Interview mit VizeKölns Festkomitee rechnet mit Millionenverlust durch Corona
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Wie überstehen Vereine die zweite Corona-Session? Und welche Alternativen gibt es zu Sitzungen?
Thorsten Moeck sprach mit Festkomitee-Vizepräsident Dr. Joachim Wüst.
Waren Sie als Ehrenamtler jemals so stark als Finanzberater gefragt wie in diesen Wochen?
Nein, das ist seit Dezember eine Dauerbeschäftigung. Heute nennt man das 24/7. Aber geschlafen habe ich zwischendurch schon. Nicht nur der Arbeitsaufwand ist außergewöhnlich, sondern ich beschäftige mich dadurch ständig mit unschönen Dingen, nämlich dem Verzicht auf Karnevalssitzungen und den Folgen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.
Immerhin für den Karneval gibt es Fördertöpfe, der Verzicht auf die Sitzungen wird vom Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen aufgefangen. Zu 90 Prozent. Glück gehabt?
Großen Gesellschaften tut diese Deckungslücke nicht so weh, kleinen aber schon. Wenn Sie ein vernünftiges Programm auf die Beine stellen, kostet das rund 30 000 Euro plus Saalmiete. Zehn Prozent davon tun weh. Wichtig war mir deshalb, dass eine Fälligkeitsvereinbarung getroffen wird. Heißt: Saalbetreiber und Künstler werden erst bezahlt, wenn die Vereine das Geld aus dem Kulturfonds erhalten haben. Die Künstler waren alle einverstanden, denn sonst müssten kleine Vereine Insolvenz beantragen.
Der Kultur-Sonderfonds
Dr. Joachim Wüst ist Steuerberater und Rechtsanwalt, im Ehrenamt ist er Präsident des Vereins „Die Grosse Kölner“ und Vize-Präsident sowie Justiziar des Festkomitee Kölner Karneval. Wüst ist zudem Programmgestalter für die Veranstaltungen des Festkomitees, also für Proklamation, Fernseh- und Hörfunksitzungen. Seit Jahren übernimmt er zudem die Moderation der ARD-Fernsehsitzung, die Rosenmontag ausgestrahlt wird.
Der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen umfasst ein Volumen von 2,5 Milliarden Euro. Noch bis zum 31. Januar können Vereine auf einer eigenen Internetseite ihre Veranstaltungen registrieren, um dann später eine Entschädigung für entstandene Kosten beantragen zu können. In Gesprächen mit der Staatskanzlei hatten sich Vertreter der karnevalistischen Dachverbände für die freiwillige Absage ihrer Sitzungen entschieden, um anschließend Fördergelder beantragen zu können. Denn nur so können auch Künstlerinnen und Künstler vom Sitzungsverzicht profitieren.
Die generelle Absage des Sitzungskarnevals – so wie voriges Jahr – hätte die Auflösung aller vereinbarten Verträge zur Folge gehabt. Die Kulturbranche wäre damit erneut leer ausgegangen.
Aus Köln sind nach Angaben des Landes bereits 360 Registrierungen für Zuschüsse aus dem Sonderfonds eingegangen. Abgedeckt werden Veranstaltungen mit bis zu 2000 Besuchern. Der Fonds gilt nicht unbedingt für Karnevalspartys, der kulturelle Teil muss überwiegen. Partys und Bälle sind ohnehin derzeit laut Corona-Schutzverordnung nicht erlaubt. Einige Vereine hoffen, im Februar kleine Formate anbieten zu können. (tho)
Vorab gab es mal die Überlegung, dass die Künstler nur so viel Geld verlangen, wie die Vereine auch vom Staat bekommen. Aber ein Verzicht auf zehn Prozent der Gage funktioniert rechtlich nicht.
Genau, denn wenn ich eine Rechnung einreiche und dann hintenrum eine andere Vereinbarung treffe, ist das Subventionsbetrug. Davon kann ich nur abraten.
Jetzt gibt es die Überlegung, dass die Künstler dann in den kommenden Jahren weniger Gage nehmen.
Das ist überall im Leben so. Und in Köln ganz besonders. Die Künstler werden die ehrenamtlich arbeitenden Gesellschaften bestimmt nicht im Regen stehen lassen.
Aber das Vereinsleben leidet trotzdem. Seit zwei Jahren.
Richtig, denn es geht den Vereinen bei der Ausrichtung einer Sitzung nicht darum, am Ende eine schwarze Null stehen zu haben. Ziel ist ja – außer Spaß zu haben – einen Ertrag zu erwirtschaften und diesen für den Rosenmontagszug, die Jugendtanzgruppe, soziale Zwecke oder das sonstige Vereinsleben einzusetzen. Dieser Ausfall ist die viel schlimmere Folge. Soziale Projekte leiden. Das trifft die Vereine härter als die zehn Prozent nicht gedeckter Kosten.
Sie sind Präsident der Großen Kölner, des mitgliederstärksten Vereins im Kölner Karneval. Wie hat sich die Pandemie auf Ihren Verein ausgewirkt?
Nach der Session veranstalten wir normalerweise einen Rückblick namens „Dat wor et“, der ist voriges Jahr natürlich ausgefallen. Die „Kölner Lichter“ konnten wir nicht besuchen, außerdem gibt es sonst viele sportliche Aktivitäten für unsere jüngeren Mitglieder, wie etwa Drachenbootrennen, Fußballturniere, Beachvolleyball, Köln-Marathon – alles ausgefallen. Im Herbst konnten wir dann wieder mit unserem kölschen Abend starten und den Elften im Elften feiern. Nach der Nikolausfeier des Senats war dann wieder alles vorbei.
Die Mitgliedsbeiträge werden trotzdem abgebucht.
Deshalb versuchen wir unsere Mitglieder bei der Stange zu halten, diese Session werden wir wieder ein karnevalistischen Care-Paket verschicken, in dem Damen- und Herrenorden enthalten sind, außerdem das Liederheft. Wir haben die Orden frühzeitig bestellt und könnten damit jetzt die Straßen pflastern. Unsere acht Sitzungen haben wir abgesagt, aber unseren Redner-Herrenabend wollen wir durchführen. Da wird nicht gesungen und nicht geschunkelt. Dafür ziehen wir in den großen Saal des Gürzenich. Und wir planen eine Online-Sitzung, die wir auch im Gürzenich aufnehmen möchten. Kamerateam und Videotechnik kosten aber auch locker 10 000 Euro. Aber wir wollen den Mitgliedern wenigstens etwas bieten.
Sie sind beim Festkomitee verantwortlich für das Programm von Proklamation und Fernsehsitzungen. Wie oft mussten Sie die Planungen umschmeißen?
Für die ZDF-Mädchensitzung gab es beispielsweise Plan A und Plan B. Im Sartory-Saal ohne Publikum. Oder im Tanzbrunnen mit Publikum. Die Redner wollten unbedingt vor Publikum auftreten, und für uns war das natürlich auch die favorisierte Lösung. Aber wir mussten bis zur letzten Sekunde abwarten, denn die aktuelle Corona-Schutzverordnung ist vorige Woche Montag rausgekommen. Nun findet die Sitzung draußen statt. Und im Tanzbrunnen muss ja erstmal ein Bühnenbild hin.
Sie mussten voriges Jahr für das Festkomitee nach der ersten Pandemiesession einen hohen sechsstelligen Verlust verkünden. Welche Folgen wird diese Session haben?
Der Verlust wird dieses Jahr noch höher ausfallen, vielleicht sogar siebenstellig. Die Einnahmen fallen alle weg, die wir sonst beispielsweise durch den Rosenmontagszug generieren. Wir bauen aber trotzdem dieses Jahr 24 Persiflagewagen, die wir bezahlen müssen – egal, ob wir die Wagen nun im Stadion bei einem Rosenmontagsfest zeigen oder ob wir sie auf den Plätzen der Stadt ausstellen.
Sie wollten ursprünglich Rücklagen für das Jubiläumsjahr 2023 bilden. Was nun?
Wir haben früh genug begonnen, Geld beiseite zu legen. Nach zwei Pandemiejahren und dem Jubiläum wird die Kasse sicherlich nicht so gefüllt sein, wie wir uns das mal erhofft hatten. Der Karneval soll sich ja auch nach 2023 weiter entwickeln.