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Interview mit Bastian Campmann am 11.11.„Wir sind mitten im Sturm“

Lesezeit 6 Minuten
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Kasalla-Sänger Bastian Campmann am Reiterstandbild auf dem Heumarkt

  1. Der Heumarkt im Nieselregen, keine Jecken, kein Konfetti.
  2. Wir treffen uns mit Kasalla-Sänger Bastian Campmann „ungerm Stätz vum Pääd“, am Reiterstandbild.
  3. Mit dem Musiker sprach Jens Meifert über den ausgefallenen Sessionsauftakt.

Was ist es für ein Gefühl, am 11.11. aufzuwachen und kein einziger Auftritt steht an? Kein Trömmelche jeiht?Es ist merkwürdig. Zumal unsere geplanten Auftritte noch im Kalender stehen. Wir haben sie nicht gelöscht. Also wären wir heute zehn Mal auf der Bühne gewesen, überall in der Stadt, und nun ist alles leise. Ganz komisch. Da merkt man, wie laut die Stille sein kann. Natürlich wären wir auch hier auf dem Heumarkt aufgetreten.

Vor tausenden Jecken, nun ist der Platz leer. Wie wichtig ist der Elfte im Elften für Euch persönlich?

Es war immer der Startpunkt, aber nicht der hohe Feiertag. Das ist Weiberfastnacht. Aber auch der 11.11. zieht die Leute an, viele Touristen kommen, es ist alles größer geworden, natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt.

Seit „Pirate“ auf Erfolgskurs

Vor zehn Jahren haben Bastian Campmann und Gitarrist Flo Peil die ersten Songs zusammen geschrieben. „Wir müssten mal was zusammen machen“, hatten die beiden Hobby-Musiker auf einer nächtlichen WG-Party beschlossen. Aber mit kölschen Texten, das stand sofort fest. Es ist die Gründungsanekdote der Band.

2011 stand die Band „Kasalla“, zu der neben Campmann und Peil Sebi Wagner, „Ena“ Schwiers und Nils Plum gehören. Ein weiteres Jahr später erschien das erste Album „Et jitt Kasalla“. Es schlug sofort ein, die Auskopplung „Pirate“ wurde zum Megahit. Campmann (43) ist Sohn des 2007 verstorbenen Räuber-Gitarristen Norbert Campmann, eine Größe in der Karnevalsszene.

Inzwischen hat die Band vier Studioalben produziert, in den Sälen werden sie gefeiert („Alle Jläser huh“, „Stadt met K“, „Mer sin eins“). Im vergangenen Jahr waren sie mit der „Nit esu laut“-Tour in den Konzerthäusern unterwegs, unter anderem in der Philharmonie. In diesem Jahr hätten sie zum ersten Mal im Rheinenergie-Stadion spielen sollen. Das Konzert wurde auf 2021 verschoben. (mft)

Ich persönlich habe den Tag früher nicht gefeiert, höchstens, wenn er auf ein Wochenende fiel. Aber für die Karnevalisten ist es schon ein wichtiges Datum, es ist der Tag, an dem es losgeht.

Was macht das mit der Stadt, wenn das nun alles ausfällt, wenn vermutlich die ganze Session kaum zu feiern sein wird?

Für viele Menschen in der Stadt ist der Karneval Teil der DNA. Also fehlt etwas Großes. Der Tag wird den Menschen noch einmal bewusst machen, in welcher Situation wir uns befinden. Bei vielen Dingen ist es doch so: Man weiß davon, aber man realisiert es erst im Erleben. Ich glaube, das wird jetzt auch passieren. Es fehlt in diesem Jahr ein großer Teil der Kölner Kultur. Das wird sich durchziehen bis Aschermittwoch.

Ihr habt ein neues Lied gemacht, es heißt „Midden em Sturm“. Euer Song zur Zeit?

Es ist in der Corona-Krise entstanden, ja. Das hat uns schon extrem inspiriert, wir fühlen uns mitten im Sturm wie ganz viele Menschen auch in unserem privaten und beruflichen Umfeld. In der Veranstaltungsbranche und der Gastronomie bläst der Wind noch etwas heftiger. Aber letztlich ist jeder in irgendeiner Form von der Situation betroffen. Wir haben das Lied aber bewusst offen gehalten, jeder Mensch durchlebt auch seine eigenen Stürme.

Wo sind die Lichtblicke?

Die gibt es, die Frage ist, wie hell sie schon sind. Aber die Hoffnung hält einen am Leben, wir werden da eines Tages durchkommen. Und wir dürfen nicht alles Grau in Grau malen, erst recht nicht am 11.11. übrigens.

Tun wir das?

Mit fehlen schon die positiven Ansagen. Wenn ein Radiosender ausdrücklich sagt, ,wir spielen keine kölsche Musik’ finde ich das falsch. Warum soll man nicht die Lieder hören? Warum sich nicht etwas suchen, das Freude macht? Von Balkon zu Balkon singen oder was weiß ich. Wir sollten nicht immer nur vom Verzicht reden.

Wie habt ihr die letzten Monate als Band erlebt? Musiker arbeiten sehr eng zusammen, trennen sich mal um die Köpfe frei zu bekommen, aber nicht für so lange. Wie war das?

Am Anfang war es Schockstarre, ganz klar. Wir wurden ja regelrecht abgeschaltet, vom Netz genommen. Das mussten wir erstmal verarbeiten. Dann war uns klar: Wir müssen was tun und die Köpfe zusammenstecken. Wir können nicht einfach nur warten.

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Also haben wir versucht, damit kreativ umzugehen und weiter geprobt, wir haben einen Podcast gemacht, weil es noch nicht genug gab (lacht) und Dinge ausprobiert. Wir wollten zum Stadionkonzert ein Album herausgeben, das haben wir verschoben. Aber wir haben weiter Songs geschrieben. Vielleicht wird es nun ein Doppelalbum. Material ist genug da.

Das Stadionkonzert war für den Juni geplant, nun ist es auf 2021 verschoben. Auch das ist nicht sicher.

Es ist vermutlich der längste Kartenvorverkauf der Pop- und Rockgeschichte (lacht), wir haben ja 2018 schon angefangen. Aber wir haben immer gesagt: Wenn wir es machen, dann richtig, ohne Einschränkungen. Es geht auch nicht anders, es sind nun 38 000 Karten verkauft, und wir sind sehr dankbar, dass kaum jemand sein Ticket zurückgegeben hat. Irgendwann werden wir in dieser Schüssel spielen!

Viele Kulturschaffende und Veranstalter klagen über die Einschränkungen, ihr habt euch auch geäußert, aber zurückhaltender. Warum?

Viele Menschen leiden unter der Situation, ganz privat, psychisch, aber auch beruflich mit gravierenden finanziellen Folgen. Jetzt aufzuzeigen und ,ich, ich, ich“ zu rufen, ist der falsche Weg. Wir sind in einer verhältnismäßig komfortablen Lage, natürlich sind aber auch wir irgendwann am Ende, wenn nichts mehr geht. Aber derzeit bekommen wir es noch hin. Wir haben auch vier feste Mitarbeiter, die sind jetzt in Kurzarbeit, aber ok, es gibt viele andere, denen es erheblich schlechter geht: Veranstalter, Techniker, kleinere Bands. Also haben wir versucht, auf andere hinzuweisen. Wir Musiker werden uns durchhangeln müssen, das ist ne harte Zeit, aber wenn der Weg vorher gepasst hat, werden wir wieder ins Laufen kommen. Bei den Clubs und Hallen sieht das anders aus. Wenn das „Gloria“ oder das „MTC“ auf der Zülpicher Straße weg sind, dann werden sie nicht wiederkommen.

Wie wird es sein, wenn die Krise vorbei ist? Wird dann sofort alles nachgeholt? Die große Explosion?

Ich glaube nicht, dass wir einen Schalter umlegen, und dann geht die große Konfettikanone los und alle umarmen sich. Es wird eher ein schleichender Prozess. Vieles wird auch erstmal bleiben, die Abstandsregeln, die Masken. Zumal der Impfstoff unter die Menschen gebracht werden muss, das geht nur nach und nach. Wir denken ja selbst bei alten Bildern der Konzerte in den kleinen, verschwitzten Clubs: ,Wahnsinn, was wir damals gemacht haben.’ Es kommt einem vor wie aus einer anderen Welt.

Was nehmen Sie persönlich aus der Krise mit?

Vieles, in der Krise rückt man zusammen, das ist passiert. Wir haben mit Nachbarn jeden Abend um 9 Uhr Lieder auf der Straße gesungen. Es war nicht meine Idee, aber ich bin mit dazu gekommen, und war dann sehr schön. Ich habe aber Wert darauf gelegt, dass wir nicht nur „Mer sin eins“ singen (lacht). Und natürlich hat uns diese Vollbremsung auch irgendwo geerdet.

Wie geht es heute weiter?

Es passiert nichts. Ich schaue am Abend vielleicht in die WDR-Sendung rein, bei der wir auch dabei sein dürfen. Aber ich werde mich nicht als Clown verkleidet aufs Sofa setzen.