Abgesagt und abgebaut: Das zweite Jahr in Folge findet die Stunksitzung nicht statt.
Nur standen dieses Mal schon das Programm und das Bühnenbild
Köln – R2-D2 liegt wie ein Käfer auf dem Rücken. Eigentlich sollte der Roboter im aktuellen Programm ein Gendersternchen verpasst bekommen – und darüber heiß laufen. Nun muss er raus, wie der gesamte Bühnenaufbau. Über die Absage der Stunksitzung sprach Ingo Schmitz mit Mitgliedern des Ensembles.
Verzicht auf Sitzungskarneval: So haben es Festkomitee und Landesregierung am 14. Dezember miteinander ausgemacht. Wie erreichte diese Entscheidung das Ensemble?
Biggi Wanninger: Wir hatten schon zwei Hauptproben gemacht, und einen Tag vor der Generalprobe gab es die für uns alle total überraschende Nachricht. Das war für uns erschreckend. Wir hatten sehr viel gearbeitet, wir hatten Spaß und haben uns gefreut: Wie schön, dass wir als Künstlerinnen und Künstler wieder auf die Bühne können. Und dann das. Ist doch klar, dass dann das Herz blutet – und zwar ziemlich heftig.
Stunk im Fernsehen: Einige Nummern, die nicht ins nächste Programm gerettet werden können, sind im WDR zu sehen. Geplant ist für Samstag, 5. Februar, von 21.45 bis 23.15 Uhr „Mitternachtsspitzen Extra“. Dazu ist für Donnerstag, 24. Februar (Weiberfastnacht) von 22.15 bis 23.45 Uhr, die Sendung „Die ausgefallenste Stunksitzung 2022“ geplant.
1983 ist die Stunksitzung gegründet worden. Mutter und Vater des Formats war eine Studentengruppe der Fachhochschule Köln und der Kölner Spielecircus. Am 26. Februar 1984 fand die erste Sitzung in der Alten Mensa der Universität Köln statt. Seit 1991 ist das E-Werk in Mülheim Heimat der Sitzung.
Zum Gründungsensemble gehört Didi Jünemann. Biggi Wanninger ist seit 1999 Präsidentin der Sitzung. Winni Rau ist Mitglied der Hausband „Köbes Underground“, die im Jahr 1988 ins Leben gerufen wurde.
Kam es denn wirklich so überraschend?
Winni Rau: Naja, das war eine fatale Entwicklung. Wir haben uns das erste Mal gegen Ende des Sommers getroffen. Zum Ideen sammeln. Da war die Inzidenz noch niedrig. Klar haben wir uns gefragt, wie wird es im Winter aussehen. Weil wir uns nicht ganz sicher waren, wurde beschlossen, den Kartenvorverkauf nicht wie sonst im September, sondern erst im November zu starten. Wir hatten Notfallpläne: Wer kann wen ersetzen, wenn es Quarantänefälle gibt. Dann haben wir den ganzen September und November über die Lage beobachtet: Was sagt die Politik, wie entwickelt sich das?
Zu der Zeit gab es noch Stimmen, die sagten, im Frühjahr ist die Pandemie vorbei.
Winni Rau: Und wir sind voll in diese Falle gelaufen. Darum machen wir den Politikern auch den Vorwurf, dass sie zu dieser Zeit vor allem den Wahlkampf im Blick hatten. Geimpfte werden ohne Einschränkungen leben, hieß es. Es gab die FDP, die den „Freedom-Day“ propagierte. Bis Mitte November war die Reduzierung von Zuschauerzahlen bei Veranstaltung überhaupt kein Thema. Die Warnungen der Virologen wurden in den Wind geschlagen.
Wann kam denn die erste Ahnung auf, dass es doch wieder eng werden könnte für die Stunksitzung?
Didi Jünemann: Bei mir hat sich das bis zu dem Termin der Absage eigentlich nicht eingestellt.
Biggi Wanninger: Ich hatte mit der Zeit schon damit gerechnet, dass wir wieder nicht spielen können. Was mich dabei aber am meisten ärgerte, war, dass die Politiker ihrer Verantwortung nicht nachkamen. Nie wurde mal klar gesagt, was ab wann gilt. Stattdessen hieß es immer nur: Eigenverantwortung.
Winni Rau: Dazu muss man sagen, wir hätten spielen dürfen. Das Festkomitee und Ministerpräsident Wüst haben nur die Empfehlung geben, auf die Sitzungen zu verzichten. Aber daraus wurde dann direkt die Nachricht: Sitzungskarneval abgesagt. Tags drauf hatten wir schon unzählige Anfragen per Mail, wie man denn nun das Geld für die Karten zurück bekommen könne. Da stand für uns fest, eine Premiere – selbst mit der da noch zugelassen Zahl von Zuschauern – kann nicht stattfinden.
Wie hätte das auch funktionieren sollen: Wen lässt man rein und wen nicht?
Winni Rau: Wir hätten alle 50 000 verkauften Karten wieder zurückgeben und in reduzierter Menge innerhalb von fünf Tagen wieder verkaufen müssen. Ein organisatorischer Wahnsinn. Und selbst dafür hätten wir keine Planungssicherheit gehabt.
Biggi Wanninger: Darum haben wir im Ensemble auch einstimmig entschieden, wir sagen das ab.
War die zweite Absage in Folge schmerzlicher als die erste?
Didi Jünemann: Im letzten Jahr war recht schnell sehr klar, dass wir gar nicht erst anfangen brauchen. Jetzt hatten wir das komplette Programm fertig. Es haben zwei sehr schöne Hauptproben vor 300 Zuschauern stattgefunden, bei denen wir erleben durften, wie den Leuten das Herz aufgeht, wie die Gänsehaut bekommen. Die hatten sich alle so gefreut, dass es wieder los geht. Umso so mehr war es der absolute Hammer, als alles abgesagt werden musste.
Mit welchen Sorgen schaut das Ensemble nun auf die nächste Session?
Biggi Wanninger: Ich habe Sorge, dass sich Menschen von der Kultur entwöhnen. Was, wenn die kein Interesse mehr haben, zur Stunksitzung zu kommen? In meinem Bekanntenkreis gibt es einige, die sagen mittlerweile: Ich merke, ich muss nicht mehr überall hin.
Winni Rau: Es gibt auch noch die Sorge, dass es in ein paar Jahren an Künstlern fehlen wird. Wir hier haben uns vor rund 30 Jahren dafür entschieden, nicht ein festes Berufsverhältnis einzugehen. Wir haben gewagt, als Künstler zu leben. Aber diese Krise zeigt nun, ein solcher Weg ist höchst riskobelastet. Werden sich junge Leute darauf noch einlassen?
Didi Jünemann: Für mich war aber beruhigend zu sehen, wie die Leute trotz der bedrohlichen Lage wieder unsere Karten gekauft haben.
Winni Rau: Die Stunksitzung besitzt halt immer noch Kultstatus, sie stärkt das Wir-Gefühl. Das macht mir Mut.
Biggi Wanninger: Sie ist für viele lebensbegleitend. Viele kommen schon seit Jahrzehnten zu uns, über Generationen.
Aber was bedeutet die nunmehr zweite Absage für das Ensemble? Werde noch alle beim dritten Anlauf dabei sein?
Bibbi Wanninger: Einige von uns haben sich schon zusätzliche Jobs gesucht. Aus finanziellen Gründen. Aber auch, damit man nicht zuhause rumsitzt, sondern am Leben teilnimmt.
Winni Rau: Das hatte auch schon Auswirkungen auf die Probezeit. Früher hatte ab Oktober jeder für die Proben Zeit eingeplant. Jetzt gab es immer wieder mal die Situation, dass einer nicht konnte, weil er für die Familie Geld verdienen musste. Aber trotzdem: Der Zusammenhalt im Ensemble ist nach wie vor sehr groß. Wir haben oft nach einer Probe zusammengesessen und gesagt: Auch wenn alles schwierig und unsicher ist, das war wieder ein guter Tag. Wir waren kreativ, wie sind weiter gekommen, wir haben zusammen gearbeitet. War doch besser als letztes Jahr, wo wir alle zuhause gesessen haben.
Kann denn vom dem neuen Programm noch etwas in die kommende Session gerettet werden?
Winni Rau: Die Nummern mit aktuellen Bezug sicherlich nicht. Wie hatten was zu Merkel und Woelki – das wird dann nicht mehr gehen. Vielleicht die Hälfte oder zwei Drittel sind aber noch zu verwerten. Darum habe wir auch gesagt, wir werden das Programm jetzt nicht einfach im leeren Saal vor Kameras kalt runterspielen. Was aber ehrlich gesagt auch eine wirtschaftliche Entscheidung ist. Wir haben da schon so viel Geld reingesteckt, und bei der Unsicherheit mit Blick auf den kommenden Winter…
Wie sorgenvoll ist denn der Blick auf den kommenden Winter, wie groß die Angst vor einer dritten Absage?
Biggi Wanninger: Ich mache keine Prognose mehr. Ich versuche, so damit umzugehen, wie ich es in den vergangenen beiden Jahren lernen musste: entspannt bleiben. Ich kann an vielen Dingen nichts ändern. Also muss ich schauen, wie ich mit guter Laune durch diese Krise komme.