Köln – Der Tod zieht durch die Stadt. Seine Augen sind dunkel und eingefallen, sein Gesicht schneeweiß. Mit ihm eine Parade aus Gasmasken. Es ist bitterkalt. Schnee fällt vom Himmel. Bunt sind nur die Kostüme derjenigen, die trotz Golfkrieg und Rosenmontagsabsage nicht aufs jecke Treiben verzichten wollen und sich dem kuriosen Umzug angeschlossen haben.
Es ist der 11. Februar 1991. Vor etwa einem Monat haben Saddam Husseins Truppen das Ultimatum der USA, die Besetzung im Irak zu beenden, verstreichen lassen. Nun fallen dort Bomben. Mehrere hundert am Tag.
Für Karneval und Feierei sei an diesen Tagen kein Platz, sagen Städte wie Bonn und Düsseldorf. Der Rosenmontagszug dort wird abgesagt. Am 21. Januar liegt es an Gisbert Brovot, seinerzeit Präsident des Festkomitees, den Karneval auch für Köln abzusagen. Kein Rosenmontagszug, keine Eröffnung der Närrischen Tage am Altermarkt.
Doch still blieb es nicht in der Stadt. An Weiberfastnacht stehen sie trotzdem auf dem Altermarkt. Mehrere tausend Menschen demonstrieren dort – feiernd. Gegen die Bomben, gegen das Töten, gegen den Krieg. Vermutlich hat sich dort die Nachricht herumgesprochen, dass es am Rosenmontag in Köln eben doch einen Umzug gibt.
Flugblätter sollen dort verteilt worden sein. „Jeck op et Lääve - uns kritt keiner klein! Aufruf zu einer jecken Demonstration für das Leben am Rosenmontag in Köln!“, soll darauf gestanden haben. Auf der gleichen Strecke wie der ursprünglich geplante Umzug ist der Ersatzumzug geplant. Eine „echt kölsche Demonstration“ sollte es werden, so der Text auf den Flugblättern.
Geisterzug in Köln: Bunter Protest gegen den Ölkrieg
Am 11. Februar steht der Tod dann vor St. Gereon. Und er hat Gesellschaft: Ungefähr 3000 Menschen sind dem Aufruf durch Flugblätter und Mundpropaganda gefolgt. Auch die Rundschau hatte vorab von dem geplanten Umzug berichtet. Und der rief auch die Sensenmänner, Gespenster und Totenköpfe auf den Plan. Gestalten aus dem Jenseits – zum Protest. Einige sollen ein Autowrack durch die Straßen gezogen haben, um gegen einen Krieg um Öl zu protestieren.
Vor allem Personen aus dem linksorientierten Spektrum nehmen an dem Zug teil. Doch sie blieben nicht allein. Immer mehr Menschen schlossen sich der Demonstration an - darunter auch kostümierte Jecke und ganze Karnevalsvereine. Manche trugen Plakate auf denen „Vögeln statt Schießen“ und „Lieber Rheinischer Frohsinn statt politischer Starrsinn“ stand.
Und so zog an diesem Rosenmontag doch eine Menge durch Köln, auf der üblichen Strecke. Und immer mehr traditionelle Vereine gingen mit. Ein Spielmannszug aus Düsseldorf musizierte mit den Demonstrierenden. Die Absage hielt auch Karnevalslegende Ludwig Sebus und den Präsident des Festkomitees Brovot ab, mitzugehen.
Was fehlte, waren die Wagen. Zumindest bis zur Gürzenichstraße. Dort wartete Jürgen Becker, damals Präsident der Stunksitzung nämlich schon mit einem Traktor. Von dort herab fragte Becker: „Gisbert, wo jeiht he dä Zochwäch wigger?“ Der lotste ihn Richtung Severinstraße. „Ich kannte den Weg wirklich nicht so genau; der Gisbert musste das ja besser wissen. Aber natürlich war die Frage auch spaßig gemeint“, so Becker.
Auf dem großen Wagen hinter dem Traktor hatten sich das Ensemble der Stunksitzung und die Musiker von Köbes Underground versammelt. Weiter ging es zum Severinstor. Zwischen den Demonstrierenden noch ein bekanntes Gesicht: Tommy Engel, damals noch Frontmann der Bläck Fööss.
Karneval 1991: Kölner zeigen Flagge
Becker soll gerufen haben: „Ey, Tommy, kumm erunder.“ Tommy ließ sich nicht zweimal bitten, kletterte auf den Wagen, sang „Mer kläve am Läve“und wusste damals noch nicht, dass das Lied die inoffizielle Hymne dieses Umzugs werden sollte, der am Ende über 100 000 Menschen auf die Straßen lockte. Für den Frieden und gegen Krieg.
Für den Karneval und allen Absagen zum Trotz. „Viele Kölner haben damals Flagge gezeigt. Wir hatten ein lachendes und ein weinendes Auge“, sagte Dr. Dieter Maffei, damals Teil des Dreigestirns, das sich auch in den Zug eingereiht hatte.
Das Ereignis sollte Folgen haben. Ein Jahr später fand der erste „offizielle Geisterzug“ in Anlehnung an den Umzug aus dem Vorjahr statt. Und er sollte genau diese Mischung aus Karneval und politischem Protest mit sich tragen. Bis zu Beginn der Pandemie zog der Tod nun regelmäßig an Karneval durch die Stadt. Für den Karneval und gegen den Krieg.