei Wochen vor dem Stichtag an. Gabelstapler luden tonnenweise Material aus und errichteten Türme aus Absperrgittern und Zäunen. Wenige Tage danach säumten mobile Lichtmasten, später auch Toilettenanlagen die Fußgängerwege, die auf ein Minimum schrumpften. Derzeit ist die Uniwiese dran, die mit Bodenplatten vor dem Ansturm der Feiernden geschützt werden soll. „Der Vorlauf war wieder etwas länger als im vergangenen Jahr“, sagt Andreas Gebauer.
Gebauer wohnt seit 18 Jahren im Haus an der Ecke Zülpicher Straße/Zülpicher Wall, also genau im Abschnitt zwischen Unimensa und der Unterführung des Bahnhof Süd. Damit ist er mittendrin in den Aufbauarbeiten für den karnevalistischen Sessionsstart, zu dem die Stadt erneut zehntausende zumeist junge Feiernde im Studentenviertel erwartet. „Die Straße wird jedes Mal zu einer riesigen Baustelle, die aber nicht abgesperrt ist. Für uns Anwohner ist das eine extreme Belastung.“
Konkret berichtet Gebauer von Parkplätzen, die wegfallen, von Kindern, die Angst hätten, alleine das Haus zu verlassen, und vom Lärm der Gabelstapler, teilweise bis spät in die Nacht. Auch Gebauers Hund Falko gefalle der Betrieb auf seine Gassi-Runde so gar nicht. Ein großer Kritikpunkt an den Aufbauarbeiten: In den Metallkonstruktionen, in denen die Zäune gestapelt werden, befinden sich lose Arbeitsmaterialien. In eine Vorrichtung auf Bodenhöhe stehen dutzende unterarm-lange Metallstäbe mit spitzem Ende bereit. Dazu sind auch auf Kopfhöhe deutlich längere Stäbe platziert. „Das sind Waffen, die sich jeder einfach herausnehmen kann“, sagt Gebauer. „Und das mitten in einer Waffenverbotszone.“ Erst am vergangenen Wochenende hätten Unbekannte ein Fenster auf der Zülpicher Straße eingeschlagen. Beweise gibt es nicht, doch für einige Anwohner liegt der Verdacht nahe, dass die Metallteile etwas mit dem Vorfall zu tun hatten.
Alles zum Thema Zülpicher Straße (Köln)
- Karneval in Köln Junge Menschen erzählen, wie sie gerne feiern würden
- Zum Kölner Karneval Mehr Mut, neue Wege zu gehen – bevor jemand ernsthaft zu Schaden kommt
- Karneval in Köln Trüb, voll und bunt - So lief der Sessionsauftakt im Zülpicher Viertel
- Service-Liveticker Polizei meldet ruhige Lage zum Elften im Elften in Köln
- Feierzonen, Sperrungen, Wetter Alle Infos zum Sessionsauftakt des Kölner Karnevals
- Karneval Zülpicher Straße Stadt und Polizei rücken Jugendschutz in Fokus - „So etwas gilt es zu vermeiden“
- Karneval auf Zülpicher Straße Geschäftsleute bekommen keine Entschädigung für Ausfälle an Karneval
Karneval auf der Zülpicher Straße: Andreas Gebauer kämpft seit 2019 für seine Straße
Andreas Gebauer, heute Rentner, kämpft seit 2019 für die Situation vor seiner Haustür. Anlass war damals eine Schlägerei am Mäuerchen nahe der Unimensa. Seitdem hat er unzählige Briefe und Mails verfasst: an Vertreter der Verwaltung, der Politik, der Polizei und sogar an NRW-Ministerien. Die Themen sind vielfältig und reichen von den Drogendealern und Cannabis-Geruch über Party-Lärm bis zu den Gefahren der Bahnschienen auf der Straße für Fahrräder. Und dann ist da natürlich der Karneval.
Als Gebauer vor 18 Jahren in seine jetzige Wohnung zog, war die Situation mit der heutigen kaum zu vergleichen. „In vielen Jahren war es zwar auch voll auf der Zülpicher Straße. Aber man konnte bequem überall durch.“ Irgendwann seien die Menschenmengen immer mehr geworden, nach der Pandemie sei die Situation schließlich „komplett explodiert“. Der generelle gesellschaftliche Trend des Draußen-Feierns setzte sich auch nach der Corona-Zeit fort – vor allem bei jungen Menschen. Weil der Andrang auf die Zülpicher Straße zu groß wurde, führte die Stadt die Ausweichfläche auf der Uniwiese ein, die am Elften Elften 2023 ebenfalls an ihre Kapazitäts-Grenzen kam.
Elfter Elfter in Köln: „So laut, dass das ganze Haus aufrecht im Bett sitzt“
Zu den Belastungen des Auf- und Abbaus kommt schließlich der Elfte Elfte selbst, im Straßenkarneval wird sich die Party auf mehrere Tage ausweiten. Jedes Jahr beklagen Anwohnende große Mengen Müll sowie Kot, Urin und Erbrochenes in Vorgärten oder Treppenhäusern. „Das Schlimmste für mich sind die Leerungen der Toiletten mitten in der Nacht“, erklärt ein Anwohner, der anonym bleiben möchte. „Das ist so laut, dass das ganze Haus aufrecht im Bett sitzt. Wenn das drei Tage hintereinander der Fall ist, dann ist mein Berufsleben durch den fehlenden Schlaf eindeutig belastet.“
Je mehr Menschen die Stadt erwartete, desto größer wurde der Aufwand für das Sicherheitskonzept. Und jedes Jahr seien die Einschränkungen für die Anwohner größer geworden. „Immer mehr Absperrungen und immer mehr Sicherheitspersonal können nicht die Lösung sein. Es wird einfach nichts unternommen, was nachhaltig ist“, kritisiert Gebauer.
Gebauer ist Teil der aktuell stillgelegten Arbeitsgruppe Zülpicher Straße. Die entstand 2021, nachdem ein 17-Jähriger einen 18-Jährigen mit einem Messerstich auf Brusthöhe tötete. Über die Arbeitsgruppe entstand auch der Kontakt zu Stadtdirektorin Andrea Blome. Gäbe es konkrete Anliegen, hätte er gemeinsam mit seinem Mitstreiter aus dem gleichen Haus schon häufiger persönlich im Rathaus vorsprechen dürfen. Auch mit dem Ordnungsamt habe Gebauer gute Gespräche geführt.
Alternativen für die Uniwiese: Anwohner fordern mehr Aktivität der Politik
Mehr Aktivität beim Thema Karneval im Kwartier Latäng fordert er vor allem von der Politik „Das Problem der Politik ist die Mentalität, alles auszusitzen.“ Im Stadtrat sei man sich weitestgehend einig, dass die Situation auf der Uniwiese keine Dauerlösung ist. „Und trotzdem fehlt die Bereitschaft, an einem langfristigen Plan zu arbeiten.“
Auch wenn es nicht die Aufgabe der Anwohner ist, Lösungen für die Entwicklungen zu finden - Ideen haben sie trotzdem. Das Lösungswort laute „Dezentralisierung“, sagt Gebauer, der mit seiner Vorstellung nicht alleine dasteht. Auch andere Anwohner, Gastronomen oder Vertreter der Karnevals- und Kreativszene sprechen sich seit Jahren für alternative Angebote aus: eine oder mehrere attraktive Anlaufstellen in unmittelbarer Nähe, um die Massen auseinanderzuziehen. Ideen dafür kommen immer wieder auf den Tisch, verlaufen sich meist aber im Nichts. Eine Ausnahme war die Bühne auf dem Hohenstaufenring an Weiberfastnacht. Auch wegen des schlechten Wetters hielt sich der Andrang in Grenzen. Durchaus denkbar, dass es einen erneuten Versuch geben wird.
Gebauer wäre für eine weiter entfernte Fläche, etwa die Poller Wiese. „Die Stadt findet aber immer Gründe dafür, warum irgendetwas nicht geht. Wenn man es will, kann man vieles machen. Man muss nur mal anfangen. Selbst, wenn es dann ein paar Jahre dauern würde, bis sich ein neues Angebot etabliert.“
In der Diskussion rund um die karnevalistischen Auswüchse im Kwartier Latäng begegnet Gebauer an irgendeinem Punkt die immer wiederkehrende Frage. „Wenn dich hier so vieles stört, warum ziehst du nicht einfach weg?“ Diese Frage sei „absurd“, sagt Gebauer. „Warum sollen wir uns vertreiben lassen? Wir leben hier gerne, haben schöne Wohnungen oder sogar Eigentum.“ Und doch gibt es viele Nachbarn, die der Belastung nicht standhielten und wegzogen. „Manche haben sich an den Karnevalstagen nicht mehr allein aus der Wohnung herausgetraut.“ Der Kampf koste Kraft und sei manchmal auch frustrierend. Aufgeben ist für Andreas Gebauer allerdings keine Option.