Am Campus Gummersbach entsteht eine Professur für „Geschlechtersensible Informatik und Ingenieurwissenschaften“. Der Dekan erklärt, wieso.
Dekan im InterviewNeue Professur für den TH-Campus in Gummersbach
Die TH Köln richtet am Campus Gummersbach eine neue Professur ein. Diese kümmert sich um „Geschlechtersensible Informatik und Ingenieurwissenschaften“. Über die Hintergründe sprach Torsten Sülzer mit dem Dekan der Fakultät für Informatik und Ingenieurwissenschaften, Prof. Dr. Christian Kohls.
Herr Prof. Kohls, wieso ist diese neue Professur wichtig?
Prof. Dr. Christian Kohls: Aus vielen Gründen. Ein Grund ist: Wir haben uns als Fakultät vorgenommen, dass wir das Thema Geschlechtersensibilität und Gleichberechtigung in unseren Fakultätsentwicklungsplan aufnehmen. Das ist wichtig, weil wir sowohl in der Informatik als auch in den Ingenieurwissenschaften immer noch viel mehr Männer als Frauen haben. Diesen Missstand wollen wir aufbrechen. Es ist langfristig das Ziel, den Frauenanteil am Campus Gummersbach auf 50 Prozent zu steigern. Damit setzt sich die Fakultät bewusst ein sehr ambitioniertes Ziel. Große Relevanz hat das Thema aber auch in der Produktentwicklung. Wenn überwiegend Männer entwickeln, dann sieht man das in der Produktgestaltung.
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Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein typisches Beispiel sind Crashtest-Dummies, mit denen Auswirkungen von Unfällen untersucht werden. Sie sind männlichen Körpern nachempfunden, das gilt dann in der Folge auch für die Sicherheitsmaßnahmen im Auto. Das heißt, Frauen haben schlechtere Chancen, wenn sie in einen Unfall verwickelt sind.
Gilt das auch in der Informatik?
Ja. In der Informatik sehen wir die große Herausforderung bei Künstlicher Intelligenz, dass die Maschinen gesellschaftliche Vorurteile lernen, wenn man nicht aufpasst. Deshalb soll auch die Produktgestaltung von Systemen gendersensibler sein. Gleichzeitig wollen wir aber auch, dass die Professur zu Geschlechtern in der Informatik und in den Ingenieurwissenschaften forscht, etwa zu Fragen wie: Wie können wir mehr Diversität erreichen? Wie hat sich das historisch entwickelt? In der Informatik war es ja mal so, dass wir mehr Frauen hatten, die Software entwickelt haben. Erst Ende der 1950er Jahre und mit zunehmender gesellschaftlicher Reputation der Disziplin wurde die Softwareentwicklung ein männlich konnotiertes Berufsfeld, flankiert von männlich stereotypen Berufsbeschreibungen wie analytisch, planerisch, mathematisch. Und der dritte Punkt ist: Uns ist bewusst, dass wir als Wissenschaft auch die Verantwortung haben, rechtzeitig diese Stereotypen abzubauen und etwa Material für Schulen zu entwickeln.
Welche Forschungsfragen sollen innerhalb dieser Professur beantwortet werden?
Wir wollen überlegen, wie man auch Teams dazu bringen kann, eine geschlechterneutrale Perspektive einzunehmen. Es ist wichtig, dass wir aus unseren Fachdisziplinen selbst heraus überlegen, wo wir Defizite in der Geschlechtergerechtigkeit haben und wo wir uns weiter entwickeln können. Ein wichtiger Punkt ist aber auch, wie Produkte anders entwickelt werden können, wie das in den Entwicklungsprozessen berücksichtigt wird. Oft ist einem gar nicht bewusst, wo Stereotype vermittelt werden. Auch die Wahrnehmung innerhalb der Fachdisziplinen muss erforscht werden.
Wie könnten also konkrete Fragen lauten?
Mit welchen Problemen sind Frauen beim Informatikstudium konfrontiert? Was haben sie später im Job für Probleme – bis hin zum sogenannten Pay-Gap, also unterschiedlichen Bezahlungen, weil implizit die Vermutung ist, dass ein Geschlecht bessere Leistungen erbringt als das andere. Und manchmal trifft das ja sogar zu, weil die Selbstwahrnehmung und was man sich selber zutraut, zu Studienbeginn geschlechterspezifisch unterschiedlich sein kann. Es gibt ja unterschiedliche Startbedingungen: Wenn Jungs schon in der Schule im Informatik-Leistungskurs waren, haben sie im Studium Startvorteile. Und das setzt sich fort.
Wer bestimmt denn letztlich den inhaltlichen Rahmen der neuen Professur?
Die inhaltliche Ausgestaltung wird bei der Professur liegen. Aber es gibt ein klares Auswahlverfahren, wie man eine Professur bekommt, da gibts die Berufungskommission, man muss sich also auf diese Professur bewerben, dann wird gewählt, wer geeignet ist. Und natürlich gibt es eine Ausschreibung, da legen wir fest, welche Erwartungen wir haben. Da gibt es einen sehr klaren Kriterienkatalog.
Ich frage das deshalb, weil man ja auf die Idee kommen könnte, ein Hardliner oder eine Hardlinerin könnte die neue Professur in erster Linie mit aktionistischem Impetus kapern.
Dass wir eine Anschlussfähigkeit brauchen, ist uns wohl bewusst. Es geht um Kritik und um Weiterentwicklung.
Gibt es innerhalb der TH oder am Campus Kritik an der Einrichtung dieser Professur?
Das Thema Gleichstellung steht in unserem Fakultätsentwicklungsplan, den wir gemeinsam entwickelt haben. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht auch schon die eine oder andere kritische Stimme gehört habe. Die Ressourcen, die wir langfristig für die Professur einsetzen, könnte man ja auch für andere Fachgebiete verwenden. Und die andere Frage ist: Wie stark ist die fachliche Ausrichtung der Professur? Deswegen ist es das Ziel, eine Person zu gewinnen, die sich sowohl mit Genderfragen auseinandersetzt als auch fachlich versteht, was Ingenieurwissenschaften und Informatik sind. Das Ziel ist nicht, dass wir nur noch über Genderfragen diskutieren. Das Fachliche soll im Vordergrund stehen. Ziel der Professur ist es, in der Informatik und den Ingenieurwissenschaften eine breitere Verankerung von Geschlechterperspektiven in Forschung und Lehre zu erreichen.
Kritiker mahnen, die Einführung des Aspekts Gendergerechtigkeit würde in der knappen Studienzeiten den fachlichen Aspekt verwässern. Sehen Sie diese Gefahr?
Diese Gefahr wird immer wieder genannt. Wir können es uns gar nicht leisten, die fachlichen Kompetenzen zu verwässern. Wir sind ja in Disziplinen unterwegs, in denen sich neues Wissen, das dazukommt, sehr rasant entwickelt, sodass wir in der Hochschule die Lernvoraussetzung schaffen müssen und die kritische reflektive Auseinandersetzung mit den Themen. Darauf zu achten, dass es nicht zulasten der Fachdisziplin geht, das ist die Aufgabe, die wir haben. In meinem Verständnis muss Gendersensibilität Teil der Fachdisziplin werden. Stellen Sie sich ein autonom fahrendes Auto vor, das weibliche und männliche Fußgänger unterschiedlich gut erkennt. Dies zu vermeiden, ist fachlicher Kern sowohl der Ingenieurwissenschaften und der Informatik. Es ist doch selbstverständlich, dass dies systematisch in der Entwicklung berücksichtigt werden muss.
Neue Professur und „Equal IT“
Die Professur für Geschlechtersensible Informatik und Ingenieurwissenschaften am Campus Gummersbach werde in Kürze ausgeschrieben und solle möglichst bis Ende des Jahres besetzt sein, sagt der Dekan, Prof. Dr. Christian Kohls. Gefördert wird die Professur über das Programm zur Förderung von Gender Denominationen für Professuren des NRW-Ministeriums für Kultur und Wissenschaft mit 500.000 Euro über drei Jahre. Danach wird die Professur verstetigt.
„Equal IT“ ist ein anderes Projekt der TH Köln: Es befasst sich ebenfalls konkret mit Frauenförderung. Es ist ein gemeinsames Projekt der Fakultät für Informatik und Ingenieurwissenschaften sowie der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln und des Innovation Hub Bergisches RheinLand. Das IT Forum Oberberg und der Oberbergische Kreis sind assoziierte Partner. Es wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Ziel: „Hinderliche Faktoren sowie nützliche Maßnahmen partizipativ erforschen, um den Anteil der Studentinnen in den Informatik-Studiengängen nachhaltig deutlich zu steigern und als Modellprojekt einen messbaren Beitrag für eine geschlechtergerechte und geschlechtersensible Informatik liefern.“ Dafür soll das Gespräch mit Studentinnen und Schülerinnen gesucht werden.